Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.dirteste Atheist personificirt alle Augenblicke seine Welt und sein Schicksal; so schlagender wird der Unterschied der Glaubensphilosvphie von dem recht¬ dirteste Atheist personificirt alle Augenblicke seine Welt und sein Schicksal; so schlagender wird der Unterschied der Glaubensphilosvphie von dem recht¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108755"/> <p xml:id="ID_56" prev="#ID_55"> dirteste Atheist personificirt alle Augenblicke seine Welt und sein Schicksal; so<lb/> wenig kann die menschliche Natur Persönlichkeit entbehren. Wir abstrahiren<lb/> alles von uns; wir selbst sind der Maßstab aller Dinge. — In meiner Na¬<lb/> tur seh' ich ganz klar zwei Naturen in unaufhörlicher Harmonie: im vege-<lb/> tirend.in Menschen die Gottwelt des Spinoza, im freithätigen den Gottmensch<lb/> Christus. . . Wir treten aus unserer Natur heraus, wenn wir uns ein.n blos<lb/> willkürlichen, durch keinen Weltmechanismus gebundenen Gott denken; w,r treten<lb/> aus unserer Natur heraus, wenn wir uns einen blos mechanischen Gott<lb/> denken. — So vereinig' ich Spionzismuö und Christenthum, das sich w,e Ja<lb/> und Nein aufzuheben scheint, aber sich nicht mehr aufhebt, als der Mechanismus<lb/> und die Freithätigleit unserer Natur. Neides coexistirt in und neben einander<lb/> uns. keins hebt das andere wirklich auf." — .Wie jeder sich ansieht, sieht<lb/> er das Universum an . . . der menschlichste Mensch hat den menschlichsten Gott,<lb/> der freieste den freien. . . Wem es scheint, daß er netionum in eliswus sähig<lb/> sei. dessen Gott ist magisch, srcischöpfcrisch. wunderthätig. Was allen meinen<lb/> Bedürfnissen genug thut, das ist mein Gott." — „Indes; da alles dies nur<lb/> ein Abstractum unserer Individualität ist. dem wir durch die arg.sche Kraft<lb/> unserer Natur die völlige Solidität und Realität unserer eigenen Existenz ge¬<lb/> ben, den wir mit einer Persönlichkeit, der unsrigen völlig egal, bekleiden, l»<lb/> hat der Atheist und Spinozist recht, wenn er eine Demonstration Gottes als<lb/> eines außerweltlichen Wesens als unmöglich verwirft: denn mein Gott, wie<lb/> s"i er sei. ist doch nur ein Abstractum meiner Individualität. Religion ist<lb/> ein innerer Sinn, der sich Götter schafft, die wahre Magie der menschlichen<lb/> Natur; die Schöpfungskraft eines nahen, möglichst verschiedenen Univerftil-<lb/> mediums des frohesten Selbstgenusses." — t3. December 1787: „Bis ich<lb/> einen persönlichen Gott habe, mit dem ich wenigstens so vertraulich correspon-<lb/> diren kaun wie mit dir. der mir so determinirt antwortet wie du — hab'<lb/> ich keinen! — Mein tägliches Gebet ist: zeige dich. Abrahams Gott! Gott<lb/> Jsaaks. zeige dich!"</p><lb/> <p xml:id="ID_57" next="#ID_58"> schlagender wird der Unterschied der Glaubensphilosvphie von dem recht¬<lb/> gläubigen Christenthum bei Jacobi hervortreten, aber auch hier springt er<lb/> deutlich genug in die Augen: es ist nicht Sicherheit des Glaubens, sondern<lb/> Sehnsucht nach dem Glauben; nicht aufopfernde Frömmigkeit, sondern der un¬<lb/> gestüme Drang, die Fülle der eignen Persönlichkeit durch eine höhere Macht<lb/> zu kräftigen. Feuerbach hat sein bekanntes Buch gewiß nicht zur Verherr¬<lb/> lichung des Christenthums geschrieben: aber man wird von seinen so paradox<lb/> klingenden Sätzen nnr wenige finden, die nicht schon Lavater in vollstem Ernst<lb/> aufgestellt hätte. Auch in seinen polemischen Schriften gegen die Unchristen<lb/> ist vieles blos Controvers (z. B. die Vertheidigung der Apokalypse gegen<lb/> Herder), vieles gegen die eignen Zweifel gerichtet. Seine Sehnsucht wendet</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
