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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Programm der Bewegung von Rimini im Jahre 1845 enthielt fast nur Um¬
schreibungen und berechtigte Folgerungen aus jenen Vorschlägen der Gro߬
mächte. Dieses Programm verlangte zunächst eine Amnestie, dann ein Civil-
und ein Strafgesetzbuch mit Oeffentlichkeit der Verhandlungen und Geschwornen,
Abschaffung der Vermögenseinziehungen und der Todesstrafe bei Majestäts¬
verbrechen. Verabschiedung der fremden Truppen und Errichtung einer Bürger¬
wehr, Verleihung aller bürgerlichen und militärischen Aemter an Laien. Es
forderte ferner, daß der Papst die Gerichtsbarkeit der Inquisition und der übri¬
gen geistlichen Gerichte über weltliche Personen aushebe, daß er einem aus
Kandidaten der Provinziallandtage gebildeten Staatsrath bei Präventiv- und
Steuergesetzen eine entscheidende, bei allen andern innern Fragen politischer
Natur eine berechtigte Stimme einräume, daß er endlich die Censur auf Ver¬
hütung von Beleidigungen gegen Gott, die Religion und das Oberhaupt der
Kirche, so wie auf Unterdrückung von unsittlichen Aeußerungen und Verläum-
dungen gegen Private beschränke.

Vier Jahre später, als das "rothe Triumvirat" an die Stelle der rothen
Dictatur Mazzinis getreten war, tauchten jene Vorschläge von 1831 in dem
Briefe des Präsidenten Ludwig Bonaparte an den Obersten Ney von Neuem
auf. Das Haupt der französischen Republik verlangte im Wesentlichen vom
Papste: Zulassung der Laien zu allen weltlichen Aemtern, ein allgemeines
Gesetzbuch und eine auf die Bedürfnisse des Volkes berechnete Verwaltung.

Wieder waren neun Jahre verflossen, als diese Forderungen von Frank¬
reich nochmals wiederholt wurden. Der französische Gesandte bezeichnete jetzt
Verweltlichung der Verwaltung, Bewilligung einer Landesvertretung mit ent¬
scheidender Stimme in Betreff der Steuern, Einsetzung von Provinzialräthcn,
ein allgemeines Gesetzbuch, ein neues Steuersystem auf gesunder Grundlage
als die Gegenstünde, die sein Gebieter für dringend geboten erachte.

Die Kurie, auf Oestreich, den Hort des Stillstandssystems diesseits und
jenseits der Alpen, gestützt, gewährte von allem diesem nichts. Wo sie eine
der genannten Forderungen zu erfüllen schien, geschah es so, daß die neue
Schöpfung wie ein Hohn auf den angeblichen Zweck aussah. Sie war darin
nur consequent: liberal zu sein, der übrigen gesitteten Welt analog zu han¬
deln, ist eben gegen die Natur des Papstthums. Pius hat aus eignem An¬
triebe nur zwei dankenswerthe Maßregeln getroffen: die Amnestie und die
Milderung der Censur. Zu der Verfassung vom April 1S47 wurde er schon
halb genöthigt, sie stellt das Aeußerste dar. was ein Papst auf dem Wege
der Reformen in dieser Hinsicht bewilligen kann, und man muß gestehen, daß
die nicht unrecht hatten, welche sie eine Carrikatur auf den Constitutionalis-
mus nannten. Pius ließ sich Vertrauensmänner vorschlagen/ aus denen er
sich eine Consulta zusammensetzte, aber diese Vertrauensmänner wurden nicht


Programm der Bewegung von Rimini im Jahre 1845 enthielt fast nur Um¬
schreibungen und berechtigte Folgerungen aus jenen Vorschlägen der Gro߬
mächte. Dieses Programm verlangte zunächst eine Amnestie, dann ein Civil-
und ein Strafgesetzbuch mit Oeffentlichkeit der Verhandlungen und Geschwornen,
Abschaffung der Vermögenseinziehungen und der Todesstrafe bei Majestäts¬
verbrechen. Verabschiedung der fremden Truppen und Errichtung einer Bürger¬
wehr, Verleihung aller bürgerlichen und militärischen Aemter an Laien. Es
forderte ferner, daß der Papst die Gerichtsbarkeit der Inquisition und der übri¬
gen geistlichen Gerichte über weltliche Personen aushebe, daß er einem aus
Kandidaten der Provinziallandtage gebildeten Staatsrath bei Präventiv- und
Steuergesetzen eine entscheidende, bei allen andern innern Fragen politischer
Natur eine berechtigte Stimme einräume, daß er endlich die Censur auf Ver¬
hütung von Beleidigungen gegen Gott, die Religion und das Oberhaupt der
Kirche, so wie auf Unterdrückung von unsittlichen Aeußerungen und Verläum-
dungen gegen Private beschränke.

Vier Jahre später, als das „rothe Triumvirat" an die Stelle der rothen
Dictatur Mazzinis getreten war, tauchten jene Vorschläge von 1831 in dem
Briefe des Präsidenten Ludwig Bonaparte an den Obersten Ney von Neuem
auf. Das Haupt der französischen Republik verlangte im Wesentlichen vom
Papste: Zulassung der Laien zu allen weltlichen Aemtern, ein allgemeines
Gesetzbuch und eine auf die Bedürfnisse des Volkes berechnete Verwaltung.

Wieder waren neun Jahre verflossen, als diese Forderungen von Frank¬
reich nochmals wiederholt wurden. Der französische Gesandte bezeichnete jetzt
Verweltlichung der Verwaltung, Bewilligung einer Landesvertretung mit ent¬
scheidender Stimme in Betreff der Steuern, Einsetzung von Provinzialräthcn,
ein allgemeines Gesetzbuch, ein neues Steuersystem auf gesunder Grundlage
als die Gegenstünde, die sein Gebieter für dringend geboten erachte.

Die Kurie, auf Oestreich, den Hort des Stillstandssystems diesseits und
jenseits der Alpen, gestützt, gewährte von allem diesem nichts. Wo sie eine
der genannten Forderungen zu erfüllen schien, geschah es so, daß die neue
Schöpfung wie ein Hohn auf den angeblichen Zweck aussah. Sie war darin
nur consequent: liberal zu sein, der übrigen gesitteten Welt analog zu han¬
deln, ist eben gegen die Natur des Papstthums. Pius hat aus eignem An¬
triebe nur zwei dankenswerthe Maßregeln getroffen: die Amnestie und die
Milderung der Censur. Zu der Verfassung vom April 1S47 wurde er schon
halb genöthigt, sie stellt das Aeußerste dar. was ein Papst auf dem Wege
der Reformen in dieser Hinsicht bewilligen kann, und man muß gestehen, daß
die nicht unrecht hatten, welche sie eine Carrikatur auf den Constitutionalis-
mus nannten. Pius ließ sich Vertrauensmänner vorschlagen/ aus denen er
sich eine Consulta zusammensetzte, aber diese Vertrauensmänner wurden nicht


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[0306] Programm der Bewegung von Rimini im Jahre 1845 enthielt fast nur Um¬ schreibungen und berechtigte Folgerungen aus jenen Vorschlägen der Gro߬ mächte. Dieses Programm verlangte zunächst eine Amnestie, dann ein Civil- und ein Strafgesetzbuch mit Oeffentlichkeit der Verhandlungen und Geschwornen, Abschaffung der Vermögenseinziehungen und der Todesstrafe bei Majestäts¬ verbrechen. Verabschiedung der fremden Truppen und Errichtung einer Bürger¬ wehr, Verleihung aller bürgerlichen und militärischen Aemter an Laien. Es forderte ferner, daß der Papst die Gerichtsbarkeit der Inquisition und der übri¬ gen geistlichen Gerichte über weltliche Personen aushebe, daß er einem aus Kandidaten der Provinziallandtage gebildeten Staatsrath bei Präventiv- und Steuergesetzen eine entscheidende, bei allen andern innern Fragen politischer Natur eine berechtigte Stimme einräume, daß er endlich die Censur auf Ver¬ hütung von Beleidigungen gegen Gott, die Religion und das Oberhaupt der Kirche, so wie auf Unterdrückung von unsittlichen Aeußerungen und Verläum- dungen gegen Private beschränke. Vier Jahre später, als das „rothe Triumvirat" an die Stelle der rothen Dictatur Mazzinis getreten war, tauchten jene Vorschläge von 1831 in dem Briefe des Präsidenten Ludwig Bonaparte an den Obersten Ney von Neuem auf. Das Haupt der französischen Republik verlangte im Wesentlichen vom Papste: Zulassung der Laien zu allen weltlichen Aemtern, ein allgemeines Gesetzbuch und eine auf die Bedürfnisse des Volkes berechnete Verwaltung. Wieder waren neun Jahre verflossen, als diese Forderungen von Frank¬ reich nochmals wiederholt wurden. Der französische Gesandte bezeichnete jetzt Verweltlichung der Verwaltung, Bewilligung einer Landesvertretung mit ent¬ scheidender Stimme in Betreff der Steuern, Einsetzung von Provinzialräthcn, ein allgemeines Gesetzbuch, ein neues Steuersystem auf gesunder Grundlage als die Gegenstünde, die sein Gebieter für dringend geboten erachte. Die Kurie, auf Oestreich, den Hort des Stillstandssystems diesseits und jenseits der Alpen, gestützt, gewährte von allem diesem nichts. Wo sie eine der genannten Forderungen zu erfüllen schien, geschah es so, daß die neue Schöpfung wie ein Hohn auf den angeblichen Zweck aussah. Sie war darin nur consequent: liberal zu sein, der übrigen gesitteten Welt analog zu han¬ deln, ist eben gegen die Natur des Papstthums. Pius hat aus eignem An¬ triebe nur zwei dankenswerthe Maßregeln getroffen: die Amnestie und die Milderung der Censur. Zu der Verfassung vom April 1S47 wurde er schon halb genöthigt, sie stellt das Aeußerste dar. was ein Papst auf dem Wege der Reformen in dieser Hinsicht bewilligen kann, und man muß gestehen, daß die nicht unrecht hatten, welche sie eine Carrikatur auf den Constitutionalis- mus nannten. Pius ließ sich Vertrauensmänner vorschlagen/ aus denen er sich eine Consulta zusammensetzte, aber diese Vertrauensmänner wurden nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/306>, abgerufen am 23.07.2024.