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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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einen Unterschied ins Auge zu fassen, der in den Parteikämpfen des Tages
bald von größter Wichtigkeit sein wird.

Seitdem Kaiser Napoleon dem Papst den Handschuh hingeworfen, regt
sich in sämmtlichen Ländern die ultramontane Partei, und richtet angeblich
im Namen sämmtlicher katholischer Staatsbürger des Landes auch nu den
protestantischen Staat die Forderung, er solle um der Gewissensfreiheit willen,
welche er jenen schuldet, jede Verkleinerung des Kirchenstaats hintertreiben,
weil durch dieselbe das Gewissen aller Katholiken verletzt werde. Es ist von
hoher Wichtigkeit, diesem Vorgeben von vornherein entgegenzutreten und
jener Partei nachzuweisen, daß sie sich irrt, daß sie keineswegs das Recht hat,
als Vertreterin der Katholiken aufzutreten, daß zwischen Katholiken und Pro¬
testanten vollkommner Friede herrscht, und das; der Ultramontanismus es mit
einem Gegner zu thun hat, der außerhalb aller religiösen Beziehungen steht,
mit dem Nntionalitätsprincip.

Zwischen Katholiken und Protestanten herrscht vollkommner Friede. Der
dreifache Gegensatz, der zwischen den beiden Confessionen besteht, in den Dog¬
men, in den Cullusformen und in den sittlichen Einrichtungen, hat in der
Hauptsache nur noch eine historische Bedeutung. Aus den Gegensatz der Dog-
motik wird nur noch von denjenigen Gewicht gelegt, welche die Religion zu
Zwecken der Herrschaft mißbrauchen möchten; um den Unterschied der Cullus¬
formen hat man sich so gewöhnt, daß sie bei der entgegengesetzten Partei nicht
mehr Abscheu, sondern sogar ein gewisses romantisches Interesse erregen. Be¬
denklicher ist es freilich mit den sittlichen Einrichtungen. Das Cölibat der
Priester und das Mönchthum lassen sich schwer mit den Grundsätzen einer ver¬
ständigen Staatswirthschaft vereinbaren; aber auch hier hat bereits die Ver¬
gangenheit gezeigt, daß innerhalb des Katholicismus selbst fehr viel geschehen
kann, um zwischen den kirchlichen Traditionen und den Bedürfnissen der Gegen¬
wart eine Ausgleichung stattfinden zu lassen. Innerhalb der katholischen
Kirche selbst steht der Ultramontanismus den Wünschen und
Interessen der Bevölkerung aufs schroffste gegenüber. Einer der
wichtigsten Gründe der Unzufriedenheit in Oestreich, welche 1848 zum Ausbruch
kam. war das den Ordensgeistlichen in die Hände gegebene Erziehungswesen,
einer der wichtigsten Gründe der Unzufriedenheit, die jetzt herrscht, ist das
Concordat. Die Katholiken haben viel mehr Veranlassung, den Ultramontanis¬
mus zu hassen und zu bekämpfen, als die Protestanten; denn den letztern thut
er keinen unmittelbaren Schaden, die erstern werden durch ihn in ihren heilig¬
sten Rechten beeinträchtigt. >

Untersuchen wir den tiefsten Kern des Ultramontanismus, so finden wir,
daß er mit dem Christenthum nicht das mindeste zu thun hat, sondern eine
tramige Hinterlassenschaft des alten heidnischen Rom ist. Rom hatte durch


einen Unterschied ins Auge zu fassen, der in den Parteikämpfen des Tages
bald von größter Wichtigkeit sein wird.

Seitdem Kaiser Napoleon dem Papst den Handschuh hingeworfen, regt
sich in sämmtlichen Ländern die ultramontane Partei, und richtet angeblich
im Namen sämmtlicher katholischer Staatsbürger des Landes auch nu den
protestantischen Staat die Forderung, er solle um der Gewissensfreiheit willen,
welche er jenen schuldet, jede Verkleinerung des Kirchenstaats hintertreiben,
weil durch dieselbe das Gewissen aller Katholiken verletzt werde. Es ist von
hoher Wichtigkeit, diesem Vorgeben von vornherein entgegenzutreten und
jener Partei nachzuweisen, daß sie sich irrt, daß sie keineswegs das Recht hat,
als Vertreterin der Katholiken aufzutreten, daß zwischen Katholiken und Pro¬
testanten vollkommner Friede herrscht, und das; der Ultramontanismus es mit
einem Gegner zu thun hat, der außerhalb aller religiösen Beziehungen steht,
mit dem Nntionalitätsprincip.

