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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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-- Für einen Diplomaten vom Schlage des Fürsten v. Ligne gibt es freilich
mehr an einem Hofe zu thun, wo ein weiblicher Genius waltet.

Der dritte Band enthält Bemerkungen über die französische Revolution,
von denen wir einiges mittheilen, um zu zeigen, wie ein großer Herr von
damals sich die Sache vorstellte. -- Ich gehöre nicht zu den ehrenwerthen
Mitgliedern, sagte er, die, nachdem sie ein Paar Jahre mit der Revolution
gespielt, sich jetzt aus Widerspruchsgeist oder Eigennutz zu Royalisten machen.
Ich bin nicht wie jener Marquis, der fest überzeugt ist, daß ohne sein Mar-
quisat Europa zu Grunde geht. Aber ich meine, daß man des allgemeinen
Besten wegen alle diese Dinge so viel als möglich wieder herstellen muß,
weil die Welt um so ruhiger sein wird, je zahlreicher die Stufen, Classen
und Gliederungen sind, die zwischen dem König und dem Sänftenträger liegen.
-- Jedermann legt sich aus seine Weise die Gründe der Revolution zurecht.
Sie ist ausgebrochen, sagen die Frommen, weil man die Encyclopädie las;
die Ludwigsritter, weil Herr von Se. Germain boshafter Weise die Pensionen
beschnitt; der Clerus, weil es keinen Beichtvater von Distinction gab, der den
König hätte leiten können; die lustigen Vögel, weil der König keine Maitresse
hatte; die Minister, weil er sich ihnen nicht unbedingt anvertraute; die jungen
Leute vom Hof, weil man ihnen keinen Gesandtschaftsposten gab; die kleinen
Hoffräulein, weil ihre Liebhaber noch nicht Marschälle von Frankreich waren;
die Literaten, weil sie keinen Collegen im Ministerium hatten; die Dichter,
weil man bei Hof die Verse nicht liebte; die Juweliere, wegen der Halsband-
Geschichte; die Soldaten, weil nur der Edelmann Officier wurde; und die jungen
Pedanten aus der guten Gesellschaft, weil die Königin sich mit ihren Projec-
ten nicht ennuyiren wollte. Was mich betrifft, der alle diese Dinge von nahe¬
bei gesehen, so sage ich: les Sols, les Le616rg,es, les gen" ä'esxrit: errsurs,
Korrsul-L, swxeur. -- Ohne daran zu denken, arbeitete die gute Gesellschaft
aufs eifrigste an der Republik. Sie hatte nicht Charakter genug, um die
Zeiten der Ligue, nicht Geist genug, um die der Fronde zu erneuern; sie
schmollte mit dem Hof, machte Spottlieder gegen ihn und feierte jeden, der
in Ungnade gefallen war. Niederträchtigerweise schickten die Minister Auf¬
wiegler von Profession nach Polen, nach Nordamerika, nach Brüssel, ja bis
nach der Türkei. Diese Wirthschaft im auswärtigen Amt hat mehr zur Re¬
volution beigetragen als die Maitressen Ludwigs des Fünfzehnten. Das kö¬
nigliche Paar beging nur den Fehler, daß es die bösen Zungen ungestraft
lästern ließ. Die sogenannten ehrlichen Leute waren vom Fieber der Anglo-
mcmie ergriffen. Alle Pflastertreter, der Herr Herzog, der Herr Marquis, der
Herr Bischof und der Herr Abbe schrien wetteifernd: wir wollen etwas sein!
wir haben kein Geschüft, wir wollen arbeiten, wir sind mit zur Regierung
unseres Landes berufen! -- Wenn man in den guten alten Zeiten dem Mar-


Gre"zboten I. 1360, 24

— Für einen Diplomaten vom Schlage des Fürsten v. Ligne gibt es freilich
mehr an einem Hofe zu thun, wo ein weiblicher Genius waltet.

