Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.von dem Recht seiner Souveränetät nicht viel mehr Gebrauch machen als Dies ist die Sachlage, aus der wir mit strengster Logik das Ergebniß von dem Recht seiner Souveränetät nicht viel mehr Gebrauch machen als Dies ist die Sachlage, aus der wir mit strengster Logik das Ergebniß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/109060"/> <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> von dem Recht seiner Souveränetät nicht viel mehr Gebrauch machen als<lb/> Hannover, weil seine Provinzen so auseinanderliegen, daß es ohne den guten<lb/> Willen seiner Nachbarn nichts ausrichten kann. Wenn es nun heißt, daß die<lb/> Kränkung jedes einzelnen Bundesthcils durch den ganzen Bund gesühnt wird,<lb/> so zeigt das Beispiel von Neuchatel was es damit für eine Bewandtniß hat.<lb/> Hier war Preußen das entschiedenste Unrecht von der Welt geschehen, der<lb/> deutsche Bund aber kümmerte sich nicht im geringsten darum, und hätte sich<lb/> nicht der Kaiser Napoleon gegen Preußen freundlich erwiesen, so hätte es eine<lb/> sehr wenig beneidenswerthe Rolle gespielt.</p><lb/> <p xml:id="ID_965" next="#ID_966"> Dies ist die Sachlage, aus der wir mit strengster Logik das Ergebniß<lb/> ziehn: jeder deutsche Fürst, oder vielmehr jede deutsche Regierung hat den<lb/> Trieb, ihre Souveränetät zu erweitern und ihre Staaten zu arrondiren.<lb/> Dieser Trieb, der nur auf Kosten des Bundes oder auf Kosten der einzelnen<lb/> Bundesglieder ausgeführt werden konnte, wird freilich durch das Rechtsbewußt¬<lb/> sein, den Patriotismus und andere moralische Eigenschaften der Fürsten und<lb/> ihrer Regierungen paralysirt: es ist eine ruhende Kraft, aber eine Kraft, die<lb/> man in ernsten Collisionsfällen in Rechnung ziehn muß, wenn man ein<lb/> richtiges Resultat gewinnen will. — Von allen deutschen Regierungen ist aber<lb/> keine, in welcher jener Trieb sich so mächtig rühren muß, als die preußische,<lb/> weil in keiner die Kräfte und mithin die Ansprüche so groß, in keiner die<lb/> Schranken so fühlbar und so demüthigend find. Preußen ist, wie Herr von<lb/> Andrian sich richtig ausdrückt, so lange seine Ansprüche nicht befriedigt sind,<lb/> mehr ein Element der Unruhe als der Stabilität in Europa. Die ausge¬<lb/> sprochenste deutsche Gesinnung, die lebhafteste Scheu vor jedem, auch dem<lb/> kleinsten Unrecht — und beides ist in gleichem Grade sowohl bei dem König<lb/> als dem Prinz-Regenten vereinigt — kann nicht verhindern, daß jene Reib¬<lb/> ungen, die nicht in den Personen, sondern in den Zuständen liegen, sich fort¬<lb/> während vordrängen. Was dieß Verhältniß aber noch bedenklicher macht, ist,<lb/> daß dieser Trieb sich in den Völkern nicht minder regt als in den Fürsten.<lb/> In keinem Punkt ist die Begriffsverwirrung so groß, als wenn man den<lb/> Partikularismus und das Einheitsstreben des deutschen Volks untersucht. Es<lb/> ist eine trotz ihres handgreiflichen Widersinns fortwährend wiederholte Be¬<lb/> hauptung, daß die Zersplitterung Deutschlands unter verschiedene Fürstenthümer<lb/> nichts anderes sei als der Ausdruck der verschiedenen historischen Stämme der<lb/> Deutschen. Diese Stammverschiedenheit ist aber durch nichts so beeinträch¬<lb/> tigt worden als grade durch die deutschen Fürstenthümer. Die deutschen<lb/> Staaten sind nicht aus den Stämmen hervorgegangen, sondern aus den dy¬<lb/> nastischen Familien, und wo zufällig in einem dieser Staaten ein bestimmter<lb/> Volksstamm vorherrscht, ist das nur daraus zu erklären, daß geographisch eine<lb/> weitere Zersetzung nicht wol möglich war. Das Gefühl der Zusammengehörig-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0338]
von dem Recht seiner Souveränetät nicht viel mehr Gebrauch machen als
Hannover, weil seine Provinzen so auseinanderliegen, daß es ohne den guten
Willen seiner Nachbarn nichts ausrichten kann. Wenn es nun heißt, daß die
Kränkung jedes einzelnen Bundesthcils durch den ganzen Bund gesühnt wird,
so zeigt das Beispiel von Neuchatel was es damit für eine Bewandtniß hat.
