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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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varnie ist dies die berühmte Nolandsbresche, welche nach der Sage der Pa¬
ladin des großen Karl mit seinem Schwerte gehauen, um die fliehende!?
Saracenen zu verfolgen, in Venasque bildet eben der Port diesen Paß, der
aber von unten gesehen in der ungeheuren Ausdehnung der Mauer verschwin¬
det Man fragt sich vor dem Hospiz stehend unwillkürlich, wie Menschen
diese nackten steilen Felsen erklimmen können, und doch vollbringen es beladne
Pferde. Wunderbar ist es, was die kleinen Thiere vermögen, mit welcher
Sicherheit sie gehen, mit welcher Ausdauer sie schwerbelastet klettern; nur darf
man sie nicht quälen oder zerren, am besten legt man ihnen den Zügel über
den Hals. Langsam klommen wir den schmalen Fußpfad hinan, der sich im
Zickzack windet und alle Augenblicke verschwunden schien. Je höher wir kamen,
desto vollkommener ward der Cul de Sac, wir passirten einen Schneegletscher,
unter dem das Wasser wegrauschte, seitwärts ließen wir drei tiefblaue kleine
Seen liegen, die den größten Theil des Jahres gefroren sind. Der Weg ward
immer steiler und so mit losem Geröll bedeckt, daß die Pferde kaum fußen
konnten, wir stiegen ab und kletterten die Treppe weiter hinan. Plötzlich an
einer Wendung theilten sich unerwartet die Felsen und der Paß ward sichtbar,
einige rasche Sprünge brachten mich hinauf und ich stand sprachlos staunend
vor der gewaltigen Aussicht, welche sich eröffnete. Die Kette der Maladetta
lag vor mir mit ihren gewaltigen Piks und Schneefeldern, darüber ein wol¬
kenloser Himmel, rechts das Val d'Essare, durch welches man nach dem spa¬
nischen Städtchen Venasque kommt. Zwei Fähnlein bezeichnen die Grenze
Frankreichs und Spaniens. Die Maladetta ist wie der Montblanc nicht so-
wol ein Berg, als. eine kleine Seitenbergkette, die das Val d'Essare von dem
Val de la Noguare trennt' und sich bei Estrubes dem Hauptstock der Pyrenäen
anschließt. Ihr höchster Gipfel, der Pic de Nathvu, iisoo Fuß hoch, wurde
zum erstenmal 1842 von den Herren Albert de Franqueville und Tchitchacheff
nach langen Irrfahrten erreicht, die Ersteigung ist noch immer gefährlich, weil
die großen Gletscher, welche wie überall in den Pyrenäen Schneefelder sind,
viele verborgene Spalten haben und sehr steil abfallen.

Nach kurzer Ruhe stiegen wir auf der spanischen Seite hinab not pas¬
sirten das Fron du Toureau, in dem die Garonne entspringt. Wer vermuthet
in dem unscheinbaren Bach den Fluß, der bei Bordeaux die größten Schiffe
leicht aus seinem Rücken trägt! Ich liebe es die Ströme bis zu ihrer Quelle
zu verfolgen, das Bild eines thätigen Menschenlebens tritt mir dabei immer
lebhast vor die Augen. Im Anfang reines Gebirgswasser, hüpfend und
springend wie die leichte Jugend, nimmt er' bald Zuflüsse auf, welche sein
Wasser vermehren, aber nicht immer veredeln, bis sich später der ausgewachsene
Strom wieder abklärt und sich reich und still in die Ewigkeit des Weltmeeres
ergießt.--Wir schlugen unser Nachtquartier am Fuße der Maladetta in einer


varnie ist dies die berühmte Nolandsbresche, welche nach der Sage der Pa¬
ladin des großen Karl mit seinem Schwerte gehauen, um die fliehende!?
Saracenen zu verfolgen, in Venasque bildet eben der Port diesen Paß, der
aber von unten gesehen in der ungeheuren Ausdehnung der Mauer verschwin¬
det Man fragt sich vor dem Hospiz stehend unwillkürlich, wie Menschen
diese nackten steilen Felsen erklimmen können, und doch vollbringen es beladne
Pferde. Wunderbar ist es, was die kleinen Thiere vermögen, mit welcher
Sicherheit sie gehen, mit welcher Ausdauer sie schwerbelastet klettern; nur darf
man sie nicht quälen oder zerren, am besten legt man ihnen den Zügel über
den Hals. Langsam klommen wir den schmalen Fußpfad hinan, der sich im
Zickzack windet und alle Augenblicke verschwunden schien. Je höher wir kamen,
desto vollkommener ward der Cul de Sac, wir passirten einen Schneegletscher,
unter dem das Wasser wegrauschte, seitwärts ließen wir drei tiefblaue kleine
Seen liegen, die den größten Theil des Jahres gefroren sind. Der Weg ward
immer steiler und so mit losem Geröll bedeckt, daß die Pferde kaum fußen
konnten, wir stiegen ab und kletterten die Treppe weiter hinan. Plötzlich an
einer Wendung theilten sich unerwartet die Felsen und der Paß ward sichtbar,
einige rasche Sprünge brachten mich hinauf und ich stand sprachlos staunend
vor der gewaltigen Aussicht, welche sich eröffnete. Die Kette der Maladetta
lag vor mir mit ihren gewaltigen Piks und Schneefeldern, darüber ein wol¬
kenloser Himmel, rechts das Val d'Essare, durch welches man nach dem spa¬
nischen Städtchen Venasque kommt. Zwei Fähnlein bezeichnen die Grenze
Frankreichs und Spaniens. Die Maladetta ist wie der Montblanc nicht so-
wol ein Berg, als. eine kleine Seitenbergkette, die das Val d'Essare von dem
Val de la Noguare trennt' und sich bei Estrubes dem Hauptstock der Pyrenäen
anschließt. Ihr höchster Gipfel, der Pic de Nathvu, iisoo Fuß hoch, wurde
zum erstenmal 1842 von den Herren Albert de Franqueville und Tchitchacheff
nach langen Irrfahrten erreicht, die Ersteigung ist noch immer gefährlich, weil
die großen Gletscher, welche wie überall in den Pyrenäen Schneefelder sind,
viele verborgene Spalten haben und sehr steil abfallen.

Nach kurzer Ruhe stiegen wir auf der spanischen Seite hinab not pas¬
sirten das Fron du Toureau, in dem die Garonne entspringt. Wer vermuthet
in dem unscheinbaren Bach den Fluß, der bei Bordeaux die größten Schiffe
leicht aus seinem Rücken trägt! Ich liebe es die Ströme bis zu ihrer Quelle
zu verfolgen, das Bild eines thätigen Menschenlebens tritt mir dabei immer
lebhast vor die Augen. Im Anfang reines Gebirgswasser, hüpfend und
springend wie die leichte Jugend, nimmt er' bald Zuflüsse auf, welche sein
Wasser vermehren, aber nicht immer veredeln, bis sich später der ausgewachsene
Strom wieder abklärt und sich reich und still in die Ewigkeit des Weltmeeres
ergießt.—Wir schlugen unser Nachtquartier am Fuße der Maladetta in einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/396>, abgerufen am 03.07.2024.