Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.Volks hinreichend erklärt wird, so scheint dagegen Preußen die Bahn, die In derselben Lage, einen schnellen und durchgreifenden Entschluß zu fassen, "Wie der Particularismus, so ist auch der FeudnWmus der moralischen Volks hinreichend erklärt wird, so scheint dagegen Preußen die Bahn, die In derselben Lage, einen schnellen und durchgreifenden Entschluß zu fassen, „Wie der Particularismus, so ist auch der FeudnWmus der moralischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0377" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109099"/> <p xml:id="ID_1087" prev="#ID_1086"> Volks hinreichend erklärt wird, so scheint dagegen Preußen die Bahn, die<lb/> es wandeln soll, bestimmter vorgezeichnet zu sein. — „Preußen ist ein begün¬<lb/> stigter, ein glücklicher Staat, sein Beruf und die Richtung seines Machtstrebens ist<lb/> ihm durch Geschichte und Bedürfniß mit so scharfer Prägnanz vor Augen ge¬<lb/> stellt, daß ein Irrthum kaum möglich ist. Wenn es dennoch irrt, so hat der<lb/> Abweg eine so verwüstende Folge, daß eine redliche, eine besonnene Gesinnung<lb/> davor erschrecken und die Umkehr beschließen muß. Wenn es dann umkehrt,<lb/> so gewinnt es in Monaten wieder, was es in Jahren verscherzte .... Das<lb/> Geschick häuft Glück über Preußen; es fordert nnr, daß es mit rascher Hand<lb/> das Glück ergreife." — Aber freilich liegt darin auch eine große Gefahr für<lb/> die preußische Politik. So oft eine Krisis eintritt, aus der es Vortheil zu<lb/> ziehen im Stande wäre, seht es voraus, daß die natürlichen Konsequenzen<lb/> derselben sich dem allgemeinen Bewußtsein aufdrängen würden, daß es mit<lb/> freiwilliger Beistimmung aller Betheiligten die Zwecke werde durchführen können,<lb/> die es durchführen muß. In dieser Voraussetzung zögert es mit seinem Ent¬<lb/> schluß, bis die günstige Gelegenheit vorübergeht; und dann "wieder wird es<lb/> ihm sehr schwer, rasch aufzugeben, was es nicht mehr durchführen kann. Dieses<lb/> Schwanken zwischen Wollen und Nichtwollen hat sich seit 1849 fast von Jahr zu<lb/> Jahr wiederholt. „Es ist zwar ein ehrenwerther, aber ein äußerst schwieriger<lb/> und erfolgloser Standpunkt, in Mitten einer schlimmen und zugleich sehr thä¬<lb/> tigen Welt ti-e Summe der eigenen Mittel nach dem Kanon einer privaten<lb/> Gewissenhaftigkeit zu beschränken."</p><lb/> <p xml:id="ID_1088"> In derselben Lage, einen schnellen und durchgreifenden Entschluß zu fassen,<lb/> ist die preußische Negierung auch in diesem Augenblick nach zwei Seiten hin. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1089" next="#ID_1090"> „Wie der Particularismus, so ist auch der FeudnWmus der moralischen<lb/> Ueberredung nicht zugänglich; wenn diese Kammersession denselben unproductiven<lb/> Verlauf nimmt wie die vorige, wozu wird die Regierung sich entschließen? Wird<lb/> sie die verfassungsmäßigen Mittel ergreifen, um einen Widerstand zu<lb/> brechen, den nur die Gunst zufälliger Umstände organisirt hat? oder wird sie<lb/> ihre organischen Gesetzvorlagen, d. h. die Mittel zur dauernden Gesundung<lb/> und zur politischen Entwicklung des Staats, zu Grunde gehen lassen? Eine<lb/> Phrase ist bereits aufgetaucht; durch das edle Wort „Rechtsstaat'^ scheint 1860<lb/> die Stagnation der innern Politik etwa so entschuldigt werden zu sollen, wie<lb/> >849 die Erfolglosigkeit der deutschen Politik durch die Formel der „Verein¬<lb/> barung". Aber es ist schwerlich Zeit da, nach einem hin-und herschwankenden<lb/> Kampf der Parteien, nach einem Jahrzehnt langen historischen Proceß endlich<lb/> zu einer festen Richtung zu gelangen. Weil Preußen moralische Eroberungen<lb/> zu machen hat, darum wünschen so viele, daß alles Halbe in seiner Po¬<lb/> litik verschwinde, daß es mit jenem Zauber sich ausstatte, der den Zu¬<lb/> schauer stets ergreift, wo ein geschlossenes System, wo ein Wille aus Einem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0377]
