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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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verpachten. Dieses System hat einige Nachtheile, aber das Land ist in Folge
dessen weit besser bebaut, als jenseits des Apennin, wo man fast nur Ver¬
pachtungen im Großen kennt. Der Pächter im Nordosten stellt seine und sei¬
ner Familie Arbeit, zahlt die indirekten Abgaben und theilt die Ernte mit dem
VerPächter, der die Gebäude unterhält, das todte und lebende Inventar liefert
und die Grundsteuern entrichtet. Auf der Mittelmeerseite, im Südwesten liegen
beinahe nur große Güter, von denen viele der Geistlichkeit gehören. Diese
so wie die. Besitzungen des Adels werden in Flächen von Geviertmeilen an
sogenannte Landläufer verpachtet. Auf den adeligen Gütern herrscht der Ge¬
treidebau vor, auf den geistlichen bei weitem die Bewirthschaft. Der CIcrus
hat sich eine eigenthümliche landwirthschaftliche Theorie gebildet, nach welcher
er unwandelbar seit Jahrhunderten verfährt. Indem er befürchtet, den Boden
ausgesogen zu sehen, schreibt er seinen Pächtern vor. das beste Land als Weide
zu benutzen, und verbietet ihnen jede Vermehrung der Fruchtbarkeit auf künst¬
lichem Wege, z. B. durch Berieselung. Damit gegen dieses Verbot nicht ge¬
sündigt werde, schließt man keinen Pachtcontract anf länger als drei Jahre
ab. Das Vieh muß im Freien überwintern und leidet dadurch trotz des mil¬
den Klimas so sehr, daß in einem der letzten Winter durchschnittlich 25, in
einem andern i? Procent zu Grunde gingen. Von einer andern Wirkung
dieses thörichten Systems haben auch die Städte zu leiden. Der nie gedüngte
und schlecht bestellte Boden wird ungesund, eine Erfahrung, die man in Italien
überall macht, wo die Landwirthschaft nachlässig betrieben wird. Die meisten
der weiten Ebenen, die sich, von Bäumen entblößt und nur spärlich bebaut,
vom Apennin nach den Mittelmeerküsten hinabziehen, hauchen die giftige arm
eattivg, aus, und die. welche von der Fäulniß noch nicht ergriffen sind, müssen
allmälig demselben Schicksal verfallen. Die Regierung weiß das sehr wohl.
Unter Pius dem Sechsten befahl sie, da die Verschlechterung der Lust in Rom
sich fühlbar machte, vom Agro Romano jährlich 23,000 Rubbia, deren
eine ungefähr sieben preußischen Morgen gleichkommt, in Cultur zu nehmen.
Pius der Siebente verfügte, daß zuerst alles Land bis auf eine Miglie von
Rom bebaut und die Raine mit Bäumen bepflanzt würde. Die Bäume soll¬
ten die Luft reinigen, den bebauten Umkreis dachte man später zu erweitern.
Aber die heilsame Maßregel gerieth, wie alle ähnlichen, bald ins Stocken, und
unter dem jetzigen Papst werden jährlich kaum 5000 Rubbia unter den Pflug
genommen, die Bäume längs den Ackerstücken sind verschwunden und ganze
Wälder an Speculanten verkauft worden.

Wie das Land und seine Vertheilung, so ist auch der Charakter der Be¬
völkerungen den beiden großen Hälften verschieden. Die nordöstliche mit ihren
vielen kleinen Flüssen hätte Neigung und Mittel zur Industrie, sie ist über¬
haupt aufgeweckter, rühriger und fleißiger als die südwestliche, die den Verderb-


verpachten. Dieses System hat einige Nachtheile, aber das Land ist in Folge
dessen weit besser bebaut, als jenseits des Apennin, wo man fast nur Ver¬
pachtungen im Großen kennt. Der Pächter im Nordosten stellt seine und sei¬
ner Familie Arbeit, zahlt die indirekten Abgaben und theilt die Ernte mit dem
VerPächter, der die Gebäude unterhält, das todte und lebende Inventar liefert
und die Grundsteuern entrichtet. Auf der Mittelmeerseite, im Südwesten liegen
beinahe nur große Güter, von denen viele der Geistlichkeit gehören. Diese
so wie die. Besitzungen des Adels werden in Flächen von Geviertmeilen an
sogenannte Landläufer verpachtet. Auf den adeligen Gütern herrscht der Ge¬
treidebau vor, auf den geistlichen bei weitem die Bewirthschaft. Der CIcrus
hat sich eine eigenthümliche landwirthschaftliche Theorie gebildet, nach welcher
er unwandelbar seit Jahrhunderten verfährt. Indem er befürchtet, den Boden
ausgesogen zu sehen, schreibt er seinen Pächtern vor. das beste Land als Weide
zu benutzen, und verbietet ihnen jede Vermehrung der Fruchtbarkeit auf künst¬
lichem Wege, z. B. durch Berieselung. Damit gegen dieses Verbot nicht ge¬
sündigt werde, schließt man keinen Pachtcontract anf länger als drei Jahre
ab. Das Vieh muß im Freien überwintern und leidet dadurch trotz des mil¬
den Klimas so sehr, daß in einem der letzten Winter durchschnittlich 25, in
einem andern i? Procent zu Grunde gingen. Von einer andern Wirkung
dieses thörichten Systems haben auch die Städte zu leiden. Der nie gedüngte
und schlecht bestellte Boden wird ungesund, eine Erfahrung, die man in Italien
überall macht, wo die Landwirthschaft nachlässig betrieben wird. Die meisten
der weiten Ebenen, die sich, von Bäumen entblößt und nur spärlich bebaut,
vom Apennin nach den Mittelmeerküsten hinabziehen, hauchen die giftige arm
eattivg, aus, und die. welche von der Fäulniß noch nicht ergriffen sind, müssen
allmälig demselben Schicksal verfallen. Die Regierung weiß das sehr wohl.
Unter Pius dem Sechsten befahl sie, da die Verschlechterung der Lust in Rom
sich fühlbar machte, vom Agro Romano jährlich 23,000 Rubbia, deren
eine ungefähr sieben preußischen Morgen gleichkommt, in Cultur zu nehmen.
Pius der Siebente verfügte, daß zuerst alles Land bis auf eine Miglie von
Rom bebaut und die Raine mit Bäumen bepflanzt würde. Die Bäume soll¬
ten die Luft reinigen, den bebauten Umkreis dachte man später zu erweitern.
Aber die heilsame Maßregel gerieth, wie alle ähnlichen, bald ins Stocken, und
unter dem jetzigen Papst werden jährlich kaum 5000 Rubbia unter den Pflug
genommen, die Bäume längs den Ackerstücken sind verschwunden und ganze
Wälder an Speculanten verkauft worden.

