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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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baren Vorgehen ein wenig aufzuhalten und zu beschränken. Das trat zuerst
in einem Artikel des Moniteur vom 9. September zu Tage, welchen dann
die übrigen officiösen Pariser Journale weiter ausführten und erklärten. Wenn
man diese Zeitungsrhetoren sprechen hörte, sollte Venetien ein wahres irdisches
Paradies, die Krone der italienischen Länder in Bezug auf Unabhängigkeit und
Glück der innern Verhältnisse werden, -- falls nur, das blieb die unaus-
weichbarc Bedingung, Toscana und Modena ihre Herzöge oder entsprechende
Congreßsurrogate dafür wieder zurücknähmen. Andernfalls freilich erhielt der
Jude erschreckliche Hiebe.

Es war sonderbar, daß in derselben Zeit als diese Predigten erfolgten,
eine Art Deputation Venetiens sich in Turin aufhielt, welche die dort anwesen¬
den Toscaner, die eben Victor Emanuel die Beschlüsse ihrer Repräsentanten-
Versammlung überbracht hatten, in einer Adresse begrüßten, in welcher die
Venetianer erklärten, daß sie mit Ruhe und Würde von der Einigung Italiens
auch ihre Befreiung erwarteten. Die piemontcsische und mittelitalienische Presse
antwortete auf die napoleonischen Insinuationen wegen des Tauschgeschäftes,
das mit Venetien und den Herzögen betrieben werden sollte, fast aus einem
Munde: man solle die Nachkommen Machiavellis nicht für so einfältig halten.
Sie wüßten sehr wol. daß sie am Ende der Gewalt und der Uebermacht er¬
liegen könnten; aber man solle sich nicht einbilden, ihnen begreiflich machen
zu können, daß Weiß Schwarz oder daß Schwarz Weiß sei. Man erinnert sich,
daß beim Beginne des Feldzuges von 1859 viel davon die Rede war, Pie-
mont würde schließlich für seine erwarteten Vergrößerungen in Italien und
zur Deckung der französischen Kriegskosten an Frankreich Savoyen abtreten,
dessen Einwohner zum größten Theile französisch reden. Nach dem Frieden
von Villafmnca machte sich nun wirklich eine Agitation in Savoyen für die
Abtrennung von Piemont und Verbindung mit Frankreich stark bemerkbar.
Sie ward hauptsächlich von dem Clerus betrieben, fand aber beim Volke im
Allgemeinen nicht den erwarteten Anklang. Man berechnete, daß Savoyen
bei seinen Industrie- und Handelsverhältnissen durch die Verbindung mit Frank¬
reich nichts gewinnen, sondern im Gegentheil erheblich verlieren werde,
und auch das politische Regiment in Frankreich schien den Savoyarden nicht
besonders begehrenswert!). Uebrigens ward in Bezug aus die politischen Ver¬
hältnisse noch darauf aufmerksam gemacht, daß diese Veränderung des Besitz¬
standes schwerlich ohne die Zustimmung der europäischen Großmächte vor¬
genommen werden könne, welche 1815 die Hereinziehung von Faucigny, Cha-
blais und Genevois in die schweizerische Neutralität garantirt hätten, und denen
es ebensowenig als der Schweiz selbst lieb sein könne, wenn diese im Süden
zu einem großen Theile von Frankreich umschlossen werde. Von wirklichen
Verhandlungen über Savoyen zwischen Frankreich und Piemont war auch


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baren Vorgehen ein wenig aufzuhalten und zu beschränken. Das trat zuerst
in einem Artikel des Moniteur vom 9. September zu Tage, welchen dann
die übrigen officiösen Pariser Journale weiter ausführten und erklärten. Wenn
man diese Zeitungsrhetoren sprechen hörte, sollte Venetien ein wahres irdisches
Paradies, die Krone der italienischen Länder in Bezug auf Unabhängigkeit und
Glück der innern Verhältnisse werden, — falls nur, das blieb die unaus-
weichbarc Bedingung, Toscana und Modena ihre Herzöge oder entsprechende
Congreßsurrogate dafür wieder zurücknähmen. Andernfalls freilich erhielt der
Jude erschreckliche Hiebe.

