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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Einigung Deutschland stets der grüßten Gefahr ausgesetzt sei, eine Beute des
Auslandes zu werden. Freilich ist dies Gefühl noch lange nicht stark genug
einen bestimmten Willen hervorzurufen. "Sollte Preußen jetzt an den Bund
Anträge zur Umwandelung seines föderativem Prinzips bringen, da es doch
nicht einmal etwas positiv Anderes als übereinstimmende Forderung der
öffentlichen Meinung aufstelle" konnte? Da noch weniger der Wille der Na¬
tion als uncntfliehbarc, drängende Macht hinter ihm stand! Sollte man die
Centralgewalt aufgeben und die Idee des Parlaments festhalten? Das Vor¬
anstellen derselben in den Mittel- und Kleinstaaten ist begreiflich. Der na¬
tionale Sinn, die politische Thätigkeit findet keine Befriedigung in einem par¬
lamentarischen Wirken, das ohne Einfluß und Bedeutung für die europäischen
Geschicke bleibt. Aber ein Parlament, dessen Berathung eine Würde "ud
Wirkung haben soll, ist nur denkbar neben einer Regierungsgewalt und nicht
neben einem Gesandten-Collegium, von denen ein Jeder sich hinter den Wil¬
len seines souveränem Hoff, so oft ihm beliebt, zurückziehen kann. Sollte
das Parlament die einige Formel zusammcndcbattiren, die noch nicht da
war? Solch eine Debatte kann nebensächliche Meinungsverschiedenheiten, aber
keine Prinzipien ausgleiche", deren Gegensatz bis auf den Grund geht.
Sollte man sich begnügen, mit dem bescheideneren Vorschlag einer Vereinigung von
Ausschüsse" sämmtlicher Kammern, in deren Auswahl Volk und Regierung
sich theilten? Aber abgesehen von dem kläglichen Beruf, das falsche Prinzip
des Bundes neben den Scheiureformen der Regierungen auch "och durch
Schcinberathungen der Volksvertretung zu übertünchen, wäre bei den gegen¬
wärtigen parlamentarischen Zuständen diese Versammlung eine traurige Nach¬
folgerin des ersten deutschen Parlaments geworden. Ein Kongreß aller Land¬
tage, so entscheidend er wirken könnte, als letzte abschließende Vorbereitung
der deutschen Sache, verspricht doch erst dann einen Erfolg, wenn die Kam¬
mer" selbst von denn gleichen nationalen Sinn bewegt sind. Der patriotische
Geist, desse" man sich allenthalben rühmt, thut es noch nicht, aus ihm folgt
zur Besserung unseres Nothstandes schlechthin gar nichts, solange dieser
Geist' keine Form gefunden hat, die er als Werkzeug in die Hemd nehmen,
durch die er die Dinge praktisch umgestalten will." -- Und nicht einnialüber
den Hauptpunkt konnte eine Verständigung erzielt werdem "daß die Ideen
eines deutschen Parlaments mit östreichischer Betheiligung eine Phantasie, daß
die BeWirkung Desselben für den 'Kaiserstaat eine Unmöglichkeit ist. Ein deut¬
sches Parlament mit ernster Betheiligung Oestreichs, dieser Gedanke ist ent¬
weder ein kindlicher oder ein unkluger Wunsch, -- der Wunsch, daß der Kaiser¬
staat dnrch eine Revolutionirung vernichtet werde, daß Rußland im Osten
seinen Rivalen verliere."

Wenn diese Unklarheit aus den eigenthümlichen Zuständen des deutschen


Einigung Deutschland stets der grüßten Gefahr ausgesetzt sei, eine Beute des
Auslandes zu werden. Freilich ist dies Gefühl noch lange nicht stark genug
einen bestimmten Willen hervorzurufen. „Sollte Preußen jetzt an den Bund
Anträge zur Umwandelung seines föderativem Prinzips bringen, da es doch
nicht einmal etwas positiv Anderes als übereinstimmende Forderung der
öffentlichen Meinung aufstelle» konnte? Da noch weniger der Wille der Na¬
tion als uncntfliehbarc, drängende Macht hinter ihm stand! Sollte man die
Centralgewalt aufgeben und die Idee des Parlaments festhalten? Das Vor¬
anstellen derselben in den Mittel- und Kleinstaaten ist begreiflich. Der na¬
tionale Sinn, die politische Thätigkeit findet keine Befriedigung in einem par¬
lamentarischen Wirken, das ohne Einfluß und Bedeutung für die europäischen
Geschicke bleibt. Aber ein Parlament, dessen Berathung eine Würde »ud
Wirkung haben soll, ist nur denkbar neben einer Regierungsgewalt und nicht
neben einem Gesandten-Collegium, von denen ein Jeder sich hinter den Wil¬
len seines souveränem Hoff, so oft ihm beliebt, zurückziehen kann. Sollte
das Parlament die einige Formel zusammcndcbattiren, die noch nicht da
war? Solch eine Debatte kann nebensächliche Meinungsverschiedenheiten, aber
keine Prinzipien ausgleiche», deren Gegensatz bis auf den Grund geht.
Sollte man sich begnügen, mit dem bescheideneren Vorschlag einer Vereinigung von
Ausschüsse» sämmtlicher Kammern, in deren Auswahl Volk und Regierung
sich theilten? Aber abgesehen von dem kläglichen Beruf, das falsche Prinzip
des Bundes neben den Scheiureformen der Regierungen auch »och durch
Schcinberathungen der Volksvertretung zu übertünchen, wäre bei den gegen¬
wärtigen parlamentarischen Zuständen diese Versammlung eine traurige Nach¬
folgerin des ersten deutschen Parlaments geworden. Ein Kongreß aller Land¬
tage, so entscheidend er wirken könnte, als letzte abschließende Vorbereitung
der deutschen Sache, verspricht doch erst dann einen Erfolg, wenn die Kam¬
mer» selbst von denn gleichen nationalen Sinn bewegt sind. Der patriotische
Geist, desse» man sich allenthalben rühmt, thut es noch nicht, aus ihm folgt
zur Besserung unseres Nothstandes schlechthin gar nichts, solange dieser
Geist' keine Form gefunden hat, die er als Werkzeug in die Hemd nehmen,
durch die er die Dinge praktisch umgestalten will." — Und nicht einnialüber
den Hauptpunkt konnte eine Verständigung erzielt werdem „daß die Ideen
eines deutschen Parlaments mit östreichischer Betheiligung eine Phantasie, daß
die BeWirkung Desselben für den 'Kaiserstaat eine Unmöglichkeit ist. Ein deut¬
sches Parlament mit ernster Betheiligung Oestreichs, dieser Gedanke ist ent¬
weder ein kindlicher oder ein unkluger Wunsch, — der Wunsch, daß der Kaiser¬
staat dnrch eine Revolutionirung vernichtet werde, daß Rußland im Osten
seinen Rivalen verliere."