Wie das Land und seine Vertheilung, so ist auch der Charakter der Be¬
völkerungen den beiden großen Hälften verschieden. Die nordöstliche mit ihren
vielen kleinen Flüssen hätte Neigung und Mittel zur Industrie, sie ist über¬
haupt aufgeweckter, rühriger und fleißiger als die südwestliche, die den Verderb-


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[0347] verpachten. Dieses System hat einige Nachtheile, aber das Land ist in Folge dessen weit besser bebaut, als jenseits des Apennin, wo man fast nur Ver¬ pachtungen im Großen kennt. Der Pächter im Nordosten stellt seine und sei¬ ner Familie Arbeit, zahlt die indirekten Abgaben und theilt die Ernte mit dem VerPächter, der die Gebäude unterhält, das todte und lebende Inventar liefert und die Grundsteuern entrichtet. Auf der Mittelmeerseite, im Südwesten liegen beinahe nur große Güter, von denen viele der Geistlichkeit gehören. Diese so wie die. Besitzungen des Adels werden in Flächen von Geviertmeilen an sogenannte Landläufer verpachtet. Auf den adeligen Gütern herrscht der Ge¬ treidebau vor, auf den geistlichen bei weitem die Bewirthschaft. Der CIcrus hat sich eine eigenthümliche landwirthschaftliche Theorie gebildet, nach welcher er unwandelbar seit Jahrhunderten verfährt. Indem er befürchtet, den Boden ausgesogen zu sehen, schreibt er seinen Pächtern vor. das beste Land als Weide zu benutzen, und verbietet ihnen jede Vermehrung der Fruchtbarkeit auf künst¬ lichem Wege, z. B. durch Berieselung. Damit gegen dieses Verbot nicht ge¬ sündigt werde, schließt man keinen Pachtcontract anf länger als drei Jahre ab. Das Vieh muß im Freien überwintern und leidet dadurch trotz des mil¬ den Klimas so sehr, daß in einem der letzten Winter durchschnittlich 25, in einem andern i? Procent zu Grunde gingen. Von einer andern Wirkung dieses thörichten Systems haben auch die Städte zu leiden. Der nie gedüngte und schlecht bestellte Boden wird ungesund, eine Erfahrung, die man in Italien überall macht, wo die Landwirthschaft nachlässig betrieben wird. Die meisten der weiten Ebenen, die sich, von Bäumen entblößt und nur spärlich bebaut, vom Apennin nach den Mittelmeerküsten hinabziehen, hauchen die giftige arm eattivg, aus, und die. welche von der Fäulniß noch nicht ergriffen sind, müssen allmälig demselben Schicksal verfallen. Die Regierung weiß das sehr wohl. Unter Pius dem Sechsten befahl sie, da die Verschlechterung der Lust in Rom sich fühlbar machte, vom Agro Romano jährlich 23,000 Rubbia, deren eine ungefähr sieben preußischen Morgen gleichkommt, in Cultur zu nehmen. Pius der Siebente verfügte, daß zuerst alles Land bis auf eine Miglie von Rom bebaut und die Raine mit Bäumen bepflanzt würde. Die Bäume soll¬ ten die Luft reinigen, den bebauten Umkreis dachte man später zu erweitern. Aber die heilsame Maßregel gerieth, wie alle ähnlichen, bald ins Stocken, und unter dem jetzigen Papst werden jährlich kaum 5000 Rubbia unter den Pflug genommen, die Bäume längs den Ackerstücken sind verschwunden und ganze Wälder an Speculanten verkauft worden. Wie das Land und seine Vertheilung, so ist auch der Charakter der Be¬ völkerungen den beiden großen Hälften verschieden. Die nordöstliche mit ihren vielen kleinen Flüssen hätte Neigung und Mittel zur Industrie, sie ist über¬ haupt aufgeweckter, rühriger und fleißiger als die südwestliche, die den Verderb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/347>, abgerufen am 23.07.2024.