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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Lombardei stehe" lassen. Rechnen wir dazu 100,000 Mann. Ihrer tapfern Piemon"
lesen und die 40,000 bis 50.000 Mann, die Mittelitalien in der Zwischenzeit
schlagfertig machen wird, so haben wir eine kampfbereite Macht von 200,000 Mann,
die wohl mehr als hinreichen wird, um Oestreichs üble Laune im Zaum
zu halten, zumal da dessen unheilbare Finanznoth es unfehlbar in Kurzem
zu Reduktionen in seinem Heerwesen nöthigen, jedenfalls aber eine kräftige
und nachhaltige Kriegführung ihm unmöglich machen wird. -- Aber ich glaube
einen Ausdruck des Erstaunens in den Mienen Ew. Maj. zu bemerken. Sind
Sie nicht mit mir einverstanden?

V. E. Wenn mein Gesicht einen andern Ausdruck zeigt, als den der
Bewunderung, so ist es nicht der rechte. Wie sollte ich mit einem so klugen
und zugleich so einfachen, so faßlichen und so leicht ausführbaren Plane nicht
einverstanden sein? Wenn nur die östreichischen Staatsmänner ihn nicht
durchschauen.

N. Eben deshalb dürfen wir ihnen nicht lange Zeit zum Nachdenken
lassen. Wir müssen, die Stimmung des Augenblicks benutzend, so rasch als
möglich und mit Franz Joseph persönlich verhandeln und abschließen.

V. E. Sehr gut! Aber Ew. Maj. haben noch nichts von der Romagna
gesagt.

N. Es ist kaum etwas Besonderes über sie zu sagen; denn sie ist in
demselben Falle, wie die drei Herzogthümer, wird also gemeinschaftliche Sache
mit ihnen machen. Das schützende Prinzip der Nicht-Intervention und sonach
die Entscheidung ihrer Zukunft durch den Volkswillen gilt auch für sie. Nur
ihren Landesherrn könnten wir freilich nicht hindern, seine Gewalt über sie
wieder herzustellen. Indeß gegen die päpstliche Kriegsmacht werden sie sich
wohl selbst zu schützen wissen.

V. E. Aber die delikaten Verwickelungen, die diese Losreißung, dem
Papste und der ganzen katholischen Kirche gegenüber, nach sich ziehen wird?

N. Sind weniger schwierig, als sie auf den ersten Blick scheinen mö¬
gen, obwohl der Lärm darüber, besonders von Seiten der Geistlichkeit, groß
genug sein wird. Erstlich datirt das jetzige Verhältniß der Romagna zum
Kirchenstaate erst von 1815, kann also nicht heiliger sein als so viele andere
Bestimmungen jener Vertrüge, die bereits zu Nichte geworden. Zweitens ist
der Papst in meiner Hand; denn sobald ich meine Truppen aus Rom zurück¬
ziehe, so verliert er in kürzester Frist seine ganze weltliche Herrschaft. Drit¬
tens kann es mir nicht zum Vorwurf gereichen, wenn das Volk der Ro¬
magna die geistliche Herrschaft unerträglich findet und von sich stößt. Ich
werde Sr. Heiligkeit stets die liebreichsten Worte geben und mich als ein
frommer und guter Sohn der Kirche benehmen. Aber wenn die Romagna
sich aus eignem Antrieb und durch eigne Kraft vom päpstlichen Stuhle un-


Lombardei stehe» lassen. Rechnen wir dazu 100,000 Mann. Ihrer tapfern Piemon«
lesen und die 40,000 bis 50.000 Mann, die Mittelitalien in der Zwischenzeit
schlagfertig machen wird, so haben wir eine kampfbereite Macht von 200,000 Mann,
die wohl mehr als hinreichen wird, um Oestreichs üble Laune im Zaum
zu halten, zumal da dessen unheilbare Finanznoth es unfehlbar in Kurzem
zu Reduktionen in seinem Heerwesen nöthigen, jedenfalls aber eine kräftige
und nachhaltige Kriegführung ihm unmöglich machen wird. — Aber ich glaube
einen Ausdruck des Erstaunens in den Mienen Ew. Maj. zu bemerken. Sind
Sie nicht mit mir einverstanden?

V. E. Wenn mein Gesicht einen andern Ausdruck zeigt, als den der
Bewunderung, so ist es nicht der rechte. Wie sollte ich mit einem so klugen
und zugleich so einfachen, so faßlichen und so leicht ausführbaren Plane nicht
einverstanden sein? Wenn nur die östreichischen Staatsmänner ihn nicht
durchschauen.

N. Eben deshalb dürfen wir ihnen nicht lange Zeit zum Nachdenken
lassen. Wir müssen, die Stimmung des Augenblicks benutzend, so rasch als
möglich und mit Franz Joseph persönlich verhandeln und abschließen.