Wenn diese Unklarheit aus den eigenthümlichen Zuständen des deutschen


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[0376] Einigung Deutschland stets der grüßten Gefahr ausgesetzt sei, eine Beute des Auslandes zu werden. Freilich ist dies Gefühl noch lange nicht stark genug einen bestimmten Willen hervorzurufen. „Sollte Preußen jetzt an den Bund Anträge zur Umwandelung seines föderativem Prinzips bringen, da es doch nicht einmal etwas positiv Anderes als übereinstimmende Forderung der öffentlichen Meinung aufstelle» konnte? Da noch weniger der Wille der Na¬ tion als uncntfliehbarc, drängende Macht hinter ihm stand! Sollte man die Centralgewalt aufgeben und die Idee des Parlaments festhalten? Das Vor¬ anstellen derselben in den Mittel- und Kleinstaaten ist begreiflich. Der na¬ tionale Sinn, die politische Thätigkeit findet keine Befriedigung in einem par¬ lamentarischen Wirken, das ohne Einfluß und Bedeutung für die europäischen Geschicke bleibt. Aber ein Parlament, dessen Berathung eine Würde »ud Wirkung haben soll, ist nur denkbar neben einer Regierungsgewalt und nicht neben einem Gesandten-Collegium, von denen ein Jeder sich hinter den Wil¬ len seines souveränem Hoff, so oft ihm beliebt, zurückziehen kann. Sollte das Parlament die einige Formel zusammcndcbattiren, die noch nicht da war? Solch eine Debatte kann nebensächliche Meinungsverschiedenheiten, aber keine Prinzipien ausgleiche», deren Gegensatz bis auf den Grund geht. Sollte man sich begnügen, mit dem bescheideneren Vorschlag einer Vereinigung von Ausschüsse» sämmtlicher Kammern, in deren Auswahl Volk und Regierung sich theilten? Aber abgesehen von dem kläglichen Beruf, das falsche Prinzip des Bundes neben den Scheiureformen der Regierungen auch »och durch Schcinberathungen der Volksvertretung zu übertünchen, wäre bei den gegen¬ wärtigen parlamentarischen Zuständen diese Versammlung eine traurige Nach¬ folgerin des ersten deutschen Parlaments geworden. Ein Kongreß aller Land¬ tage, so entscheidend er wirken könnte, als letzte abschließende Vorbereitung der deutschen Sache, verspricht doch erst dann einen Erfolg, wenn die Kam¬ mer» selbst von denn gleichen nationalen Sinn bewegt sind. Der patriotische Geist, desse» man sich allenthalben rühmt, thut es noch nicht, aus ihm folgt zur Besserung unseres Nothstandes schlechthin gar nichts, solange dieser Geist' keine Form gefunden hat, die er als Werkzeug in die Hemd nehmen, durch die er die Dinge praktisch umgestalten will." — Und nicht einnialüber den Hauptpunkt konnte eine Verständigung erzielt werdem „daß die Ideen eines deutschen Parlaments mit östreichischer Betheiligung eine Phantasie, daß die BeWirkung Desselben für den 'Kaiserstaat eine Unmöglichkeit ist. Ein deut¬ sches Parlament mit ernster Betheiligung Oestreichs, dieser Gedanke ist ent¬ weder ein kindlicher oder ein unkluger Wunsch, — der Wunsch, daß der Kaiser¬ staat dnrch eine Revolutionirung vernichtet werde, daß Rußland im Osten seinen Rivalen verliere." Wenn diese Unklarheit aus den eigenthümlichen Zuständen des deutschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/376>, abgerufen am 23.07.2024.