Hier war Preußen das entschiedenste Unrecht von der Welt geschehen, der
deutsche Bund aber kümmerte sich nicht im geringsten darum, und hätte sich
nicht der Kaiser Napoleon gegen Preußen freundlich erwiesen, so hätte es eine
sehr wenig beneidenswerthe Rolle gespielt.
Dies ist die Sachlage, aus der wir mit strengster Logik das Ergebniß
ziehn: jeder deutsche Fürst, oder vielmehr jede deutsche Regierung hat den
Trieb, ihre Souveränetät zu erweitern und ihre Staaten zu arrondiren.
Dieser Trieb, der nur auf Kosten des Bundes oder auf Kosten der einzelnen
Bundesglieder ausgeführt werden konnte, wird freilich durch das Rechtsbewußt¬
sein, den Patriotismus und andere moralische Eigenschaften der Fürsten und
ihrer Regierungen paralysirt: es ist eine ruhende Kraft, aber eine Kraft, die
man in ernsten Collisionsfällen in Rechnung ziehn muß, wenn man ein
richtiges Resultat gewinnen will. — Von allen deutschen Regierungen ist aber
keine, in welcher jener Trieb sich so mächtig rühren muß, als die preußische,
weil in keiner die Kräfte und mithin die Ansprüche so groß, in keiner die
Schranken so fühlbar und so demüthigend find. Preußen ist, wie Herr von
Andrian sich richtig ausdrückt, so lange seine Ansprüche nicht befriedigt sind,
mehr ein Element der Unruhe als der Stabilität in Europa. Die ausge¬
sprochenste deutsche Gesinnung, die lebhafteste Scheu vor jedem, auch dem
kleinsten Unrecht — und beides ist in gleichem Grade sowohl bei dem König
als dem Prinz-Regenten vereinigt — kann nicht verhindern, daß jene Reib¬
ungen, die nicht in den Personen, sondern in den Zuständen liegen, sich fort¬
während vordrängen. Was dieß Verhältniß aber noch bedenklicher macht, ist,
daß dieser Trieb sich in den Völkern nicht minder regt als in den Fürsten.
In keinem Punkt ist die Begriffsverwirrung so groß, als wenn man den
Partikularismus und das Einheitsstreben des deutschen Volks untersucht. Es
ist eine trotz ihres handgreiflichen Widersinns fortwährend wiederholte Be¬
hauptung, daß die Zersplitterung Deutschlands unter verschiedene Fürstenthümer
nichts anderes sei als der Ausdruck der verschiedenen historischen Stämme der
Deutschen. Diese Stammverschiedenheit ist aber durch nichts so beeinträch¬
tigt worden als grade durch die deutschen Fürstenthümer. Die deutschen
Staaten sind nicht aus den Stämmen hervorgegangen, sondern aus den dy¬
nastischen Familien, und wo zufällig in einem dieser Staaten ein bestimmter
Volksstamm vorherrscht, ist das nur daraus zu erklären, daß geographisch eine
weitere Zersetzung nicht wol möglich war. Das Gefühl der Zusammengehörig-
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