V. E. Sehr gut! Aber Ew. Maj. haben noch nichts von der Romagna
gesagt.

N. Es ist kaum etwas Besonderes über sie zu sagen; denn sie ist in
demselben Falle, wie die drei Herzogthümer, wird also gemeinschaftliche Sache
mit ihnen machen. Das schützende Prinzip der Nicht-Intervention und sonach
die Entscheidung ihrer Zukunft durch den Volkswillen gilt auch für sie. Nur
ihren Landesherrn könnten wir freilich nicht hindern, seine Gewalt über sie
wieder herzustellen. Indeß gegen die päpstliche Kriegsmacht werden sie sich
wohl selbst zu schützen wissen.

V. E. Aber die delikaten Verwickelungen, die diese Losreißung, dem
Papste und der ganzen katholischen Kirche gegenüber, nach sich ziehen wird?

N. Sind weniger schwierig, als sie auf den ersten Blick scheinen mö¬
gen, obwohl der Lärm darüber, besonders von Seiten der Geistlichkeit, groß
genug sein wird. Erstlich datirt das jetzige Verhältniß der Romagna zum
Kirchenstaate erst von 1815, kann also nicht heiliger sein als so viele andere
Bestimmungen jener Vertrüge, die bereits zu Nichte geworden. Zweitens ist
der Papst in meiner Hand; denn sobald ich meine Truppen aus Rom zurück¬
ziehe, so verliert er in kürzester Frist seine ganze weltliche Herrschaft. Drit¬
tens kann es mir nicht zum Vorwurf gereichen, wenn das Volk der Ro¬
magna die geistliche Herrschaft unerträglich findet und von sich stößt. Ich
werde Sr. Heiligkeit stets die liebreichsten Worte geben und mich als ein
frommer und guter Sohn der Kirche benehmen. Aber wenn die Romagna
sich aus eignem Antrieb und durch eigne Kraft vom päpstlichen Stuhle un-


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[0262] Lombardei stehe» lassen. Rechnen wir dazu 100,000 Mann. Ihrer tapfern Piemon« lesen und die 40,000 bis 50.000 Mann, die Mittelitalien in der Zwischenzeit schlagfertig machen wird, so haben wir eine kampfbereite Macht von 200,000 Mann, die wohl mehr als hinreichen wird, um Oestreichs üble Laune im Zaum zu halten, zumal da dessen unheilbare Finanznoth es unfehlbar in Kurzem zu Reduktionen in seinem Heerwesen nöthigen, jedenfalls aber eine kräftige und nachhaltige Kriegführung ihm unmöglich machen wird. — Aber ich glaube einen Ausdruck des Erstaunens in den Mienen Ew. Maj. zu bemerken. Sind Sie nicht mit mir einverstanden? V. E. Wenn mein Gesicht einen andern Ausdruck zeigt, als den der Bewunderung, so ist es nicht der rechte. Wie sollte ich mit einem so klugen und zugleich so einfachen, so faßlichen und so leicht ausführbaren Plane nicht einverstanden sein? Wenn nur die östreichischen Staatsmänner ihn nicht durchschauen. N. Eben deshalb dürfen wir ihnen nicht lange Zeit zum Nachdenken lassen. Wir müssen, die Stimmung des Augenblicks benutzend, so rasch als möglich und mit Franz Joseph persönlich verhandeln und abschließen. V. E. Sehr gut! Aber Ew. Maj. haben noch nichts von der Romagna gesagt. N. Es ist kaum etwas Besonderes über sie zu sagen; denn sie ist in demselben Falle, wie die drei Herzogthümer, wird also gemeinschaftliche Sache mit ihnen machen. Das schützende Prinzip der Nicht-Intervention und sonach die Entscheidung ihrer Zukunft durch den Volkswillen gilt auch für sie. Nur ihren Landesherrn könnten wir freilich nicht hindern, seine Gewalt über sie wieder herzustellen. Indeß gegen die päpstliche Kriegsmacht werden sie sich wohl selbst zu schützen wissen. V. E. Aber die delikaten Verwickelungen, die diese Losreißung, dem Papste und der ganzen katholischen Kirche gegenüber, nach sich ziehen wird? N. Sind weniger schwierig, als sie auf den ersten Blick scheinen mö¬ gen, obwohl der Lärm darüber, besonders von Seiten der Geistlichkeit, groß genug sein wird. Erstlich datirt das jetzige Verhältniß der Romagna zum Kirchenstaate erst von 1815, kann also nicht heiliger sein als so viele andere Bestimmungen jener Vertrüge, die bereits zu Nichte geworden. Zweitens ist der Papst in meiner Hand; denn sobald ich meine Truppen aus Rom zurück¬ ziehe, so verliert er in kürzester Frist seine ganze weltliche Herrschaft. Drit¬ tens kann es mir nicht zum Vorwurf gereichen, wenn das Volk der Ro¬ magna die geistliche Herrschaft unerträglich findet und von sich stößt. Ich werde Sr. Heiligkeit stets die liebreichsten Worte geben und mich als ein frommer und guter Sohn der Kirche benehmen. Aber wenn die Romagna sich aus eignem Antrieb und durch eigne Kraft vom päpstlichen Stuhle un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/262>, abgerufen am 23.07.2024.