dirteste Atheist personificirt alle Augenblicke seine Welt und sein Schicksal; so
wenig kann die menschliche Natur Persönlichkeit entbehren. Wir abstrahiren
alles von uns; wir selbst sind der Maßstab aller Dinge. — In meiner Na¬
tur seh' ich ganz klar zwei Naturen in unaufhörlicher Harmonie: im vege-
tirend.in Menschen die Gottwelt des Spinoza, im freithätigen den Gottmensch
Christus. . . Wir treten aus unserer Natur heraus, wenn wir uns ein.n blos
willkürlichen, durch keinen Weltmechanismus gebundenen Gott denken; w,r treten
aus unserer Natur heraus, wenn wir uns einen blos mechanischen Gott
denken. — So vereinig' ich Spionzismuö und Christenthum, das sich w,e Ja
und Nein aufzuheben scheint, aber sich nicht mehr aufhebt, als der Mechanismus
und die Freithätigleit unserer Natur. Neides coexistirt in und neben einander
uns. keins hebt das andere wirklich auf." — .Wie jeder sich ansieht, sieht
er das Universum an . . . der menschlichste Mensch hat den menschlichsten Gott,
der freieste den freien. . . Wem es scheint, daß er netionum in eliswus sähig
sei. dessen Gott ist magisch, srcischöpfcrisch. wunderthätig. Was allen meinen
Bedürfnissen genug thut, das ist mein Gott." — „Indes; da alles dies nur
ein Abstractum unserer Individualität ist. dem wir durch die arg.sche Kraft
unserer Natur die völlige Solidität und Realität unserer eigenen Existenz ge¬
ben, den wir mit einer Persönlichkeit, der unsrigen völlig egal, bekleiden, l»
hat der Atheist und Spinozist recht, wenn er eine Demonstration Gottes als
eines außerweltlichen Wesens als unmöglich verwirft: denn mein Gott, wie
s"i er sei. ist doch nur ein Abstractum meiner Individualität. Religion ist
ein innerer Sinn, der sich Götter schafft, die wahre Magie der menschlichen
Natur; die Schöpfungskraft eines nahen, möglichst verschiedenen Univerftil-
mediums des frohesten Selbstgenusses." — t3. December 1787: „Bis ich
einen persönlichen Gott habe, mit dem ich wenigstens so vertraulich correspon-
diren kaun wie mit dir. der mir so determinirt antwortet wie du — hab'
ich keinen! — Mein tägliches Gebet ist: zeige dich. Abrahams Gott! Gott
Jsaaks. zeige dich!"
schlagender wird der Unterschied der Glaubensphilosvphie von dem recht¬
gläubigen Christenthum bei Jacobi hervortreten, aber auch hier springt er
deutlich genug in die Augen: es ist nicht Sicherheit des Glaubens, sondern
Sehnsucht nach dem Glauben; nicht aufopfernde Frömmigkeit, sondern der un¬
gestüme Drang, die Fülle der eignen Persönlichkeit durch eine höhere Macht
zu kräftigen. Feuerbach hat sein bekanntes Buch gewiß nicht zur Verherr¬
lichung des Christenthums geschrieben: aber man wird von seinen so paradox
klingenden Sätzen nnr wenige finden, die nicht schon Lavater in vollstem Ernst
aufgestellt hätte. Auch in seinen polemischen Schriften gegen die Unchristen
ist vieles blos Controvers (z. B. die Vertheidigung der Apokalypse gegen
Herder), vieles gegen die eignen Zweifel gerichtet. Seine Sehnsucht wendet
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