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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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seine Heere die Nationen der drei Welttheile unterjocht; als nun das alte Reich
allmülig morsch wurde und die Völker sich politisch befreite", gelang es der
auf das römische Kaiserreich aufgebauten Kirche, die Rolle der Cäsaren fortzu¬
spielen: nicht durch eigene Kraft, sondern durch ihren Bund mit den deutschen
Fürsten, die sie mit der eitlen Würde eines römischen Kaisers lockte. Das
Bündniß wurde für die letztern selbst verderblich: was Carl der Große und
Otto der Große aufgerichtet, führte zum Untergang ihrer Nachfolger, der Hohen,
Staufen. Als Hildebrand für die Kirche ein Princip gefunden hatte, und das¬
selbe mit der Kraft einer großen Seele durchführte, waren seine Gegner, die
römischen Kaiser, die schwächeren; denn sie stützten sich auf kein Princip, ihr
Anspruch, die Welt zu beherrschen, konnte nur durch rohe Gewalt ausgeführt
werden. Mit diesem Anspruch beleidigten sie nicht nur die Völker, die außer¬
halb ihres Gebiets lagen und denen sie nichts als hohle Anmaßungen ent¬
gegensetzen konnten, sondern auch ihre eignen Völker. Die Italiener verbanden
sich mit dein Papst, nicht aus kirchlichen Gründen, sondern weil der Papst ihre
Nationalität schützte, und in Deutschland selbst gab es eine sehr starke welfische,
d. h. nationale, Partei, die einmal sogar, in Heinrich dem Löwen, einen mäch¬
tigen Führer fand, der unter glücklicheren Umständen vielleicht schon damals
hätte durchführen können, was wir heute erstreben, die Losreißung Deutsch¬
lands vom römischen Reich. Heinrich der Löwe wurde gedemüthigt; aber kaum
zwei Menschenalter nach seinem Fall stürzte auch das römische Reich zusammen,
und die Anarchie bemächtigte sich Deutschlands; kaum zwei Menschenalter nach
diesem Ereignis; verfiel auch die Kirche der Anarchie.

Diese Begebenheiten philosophisch zu beleuchten und in ihrem innern Zu¬
sammenhange darzustellen, ist die Aufgabe, die sich Professor Laurent gestellt
hat; er stützt seine Arbeit zugleich auf ein sehr umfassendes und einsichtsvolles
Quellenstudium und weiß so gut zu erzählen, daß dem Buch zahlreiche und
aufmerksame Leser ebenso zu versprechen als zu wünschen sind.

Die sittliche Anarchie in der Kirche und im Kaiserreich dauerte fort bis
zu der Periode der Reformation; in dieser Periode dienten alle Ideen nur als
Deckmantel der gemeinsten Selbstsucht. Daß die Reformation nicht bloß eine
religiöse, sondern auch eine nationale Bewegung war. daß sich in ihr nament¬
lich der deutsche Geist gegen den römischen empörte, ist schon vielfach bemerkt
worden. Leider war dgmals unser Kaiser kein Deutscher, sondern ein Spanier,
der sich rühmte, daß in seinem Reich die Sonne nicht untergehe und der daher
unmöglich eine Bewegung begünstigen konnte, die dazu bestimmt schien, Deutsch¬
land eine selbstständige nationale Gestalt zu geben. Wenn es ihm nur sehr
theilweise gelang, die Bewegung einzudämmen, so hatten seine Nachfolger, die
Habsburger, einen größern Erfolg: mit Hilfe der spanischen Priester, der Je-


seine Heere die Nationen der drei Welttheile unterjocht; als nun das alte Reich
allmülig morsch wurde und die Völker sich politisch befreite», gelang es der
auf das römische Kaiserreich aufgebauten Kirche, die Rolle der Cäsaren fortzu¬
spielen: nicht durch eigene Kraft, sondern durch ihren Bund mit den deutschen
Fürsten, die sie mit der eitlen Würde eines römischen Kaisers lockte. Das
Bündniß wurde für die letztern selbst verderblich: was Carl der Große und
Otto der Große aufgerichtet, führte zum Untergang ihrer Nachfolger, der Hohen,
Staufen. Als Hildebrand für die Kirche ein Princip gefunden hatte, und das¬
selbe mit der Kraft einer großen Seele durchführte, waren seine Gegner, die
römischen Kaiser, die schwächeren; denn sie stützten sich auf kein Princip, ihr
Anspruch, die Welt zu beherrschen, konnte nur durch rohe Gewalt ausgeführt
werden. Mit diesem Anspruch beleidigten sie nicht nur die Völker, die außer¬
halb ihres Gebiets lagen und denen sie nichts als hohle Anmaßungen ent¬
gegensetzen konnten, sondern auch ihre eignen Völker. Die Italiener verbanden
sich mit dein Papst, nicht aus kirchlichen Gründen, sondern weil der Papst ihre
Nationalität schützte, und in Deutschland selbst gab es eine sehr starke welfische,
d. h. nationale, Partei, die einmal sogar, in Heinrich dem Löwen, einen mäch¬
tigen Führer fand, der unter glücklicheren Umständen vielleicht schon damals
hätte durchführen können, was wir heute erstreben, die Losreißung Deutsch¬
lands vom römischen Reich. Heinrich der Löwe wurde gedemüthigt; aber kaum
zwei Menschenalter nach seinem Fall stürzte auch das römische Reich zusammen,
und die Anarchie bemächtigte sich Deutschlands; kaum zwei Menschenalter nach
diesem Ereignis; verfiel auch die Kirche der Anarchie.

