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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Vertiefung des Felsens aus, die Führer schleppten Fichtennadeln zum Lager zu¬
sammen und zündeten ein mächtiges Feuer an, die Schnappsäcke wurden
geöffnet und das Nachtmahl genossen. Angesichts der Strapazen, die uns am
andern Tage erwarteten, legten wir uns frühzeitig zur Ruhe nieder. Um
N Uhr erwachte ich, es war eine herrliche sternenklare Nacht, der wachthal-
tende Führer war eingeschlummert, das Feuer zusammengesunken, der Rauch
zog in wunderlichen Gestalten langsam gegen die Felswand, ringsumher la¬
gen die Genossen in ihre Decken gehüllt, es war ein Anblick eigner Art.

Um drei Uhr Morgens, ehe noch der Tag graute, brachen wir auf. Zu¬
erst stiegen wir mehrere Gebirgsbäche kreuzend langsam steile Matten hinan,
kletterten dann mehrere Stunden über Felsen weg und erblickten, nachdem
wir das erste Schneefeld leicht passirt, den Pic, er hatte eine Nebelkappe auf¬
gesetzt, die aber bald verschwand, und als wir hinter den Felsen heraustraten,
lag das Gebirge klar vor uns, der Anblick war wild und großartig, alle Spa¬
ren von Vegetation waren verschwunden, nur Stein und Schnee so weit das
Auge sah, neben uns stieg eine ungeheure Nadel auf, wie die Spitzen allein¬
stehender Felsen heißen. Ein schneidend kalter Wind trieb uns rasch vorwärts
und bald standen wir an dem großen Gletscher. Hier knüpften wir uns alle
mit einem langen Stricke aneinander, damit, wenn einer ausgleite, die Reihe
ihn halte und langsam Schritt vor Schritt, die Augen durch blaue Schleier
gegen die Blendung der glitzernden Fläche geschützt, wanderten wir fort. Hie
und da thaten sich seitwärts die tiefen Spalten auf, in denen schon mehr
als ein Verirrter den Tod gefunden, die größten laufen gewöhnlich mit dem
Rücken des Berges parallel, die Querspalten sind selten bedeutend. An eine
traten wir dicht heran, der Blick vermochte nicht die Tiefe des Abgrundes zu
ermessen, dessen Wände das Ansehen eines mit Eiszapfen austapezierten Gema¬
ches hatten.

Nach stündiger Wanderung lag der Gletscher hinter uns, und der Pic de
Nathou stieg kerzengerade vor uns aus. Es war wohl erlaubt einen Augen¬
blick zu zweifeln, wie man hinaufkommen sollte; denn der einzige Zugang,
der famose ?ont ein xroxlretö ist ein ganz schmaler Feisengrat. an dessen
beiden Seiten die Wände jäh abfallen, ein Fehltritt und man lag unten in
dem kalten Gewässer des kleinen Sees, der den Abgrund rechts ausfüllt.
Doch wer wollte so dicht vor dem Ziele stehen bleiben, ich legte alles ab,
was die Freiheit der Glieder hemmen konnte und kroch auf Händen und Fü¬
ßen dem Führer nach, jede seiner Bewegungen genau nachahmend. In etwa
W Minuten war ich oben, uns folgten die Genossen. Der Gipfel wird
durch eine Plattform gebildet, etwa 60 Fuß lang und zwanzig breit. Mit
Geröll und Felsblöcken bedeckt, ist sie nach allen Seiten von Abgründen um¬
geben. In der Mitte sind zwei Pyramiden aus Steinen als Warten aufge-


Grcnzboten I. 1860. 49

Vertiefung des Felsens aus, die Führer schleppten Fichtennadeln zum Lager zu¬
sammen und zündeten ein mächtiges Feuer an, die Schnappsäcke wurden
geöffnet und das Nachtmahl genossen. Angesichts der Strapazen, die uns am
andern Tage erwarteten, legten wir uns frühzeitig zur Ruhe nieder. Um
N Uhr erwachte ich, es war eine herrliche sternenklare Nacht, der wachthal-
tende Führer war eingeschlummert, das Feuer zusammengesunken, der Rauch
zog in wunderlichen Gestalten langsam gegen die Felswand, ringsumher la¬
gen die Genossen in ihre Decken gehüllt, es war ein Anblick eigner Art.

Um drei Uhr Morgens, ehe noch der Tag graute, brachen wir auf. Zu¬
erst stiegen wir mehrere Gebirgsbäche kreuzend langsam steile Matten hinan,
kletterten dann mehrere Stunden über Felsen weg und erblickten, nachdem
wir das erste Schneefeld leicht passirt, den Pic, er hatte eine Nebelkappe auf¬
gesetzt, die aber bald verschwand, und als wir hinter den Felsen heraustraten,
lag das Gebirge klar vor uns, der Anblick war wild und großartig, alle Spa¬
ren von Vegetation waren verschwunden, nur Stein und Schnee so weit das
Auge sah, neben uns stieg eine ungeheure Nadel auf, wie die Spitzen allein¬
stehender Felsen heißen. Ein schneidend kalter Wind trieb uns rasch vorwärts
und bald standen wir an dem großen Gletscher. Hier knüpften wir uns alle
mit einem langen Stricke aneinander, damit, wenn einer ausgleite, die Reihe
ihn halte und langsam Schritt vor Schritt, die Augen durch blaue Schleier
gegen die Blendung der glitzernden Fläche geschützt, wanderten wir fort. Hie
und da thaten sich seitwärts die tiefen Spalten auf, in denen schon mehr
als ein Verirrter den Tod gefunden, die größten laufen gewöhnlich mit dem
Rücken des Berges parallel, die Querspalten sind selten bedeutend. An eine
traten wir dicht heran, der Blick vermochte nicht die Tiefe des Abgrundes zu
ermessen, dessen Wände das Ansehen eines mit Eiszapfen austapezierten Gema¬
ches hatten.