Volks hinreichend erklärt wird, so scheint dagegen Preußen die Bahn, die
es wandeln soll, bestimmter vorgezeichnet zu sein. — „Preußen ist ein begün¬
stigter, ein glücklicher Staat, sein Beruf und die Richtung seines Machtstrebens ist
ihm durch Geschichte und Bedürfniß mit so scharfer Prägnanz vor Augen ge¬
stellt, daß ein Irrthum kaum möglich ist. Wenn es dennoch irrt, so hat der
Abweg eine so verwüstende Folge, daß eine redliche, eine besonnene Gesinnung
davor erschrecken und die Umkehr beschließen muß. Wenn es dann umkehrt,
so gewinnt es in Monaten wieder, was es in Jahren verscherzte .... Das
Geschick häuft Glück über Preußen; es fordert nnr, daß es mit rascher Hand
das Glück ergreife." — Aber freilich liegt darin auch eine große Gefahr für
die preußische Politik. So oft eine Krisis eintritt, aus der es Vortheil zu
ziehen im Stande wäre, seht es voraus, daß die natürlichen Konsequenzen
derselben sich dem allgemeinen Bewußtsein aufdrängen würden, daß es mit
freiwilliger Beistimmung aller Betheiligten die Zwecke werde durchführen können,
die es durchführen muß. In dieser Voraussetzung zögert es mit seinem Ent¬
schluß, bis die günstige Gelegenheit vorübergeht; und dann "wieder wird es
ihm sehr schwer, rasch aufzugeben, was es nicht mehr durchführen kann. Dieses
Schwanken zwischen Wollen und Nichtwollen hat sich seit 1849 fast von Jahr zu
Jahr wiederholt. „Es ist zwar ein ehrenwerther, aber ein äußerst schwieriger
und erfolgloser Standpunkt, in Mitten einer schlimmen und zugleich sehr thä¬
tigen Welt ti-e Summe der eigenen Mittel nach dem Kanon einer privaten
Gewissenhaftigkeit zu beschränken."
In derselben Lage, einen schnellen und durchgreifenden Entschluß zu fassen,
ist die preußische Negierung auch in diesem Augenblick nach zwei Seiten hin. —
„Wie der Particularismus, so ist auch der FeudnWmus der moralischen
Ueberredung nicht zugänglich; wenn diese Kammersession denselben unproductiven
Verlauf nimmt wie die vorige, wozu wird die Regierung sich entschließen? Wird
sie die verfassungsmäßigen Mittel ergreifen, um einen Widerstand zu
brechen, den nur die Gunst zufälliger Umstände organisirt hat? oder wird sie
ihre organischen Gesetzvorlagen, d. h. die Mittel zur dauernden Gesundung
und zur politischen Entwicklung des Staats, zu Grunde gehen lassen? Eine
Phrase ist bereits aufgetaucht; durch das edle Wort „Rechtsstaat'^ scheint 1860
die Stagnation der innern Politik etwa so entschuldigt werden zu sollen, wie
>849 die Erfolglosigkeit der deutschen Politik durch die Formel der „Verein¬
barung". Aber es ist schwerlich Zeit da, nach einem hin-und herschwankenden
Kampf der Parteien, nach einem Jahrzehnt langen historischen Proceß endlich
zu einer festen Richtung zu gelangen. Weil Preußen moralische Eroberungen
zu machen hat, darum wünschen so viele, daß alles Halbe in seiner Po¬
litik verschwinde, daß es mit jenem Zauber sich ausstatte, der den Zu¬
schauer stets ergreift, wo ein geschlossenes System, wo ein Wille aus Einem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |