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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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suche mit Reformen zu machen. Er hatte eingesehen, daß er gesündigt, als
er der Revolution nachgegeben. Barfuß, in härenem Gewände, eine Kerze in
der Hand hatte er in Gaeta den Bußgang gethan, um von Gott Vergebung
zu erflehen, daß er die Erde mehr gefürchtet als den Himmel. Er drückte,
verbittert durch das, was ihm als Undank des Volkes erscheinen mußte, und
überdies von jetzt an dem Einfluß Oestreichs verfallen, die Augen zu. als die
Reaction den Sieg, den sie nicht selbst erfochten, mit blinder Hast ausbeutete,
antediluvialische Zustünde wieder herstellte und nach allen Seiten ihre Rache
nahm. Auch das gute Herz schwieg jetzt. Der weiche Mann war hart ge¬
worden, an die Stelle der Lenksamkeit war ein zäher Eigensinn getreten, der
nicht eines Fingers Breite mehr nachzugeben gewillt war, selbst den Mächten
nicht, die ihn vor der Revolution gerettet hatten.

Ein Staat, welcher politischer Fäulniß anheimgefallen ist, durch diese Eu¬
ropa bedroht und sich vor dem Untergang nicht selbst schützen kann, muß von
denen, die ihm Hilfe leisten, Rath annehmen. Der Arzt hat das Recht, dem
Kranken eine bestimmte Diät aufzuerlegen. Die Päpste waren daher bis zu
einem gewissen Grade im Unrecht, wenn sie die Reformen, die ihnen die Gro߬
mächte zu verschiedenen Zeiten anriethen, unausgeführt ließen -- bis zu einem
gewissen Grade nur; denn immer wieder erscheint hier der gordische Knoten,
die Unmöglichkeit, ernstlich zu reformiren, ohne die geistliche Seite des Papst¬
thums zu beeinträchtigen, die Erde zu befriedigen ohne gegen den Himmel
zu sündigen. Das Recht der Großmächte, in die weltlichen Angelegenheiten
des Papstthums hineinzureden, ist so alt, wie das Recht des Papstthums, sich in'
die kirchlichen Fragen jener Mächte zu mischen. Es ist, wenn das zu viel ge¬
sagt sein sollte, mindestens so alt, als das Bedürfniß des heiligen Vaters nach
fremder Hilfe bei Niederhaltung der Revolution im Kirchenstaat.

Von diesem Standpunkt ausgehend, stellte die Diplomatie schon nach dem
Aufstand von 1831 bei der Curie Anträge auf Abstellung von Mißbräuchen
und Einführung gewisser Verbesserungen. Diese letzteren beschränkten sich da¬
mals auf Zulassung der Laien zu den weltlichen Aemtern, einen Staatsrath
gebildet aus Männern von Geburt, Vermögen und Talent, einen Oberrechnungs¬
rath, der das Budget aufstelle und das Schuldenwcsen ordne, Provinzialstände,
welche die Steuern zu vertheilen und der Regierung des heiligen Vaters die
Bedürfnisse der Bevölkerung mitzutheilen hätten, Unabhängigkeit des Nichter-
standes, Ausarbeitung von Gesetzen für den ganzen Kirchenstaat, endlich eine
Gemeindeverfassung, welche den Gemeinden die Wahl ihrer Vertreter überlasse
und letzteren einen angemessenen Wirkungskreis anweise.

Diese Rathschläge bildeten die Achse, um die sich die Frage der innern
Politik des römischen Staates bis jetzt gedreht hat. Abgesehen von den Jah¬
ren der Revolution ist man niemals über sie hinausgegangen. Selbst das


suche mit Reformen zu machen. Er hatte eingesehen, daß er gesündigt, als
er der Revolution nachgegeben. Barfuß, in härenem Gewände, eine Kerze in
der Hand hatte er in Gaeta den Bußgang gethan, um von Gott Vergebung
zu erflehen, daß er die Erde mehr gefürchtet als den Himmel. Er drückte,
verbittert durch das, was ihm als Undank des Volkes erscheinen mußte, und
überdies von jetzt an dem Einfluß Oestreichs verfallen, die Augen zu. als die
Reaction den Sieg, den sie nicht selbst erfochten, mit blinder Hast ausbeutete,
antediluvialische Zustünde wieder herstellte und nach allen Seiten ihre Rache
nahm. Auch das gute Herz schwieg jetzt. Der weiche Mann war hart ge¬
worden, an die Stelle der Lenksamkeit war ein zäher Eigensinn getreten, der
nicht eines Fingers Breite mehr nachzugeben gewillt war, selbst den Mächten
nicht, die ihn vor der Revolution gerettet hatten.

Ein Staat, welcher politischer Fäulniß anheimgefallen ist, durch diese Eu¬
ropa bedroht und sich vor dem Untergang nicht selbst schützen kann, muß von
denen, die ihm Hilfe leisten, Rath annehmen. Der Arzt hat das Recht, dem
Kranken eine bestimmte Diät aufzuerlegen. Die Päpste waren daher bis zu
einem gewissen Grade im Unrecht, wenn sie die Reformen, die ihnen die Gro߬
mächte zu verschiedenen Zeiten anriethen, unausgeführt ließen — bis zu einem
gewissen Grade nur; denn immer wieder erscheint hier der gordische Knoten,
die Unmöglichkeit, ernstlich zu reformiren, ohne die geistliche Seite des Papst¬
thums zu beeinträchtigen, die Erde zu befriedigen ohne gegen den Himmel
zu sündigen. Das Recht der Großmächte, in die weltlichen Angelegenheiten
des Papstthums hineinzureden, ist so alt, wie das Recht des Papstthums, sich in'
die kirchlichen Fragen jener Mächte zu mischen. Es ist, wenn das zu viel ge¬
sagt sein sollte, mindestens so alt, als das Bedürfniß des heiligen Vaters nach
fremder Hilfe bei Niederhaltung der Revolution im Kirchenstaat.

Von diesem Standpunkt ausgehend, stellte die Diplomatie schon nach dem
Aufstand von 1831 bei der Curie Anträge auf Abstellung von Mißbräuchen
und Einführung gewisser Verbesserungen. Diese letzteren beschränkten sich da¬
mals auf Zulassung der Laien zu den weltlichen Aemtern, einen Staatsrath
gebildet aus Männern von Geburt, Vermögen und Talent, einen Oberrechnungs¬
rath, der das Budget aufstelle und das Schuldenwcsen ordne, Provinzialstände,
welche die Steuern zu vertheilen und der Regierung des heiligen Vaters die
Bedürfnisse der Bevölkerung mitzutheilen hätten, Unabhängigkeit des Nichter-
standes, Ausarbeitung von Gesetzen für den ganzen Kirchenstaat, endlich eine
Gemeindeverfassung, welche den Gemeinden die Wahl ihrer Vertreter überlasse
und letzteren einen angemessenen Wirkungskreis anweise.

Diese Rathschläge bildeten die Achse, um die sich die Frage der innern
Politik des römischen Staates bis jetzt gedreht hat. Abgesehen von den Jah¬
ren der Revolution ist man niemals über sie hinausgegangen. Selbst das


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[0305] suche mit Reformen zu machen. Er hatte eingesehen, daß er gesündigt, als er der Revolution nachgegeben. Barfuß, in härenem Gewände, eine Kerze in der Hand hatte er in Gaeta den Bußgang gethan, um von Gott Vergebung zu erflehen, daß er die Erde mehr gefürchtet als den Himmel. Er drückte, verbittert durch das, was ihm als Undank des Volkes erscheinen mußte, und überdies von jetzt an dem Einfluß Oestreichs verfallen, die Augen zu. als die Reaction den Sieg, den sie nicht selbst erfochten, mit blinder Hast ausbeutete, antediluvialische Zustünde wieder herstellte und nach allen Seiten ihre Rache nahm. Auch das gute Herz schwieg jetzt. Der weiche Mann war hart ge¬ worden, an die Stelle der Lenksamkeit war ein zäher Eigensinn getreten, der nicht eines Fingers Breite mehr nachzugeben gewillt war, selbst den Mächten nicht, die ihn vor der Revolution gerettet hatten. Ein Staat, welcher politischer Fäulniß anheimgefallen ist, durch diese Eu¬ ropa bedroht und sich vor dem Untergang nicht selbst schützen kann, muß von denen, die ihm Hilfe leisten, Rath annehmen. Der Arzt hat das Recht, dem Kranken eine bestimmte Diät aufzuerlegen. Die Päpste waren daher bis zu einem gewissen Grade im Unrecht, wenn sie die Reformen, die ihnen die Gro߬ mächte zu verschiedenen Zeiten anriethen, unausgeführt ließen — bis zu einem gewissen Grade nur; denn immer wieder erscheint hier der gordische Knoten, die Unmöglichkeit, ernstlich zu reformiren, ohne die geistliche Seite des Papst¬ thums zu beeinträchtigen, die Erde zu befriedigen ohne gegen den Himmel zu sündigen. Das Recht der Großmächte, in die weltlichen Angelegenheiten des Papstthums hineinzureden, ist so alt, wie das Recht des Papstthums, sich in' die kirchlichen Fragen jener Mächte zu mischen. Es ist, wenn das zu viel ge¬ sagt sein sollte, mindestens so alt, als das Bedürfniß des heiligen Vaters nach fremder Hilfe bei Niederhaltung der Revolution im Kirchenstaat. Von diesem Standpunkt ausgehend, stellte die Diplomatie schon nach dem Aufstand von 1831 bei der Curie Anträge auf Abstellung von Mißbräuchen und Einführung gewisser Verbesserungen. Diese letzteren beschränkten sich da¬ mals auf Zulassung der Laien zu den weltlichen Aemtern, einen Staatsrath gebildet aus Männern von Geburt, Vermögen und Talent, einen Oberrechnungs¬ rath, der das Budget aufstelle und das Schuldenwcsen ordne, Provinzialstände, welche die Steuern zu vertheilen und der Regierung des heiligen Vaters die Bedürfnisse der Bevölkerung mitzutheilen hätten, Unabhängigkeit des Nichter- standes, Ausarbeitung von Gesetzen für den ganzen Kirchenstaat, endlich eine Gemeindeverfassung, welche den Gemeinden die Wahl ihrer Vertreter überlasse und letzteren einen angemessenen Wirkungskreis anweise. Diese Rathschläge bildeten die Achse, um die sich die Frage der innern Politik des römischen Staates bis jetzt gedreht hat. Abgesehen von den Jah¬ ren der Revolution ist man niemals über sie hinausgegangen. Selbst das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/305>, abgerufen am 23.07.2024.