Diese Begebenheiten philosophisch zu beleuchten und in ihrem innern Zu¬
sammenhange darzustellen, ist die Aufgabe, die sich Professor Laurent gestellt
hat; er stützt seine Arbeit zugleich auf ein sehr umfassendes und einsichtsvolles
Quellenstudium und weiß so gut zu erzählen, daß dem Buch zahlreiche und
aufmerksame Leser ebenso zu versprechen als zu wünschen sind.

Die sittliche Anarchie in der Kirche und im Kaiserreich dauerte fort bis
zu der Periode der Reformation; in dieser Periode dienten alle Ideen nur als
Deckmantel der gemeinsten Selbstsucht. Daß die Reformation nicht bloß eine
religiöse, sondern auch eine nationale Bewegung war. daß sich in ihr nament¬
lich der deutsche Geist gegen den römischen empörte, ist schon vielfach bemerkt
worden. Leider war dgmals unser Kaiser kein Deutscher, sondern ein Spanier,
der sich rühmte, daß in seinem Reich die Sonne nicht untergehe und der daher
unmöglich eine Bewegung begünstigen konnte, die dazu bestimmt schien, Deutsch¬
land eine selbstständige nationale Gestalt zu geben. Wenn es ihm nur sehr
theilweise gelang, die Bewegung einzudämmen, so hatten seine Nachfolger, die
Habsburger, einen größern Erfolg: mit Hilfe der spanischen Priester, der Je-


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[0186] seine Heere die Nationen der drei Welttheile unterjocht; als nun das alte Reich allmülig morsch wurde und die Völker sich politisch befreite», gelang es der auf das römische Kaiserreich aufgebauten Kirche, die Rolle der Cäsaren fortzu¬ spielen: nicht durch eigene Kraft, sondern durch ihren Bund mit den deutschen Fürsten, die sie mit der eitlen Würde eines römischen Kaisers lockte. Das Bündniß wurde für die letztern selbst verderblich: was Carl der Große und Otto der Große aufgerichtet, führte zum Untergang ihrer Nachfolger, der Hohen, Staufen. Als Hildebrand für die Kirche ein Princip gefunden hatte, und das¬ selbe mit der Kraft einer großen Seele durchführte, waren seine Gegner, die römischen Kaiser, die schwächeren; denn sie stützten sich auf kein Princip, ihr Anspruch, die Welt zu beherrschen, konnte nur durch rohe Gewalt ausgeführt werden. Mit diesem Anspruch beleidigten sie nicht nur die Völker, die außer¬ halb ihres Gebiets lagen und denen sie nichts als hohle Anmaßungen ent¬ gegensetzen konnten, sondern auch ihre eignen Völker. Die Italiener verbanden sich mit dein Papst, nicht aus kirchlichen Gründen, sondern weil der Papst ihre Nationalität schützte, und in Deutschland selbst gab es eine sehr starke welfische, d. h. nationale, Partei, die einmal sogar, in Heinrich dem Löwen, einen mäch¬ tigen Führer fand, der unter glücklicheren Umständen vielleicht schon damals hätte durchführen können, was wir heute erstreben, die Losreißung Deutsch¬ lands vom römischen Reich. Heinrich der Löwe wurde gedemüthigt; aber kaum zwei Menschenalter nach seinem Fall stürzte auch das römische Reich zusammen, und die Anarchie bemächtigte sich Deutschlands; kaum zwei Menschenalter nach diesem Ereignis; verfiel auch die Kirche der Anarchie. Diese Begebenheiten philosophisch zu beleuchten und in ihrem innern Zu¬ sammenhange darzustellen, ist die Aufgabe, die sich Professor Laurent gestellt hat; er stützt seine Arbeit zugleich auf ein sehr umfassendes und einsichtsvolles Quellenstudium und weiß so gut zu erzählen, daß dem Buch zahlreiche und aufmerksame Leser ebenso zu versprechen als zu wünschen sind. Die sittliche Anarchie in der Kirche und im Kaiserreich dauerte fort bis zu der Periode der Reformation; in dieser Periode dienten alle Ideen nur als Deckmantel der gemeinsten Selbstsucht. Daß die Reformation nicht bloß eine religiöse, sondern auch eine nationale Bewegung war. daß sich in ihr nament¬ lich der deutsche Geist gegen den römischen empörte, ist schon vielfach bemerkt worden. Leider war dgmals unser Kaiser kein Deutscher, sondern ein Spanier, der sich rühmte, daß in seinem Reich die Sonne nicht untergehe und der daher unmöglich eine Bewegung begünstigen konnte, die dazu bestimmt schien, Deutsch¬ land eine selbstständige nationale Gestalt zu geben. Wenn es ihm nur sehr theilweise gelang, die Bewegung einzudämmen, so hatten seine Nachfolger, die Habsburger, einen größern Erfolg: mit Hilfe der spanischen Priester, der Je-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/186>, abgerufen am 23.07.2024.