Es war sonderbar, daß in derselben Zeit als diese Predigten erfolgten,
eine Art Deputation Venetiens sich in Turin aufhielt, welche die dort anwesen¬
den Toscaner, die eben Victor Emanuel die Beschlüsse ihrer Repräsentanten-
Versammlung überbracht hatten, in einer Adresse begrüßten, in welcher die
Venetianer erklärten, daß sie mit Ruhe und Würde von der Einigung Italiens
auch ihre Befreiung erwarteten. Die piemontcsische und mittelitalienische Presse
antwortete auf die napoleonischen Insinuationen wegen des Tauschgeschäftes,
das mit Venetien und den Herzögen betrieben werden sollte, fast aus einem
Munde: man solle die Nachkommen Machiavellis nicht für so einfältig halten.
Sie wüßten sehr wol. daß sie am Ende der Gewalt und der Uebermacht er¬
liegen könnten; aber man solle sich nicht einbilden, ihnen begreiflich machen
zu können, daß Weiß Schwarz oder daß Schwarz Weiß sei. Man erinnert sich,
daß beim Beginne des Feldzuges von 1859 viel davon die Rede war, Pie-
mont würde schließlich für seine erwarteten Vergrößerungen in Italien und
zur Deckung der französischen Kriegskosten an Frankreich Savoyen abtreten,
dessen Einwohner zum größten Theile französisch reden. Nach dem Frieden
von Villafmnca machte sich nun wirklich eine Agitation in Savoyen für die
Abtrennung von Piemont und Verbindung mit Frankreich stark bemerkbar.
Sie ward hauptsächlich von dem Clerus betrieben, fand aber beim Volke im
Allgemeinen nicht den erwarteten Anklang. Man berechnete, daß Savoyen
bei seinen Industrie- und Handelsverhältnissen durch die Verbindung mit Frank¬
reich nichts gewinnen, sondern im Gegentheil erheblich verlieren werde,
und auch das politische Regiment in Frankreich schien den Savoyarden nicht
besonders begehrenswert!). Uebrigens ward in Bezug aus die politischen Ver¬
hältnisse noch darauf aufmerksam gemacht, daß diese Veränderung des Besitz¬
standes schwerlich ohne die Zustimmung der europäischen Großmächte vor¬
genommen werden könne, welche 1815 die Hereinziehung von Faucigny, Cha-
blais und Genevois in die schweizerische Neutralität garantirt hätten, und denen
es ebensowenig als der Schweiz selbst lieb sein könne, wenn diese im Süden
zu einem großen Theile von Frankreich umschlossen werde. Von wirklichen
Verhandlungen über Savoyen zwischen Frankreich und Piemont war auch


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[0239] baren Vorgehen ein wenig aufzuhalten und zu beschränken. Das trat zuerst in einem Artikel des Moniteur vom 9. September zu Tage, welchen dann die übrigen officiösen Pariser Journale weiter ausführten und erklärten. Wenn man diese Zeitungsrhetoren sprechen hörte, sollte Venetien ein wahres irdisches Paradies, die Krone der italienischen Länder in Bezug auf Unabhängigkeit und Glück der innern Verhältnisse werden, — falls nur, das blieb die unaus- weichbarc Bedingung, Toscana und Modena ihre Herzöge oder entsprechende Congreßsurrogate dafür wieder zurücknähmen. Andernfalls freilich erhielt der Jude erschreckliche Hiebe. Es war sonderbar, daß in derselben Zeit als diese Predigten erfolgten, eine Art Deputation Venetiens sich in Turin aufhielt, welche die dort anwesen¬ den Toscaner, die eben Victor Emanuel die Beschlüsse ihrer Repräsentanten- Versammlung überbracht hatten, in einer Adresse begrüßten, in welcher die Venetianer erklärten, daß sie mit Ruhe und Würde von der Einigung Italiens auch ihre Befreiung erwarteten. Die piemontcsische und mittelitalienische Presse antwortete auf die napoleonischen Insinuationen wegen des Tauschgeschäftes, das mit Venetien und den Herzögen betrieben werden sollte, fast aus einem Munde: man solle die Nachkommen Machiavellis nicht für so einfältig halten. Sie wüßten sehr wol. daß sie am Ende der Gewalt und der Uebermacht er¬ liegen könnten; aber man solle sich nicht einbilden, ihnen begreiflich machen zu können, daß Weiß Schwarz oder daß Schwarz Weiß sei. Man erinnert sich, daß beim Beginne des Feldzuges von 1859 viel davon die Rede war, Pie- mont würde schließlich für seine erwarteten Vergrößerungen in Italien und zur Deckung der französischen Kriegskosten an Frankreich Savoyen abtreten, dessen Einwohner zum größten Theile französisch reden. Nach dem Frieden von Villafmnca machte sich nun wirklich eine Agitation in Savoyen für die Abtrennung von Piemont und Verbindung mit Frankreich stark bemerkbar. Sie ward hauptsächlich von dem Clerus betrieben, fand aber beim Volke im Allgemeinen nicht den erwarteten Anklang. Man berechnete, daß Savoyen bei seinen Industrie- und Handelsverhältnissen durch die Verbindung mit Frank¬ reich nichts gewinnen, sondern im Gegentheil erheblich verlieren werde, und auch das politische Regiment in Frankreich schien den Savoyarden nicht besonders begehrenswert!). Uebrigens ward in Bezug aus die politischen Ver¬ hältnisse noch darauf aufmerksam gemacht, daß diese Veränderung des Besitz¬ standes schwerlich ohne die Zustimmung der europäischen Großmächte vor¬ genommen werden könne, welche 1815 die Hereinziehung von Faucigny, Cha- blais und Genevois in die schweizerische Neutralität garantirt hätten, und denen es ebensowenig als der Schweiz selbst lieb sein könne, wenn diese im Süden zu einem großen Theile von Frankreich umschlossen werde. Von wirklichen Verhandlungen über Savoyen zwischen Frankreich und Piemont war auch 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/239>, abgerufen am 23.07.2024.