Der dritte Band enthält Bemerkungen über die französische Revolution,
von denen wir einiges mittheilen, um zu zeigen, wie ein großer Herr von
damals sich die Sache vorstellte. — Ich gehöre nicht zu den ehrenwerthen
Mitgliedern, sagte er, die, nachdem sie ein Paar Jahre mit der Revolution
gespielt, sich jetzt aus Widerspruchsgeist oder Eigennutz zu Royalisten machen.
Ich bin nicht wie jener Marquis, der fest überzeugt ist, daß ohne sein Mar-
quisat Europa zu Grunde geht. Aber ich meine, daß man des allgemeinen
Besten wegen alle diese Dinge so viel als möglich wieder herstellen muß,
weil die Welt um so ruhiger sein wird, je zahlreicher die Stufen, Classen
und Gliederungen sind, die zwischen dem König und dem Sänftenträger liegen.
— Jedermann legt sich aus seine Weise die Gründe der Revolution zurecht.
Sie ist ausgebrochen, sagen die Frommen, weil man die Encyclopädie las;
die Ludwigsritter, weil Herr von Se. Germain boshafter Weise die Pensionen
beschnitt; der Clerus, weil es keinen Beichtvater von Distinction gab, der den
König hätte leiten können; die lustigen Vögel, weil der König keine Maitresse
hatte; die Minister, weil er sich ihnen nicht unbedingt anvertraute; die jungen
Leute vom Hof, weil man ihnen keinen Gesandtschaftsposten gab; die kleinen
Hoffräulein, weil ihre Liebhaber noch nicht Marschälle von Frankreich waren;
die Literaten, weil sie keinen Collegen im Ministerium hatten; die Dichter,
weil man bei Hof die Verse nicht liebte; die Juweliere, wegen der Halsband-
Geschichte; die Soldaten, weil nur der Edelmann Officier wurde; und die jungen
Pedanten aus der guten Gesellschaft, weil die Königin sich mit ihren Projec-
ten nicht ennuyiren wollte. Was mich betrifft, der alle diese Dinge von nahe¬
bei gesehen, so sage ich: les Sols, les Le616rg,es, les gen« ä'esxrit: errsurs,
Korrsul-L, swxeur. — Ohne daran zu denken, arbeitete die gute Gesellschaft
aufs eifrigste an der Republik. Sie hatte nicht Charakter genug, um die
Zeiten der Ligue, nicht Geist genug, um die der Fronde zu erneuern; sie
schmollte mit dem Hof, machte Spottlieder gegen ihn und feierte jeden, der
in Ungnade gefallen war. Niederträchtigerweise schickten die Minister Auf¬
wiegler von Profession nach Polen, nach Nordamerika, nach Brüssel, ja bis
nach der Türkei. Diese Wirthschaft im auswärtigen Amt hat mehr zur Re¬
volution beigetragen als die Maitressen Ludwigs des Fünfzehnten. Das kö¬
nigliche Paar beging nur den Fehler, daß es die bösen Zungen ungestraft
lästern ließ. Die sogenannten ehrlichen Leute waren vom Fieber der Anglo-
mcmie ergriffen. Alle Pflastertreter, der Herr Herzog, der Herr Marquis, der
Herr Bischof und der Herr Abbe schrien wetteifernd: wir wollen etwas sein!
wir haben kein Geschüft, wir wollen arbeiten, wir sind mit zur Regierung
unseres Landes berufen! — Wenn man in den guten alten Zeiten dem Mar-


Gre»zboten I. 1360, 24
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[0197] — Für einen Diplomaten vom Schlage des Fürsten v. Ligne gibt es freilich mehr an einem Hofe zu thun, wo ein weiblicher Genius waltet. Der dritte Band enthält Bemerkungen über die französische Revolution, von denen wir einiges mittheilen, um zu zeigen, wie ein großer Herr von damals sich die Sache vorstellte. — Ich gehöre nicht zu den ehrenwerthen Mitgliedern, sagte er, die, nachdem sie ein Paar Jahre mit der Revolution gespielt, sich jetzt aus Widerspruchsgeist oder Eigennutz zu Royalisten machen. Ich bin nicht wie jener Marquis, der fest überzeugt ist, daß ohne sein Mar- quisat Europa zu Grunde geht. Aber ich meine, daß man des allgemeinen Besten wegen alle diese Dinge so viel als möglich wieder herstellen muß, weil die Welt um so ruhiger sein wird, je zahlreicher die Stufen, Classen und Gliederungen sind, die zwischen dem König und dem Sänftenträger liegen. — Jedermann legt sich aus seine Weise die Gründe der Revolution zurecht. Sie ist ausgebrochen, sagen die Frommen, weil man die Encyclopädie las; die Ludwigsritter, weil Herr von Se. Germain boshafter Weise die Pensionen beschnitt; der Clerus, weil es keinen Beichtvater von Distinction gab, der den König hätte leiten können; die lustigen Vögel, weil der König keine Maitresse hatte; die Minister, weil er sich ihnen nicht unbedingt anvertraute; die jungen Leute vom Hof, weil man ihnen keinen Gesandtschaftsposten gab; die kleinen Hoffräulein, weil ihre Liebhaber noch nicht Marschälle von Frankreich waren; die Literaten, weil sie keinen Collegen im Ministerium hatten; die Dichter, weil man bei Hof die Verse nicht liebte; die Juweliere, wegen der Halsband- Geschichte; die Soldaten, weil nur der Edelmann Officier wurde; und die jungen Pedanten aus der guten Gesellschaft, weil die Königin sich mit ihren Projec- ten nicht ennuyiren wollte. Was mich betrifft, der alle diese Dinge von nahe¬ bei gesehen, so sage ich: les Sols, les Le616rg,es, les gen« ä'esxrit: errsurs, Korrsul-L, swxeur. — Ohne daran zu denken, arbeitete die gute Gesellschaft aufs eifrigste an der Republik. Sie hatte nicht Charakter genug, um die Zeiten der Ligue, nicht Geist genug, um die der Fronde zu erneuern; sie schmollte mit dem Hof, machte Spottlieder gegen ihn und feierte jeden, der in Ungnade gefallen war. Niederträchtigerweise schickten die Minister Auf¬ wiegler von Profession nach Polen, nach Nordamerika, nach Brüssel, ja bis nach der Türkei. Diese Wirthschaft im auswärtigen Amt hat mehr zur Re¬ volution beigetragen als die Maitressen Ludwigs des Fünfzehnten. Das kö¬ nigliche Paar beging nur den Fehler, daß es die bösen Zungen ungestraft lästern ließ. Die sogenannten ehrlichen Leute waren vom Fieber der Anglo- mcmie ergriffen. Alle Pflastertreter, der Herr Herzog, der Herr Marquis, der Herr Bischof und der Herr Abbe schrien wetteifernd: wir wollen etwas sein! wir haben kein Geschüft, wir wollen arbeiten, wir sind mit zur Regierung unseres Landes berufen! — Wenn man in den guten alten Zeiten dem Mar- Gre»zboten I. 1360, 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/197>, abgerufen am 23.07.2024.