Nach stündiger Wanderung lag der Gletscher hinter uns, und der Pic de
Nathou stieg kerzengerade vor uns aus. Es war wohl erlaubt einen Augen¬
blick zu zweifeln, wie man hinaufkommen sollte; denn der einzige Zugang,
der famose ?ont ein xroxlretö ist ein ganz schmaler Feisengrat. an dessen
beiden Seiten die Wände jäh abfallen, ein Fehltritt und man lag unten in
dem kalten Gewässer des kleinen Sees, der den Abgrund rechts ausfüllt.
Doch wer wollte so dicht vor dem Ziele stehen bleiben, ich legte alles ab,
was die Freiheit der Glieder hemmen konnte und kroch auf Händen und Fü¬
ßen dem Führer nach, jede seiner Bewegungen genau nachahmend. In etwa
W Minuten war ich oben, uns folgten die Genossen. Der Gipfel wird
durch eine Plattform gebildet, etwa 60 Fuß lang und zwanzig breit. Mit
Geröll und Felsblöcken bedeckt, ist sie nach allen Seiten von Abgründen um¬
geben. In der Mitte sind zwei Pyramiden aus Steinen als Warten aufge-


Grcnzboten I. 1860. 49
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[0397] Vertiefung des Felsens aus, die Führer schleppten Fichtennadeln zum Lager zu¬ sammen und zündeten ein mächtiges Feuer an, die Schnappsäcke wurden geöffnet und das Nachtmahl genossen. Angesichts der Strapazen, die uns am andern Tage erwarteten, legten wir uns frühzeitig zur Ruhe nieder. Um N Uhr erwachte ich, es war eine herrliche sternenklare Nacht, der wachthal- tende Führer war eingeschlummert, das Feuer zusammengesunken, der Rauch zog in wunderlichen Gestalten langsam gegen die Felswand, ringsumher la¬ gen die Genossen in ihre Decken gehüllt, es war ein Anblick eigner Art. Um drei Uhr Morgens, ehe noch der Tag graute, brachen wir auf. Zu¬ erst stiegen wir mehrere Gebirgsbäche kreuzend langsam steile Matten hinan, kletterten dann mehrere Stunden über Felsen weg und erblickten, nachdem wir das erste Schneefeld leicht passirt, den Pic, er hatte eine Nebelkappe auf¬ gesetzt, die aber bald verschwand, und als wir hinter den Felsen heraustraten, lag das Gebirge klar vor uns, der Anblick war wild und großartig, alle Spa¬ ren von Vegetation waren verschwunden, nur Stein und Schnee so weit das Auge sah, neben uns stieg eine ungeheure Nadel auf, wie die Spitzen allein¬ stehender Felsen heißen. Ein schneidend kalter Wind trieb uns rasch vorwärts und bald standen wir an dem großen Gletscher. Hier knüpften wir uns alle mit einem langen Stricke aneinander, damit, wenn einer ausgleite, die Reihe ihn halte und langsam Schritt vor Schritt, die Augen durch blaue Schleier gegen die Blendung der glitzernden Fläche geschützt, wanderten wir fort. Hie und da thaten sich seitwärts die tiefen Spalten auf, in denen schon mehr als ein Verirrter den Tod gefunden, die größten laufen gewöhnlich mit dem Rücken des Berges parallel, die Querspalten sind selten bedeutend. An eine traten wir dicht heran, der Blick vermochte nicht die Tiefe des Abgrundes zu ermessen, dessen Wände das Ansehen eines mit Eiszapfen austapezierten Gema¬ ches hatten. Nach stündiger Wanderung lag der Gletscher hinter uns, und der Pic de Nathou stieg kerzengerade vor uns aus. Es war wohl erlaubt einen Augen¬ blick zu zweifeln, wie man hinaufkommen sollte; denn der einzige Zugang, der famose ?ont ein xroxlretö ist ein ganz schmaler Feisengrat. an dessen beiden Seiten die Wände jäh abfallen, ein Fehltritt und man lag unten in dem kalten Gewässer des kleinen Sees, der den Abgrund rechts ausfüllt. Doch wer wollte so dicht vor dem Ziele stehen bleiben, ich legte alles ab, was die Freiheit der Glieder hemmen konnte und kroch auf Händen und Fü¬ ßen dem Führer nach, jede seiner Bewegungen genau nachahmend. In etwa W Minuten war ich oben, uns folgten die Genossen. Der Gipfel wird durch eine Plattform gebildet, etwa 60 Fuß lang und zwanzig breit. Mit Geröll und Felsblöcken bedeckt, ist sie nach allen Seiten von Abgründen um¬ geben. In der Mitte sind zwei Pyramiden aus Steinen als Warten aufge- Grcnzboten I. 1860. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/397>, abgerufen am 23.07.2024.