Zwischen Katholiken und Protestanten herrscht vollkommner Friede. Der
dreifache Gegensatz, der zwischen den beiden Confessionen besteht, in den Dog¬
men, in den Cullusformen und in den sittlichen Einrichtungen, hat in der
Hauptsache nur noch eine historische Bedeutung. Aus den Gegensatz der Dog-
motik wird nur noch von denjenigen Gewicht gelegt, welche die Religion zu
Zwecken der Herrschaft mißbrauchen möchten; um den Unterschied der Cullus¬
formen hat man sich so gewöhnt, daß sie bei der entgegengesetzten Partei nicht
mehr Abscheu, sondern sogar ein gewisses romantisches Interesse erregen. Be¬
denklicher ist es freilich mit den sittlichen Einrichtungen. Das Cölibat der
Priester und das Mönchthum lassen sich schwer mit den Grundsätzen einer ver¬
ständigen Staatswirthschaft vereinbaren; aber auch hier hat bereits die Ver¬
gangenheit gezeigt, daß innerhalb des Katholicismus selbst fehr viel geschehen
kann, um zwischen den kirchlichen Traditionen und den Bedürfnissen der Gegen¬
wart eine Ausgleichung stattfinden zu lassen. Innerhalb der katholischen
Kirche selbst steht der Ultramontanismus den Wünschen und
Interessen der Bevölkerung aufs schroffste gegenüber. Einer der
wichtigsten Gründe der Unzufriedenheit in Oestreich, welche 1848 zum Ausbruch
kam. war das den Ordensgeistlichen in die Hände gegebene Erziehungswesen,
einer der wichtigsten Gründe der Unzufriedenheit, die jetzt herrscht, ist das
Concordat. Die Katholiken haben viel mehr Veranlassung, den Ultramontanis¬
mus zu hassen und zu bekämpfen, als die Protestanten; denn den letztern thut
er keinen unmittelbaren Schaden, die erstern werden durch ihn in ihren heilig¬
sten Rechten beeinträchtigt. >

Untersuchen wir den tiefsten Kern des Ultramontanismus, so finden wir,
daß er mit dem Christenthum nicht das mindeste zu thun hat, sondern eine
tramige Hinterlassenschaft des alten heidnischen Rom ist. Rom hatte durch


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[0185] einen Unterschied ins Auge zu fassen, der in den Parteikämpfen des Tages bald von größter Wichtigkeit sein wird. Seitdem Kaiser Napoleon dem Papst den Handschuh hingeworfen, regt sich in sämmtlichen Ländern die ultramontane Partei, und richtet angeblich im Namen sämmtlicher katholischer Staatsbürger des Landes auch nu den protestantischen Staat die Forderung, er solle um der Gewissensfreiheit willen, welche er jenen schuldet, jede Verkleinerung des Kirchenstaats hintertreiben, weil durch dieselbe das Gewissen aller Katholiken verletzt werde. Es ist von hoher Wichtigkeit, diesem Vorgeben von vornherein entgegenzutreten und jener Partei nachzuweisen, daß sie sich irrt, daß sie keineswegs das Recht hat, als Vertreterin der Katholiken aufzutreten, daß zwischen Katholiken und Pro¬ testanten vollkommner Friede herrscht, und das; der Ultramontanismus es mit einem Gegner zu thun hat, der außerhalb aller religiösen Beziehungen steht, mit dem Nntionalitätsprincip. Zwischen Katholiken und Protestanten herrscht vollkommner Friede. Der dreifache Gegensatz, der zwischen den beiden Confessionen besteht, in den Dog¬ men, in den Cullusformen und in den sittlichen Einrichtungen, hat in der Hauptsache nur noch eine historische Bedeutung. Aus den Gegensatz der Dog- motik wird nur noch von denjenigen Gewicht gelegt, welche die Religion zu Zwecken der Herrschaft mißbrauchen möchten; um den Unterschied der Cullus¬ formen hat man sich so gewöhnt, daß sie bei der entgegengesetzten Partei nicht mehr Abscheu, sondern sogar ein gewisses romantisches Interesse erregen. Be¬ denklicher ist es freilich mit den sittlichen Einrichtungen. Das Cölibat der Priester und das Mönchthum lassen sich schwer mit den Grundsätzen einer ver¬ ständigen Staatswirthschaft vereinbaren; aber auch hier hat bereits die Ver¬ gangenheit gezeigt, daß innerhalb des Katholicismus selbst fehr viel geschehen kann, um zwischen den kirchlichen Traditionen und den Bedürfnissen der Gegen¬ wart eine Ausgleichung stattfinden zu lassen. Innerhalb der katholischen Kirche selbst steht der Ultramontanismus den Wünschen und Interessen der Bevölkerung aufs schroffste gegenüber. Einer der wichtigsten Gründe der Unzufriedenheit in Oestreich, welche 1848 zum Ausbruch kam. war das den Ordensgeistlichen in die Hände gegebene Erziehungswesen, einer der wichtigsten Gründe der Unzufriedenheit, die jetzt herrscht, ist das Concordat. Die Katholiken haben viel mehr Veranlassung, den Ultramontanis¬ mus zu hassen und zu bekämpfen, als die Protestanten; denn den letztern thut er keinen unmittelbaren Schaden, die erstern werden durch ihn in ihren heilig¬ sten Rechten beeinträchtigt. > Untersuchen wir den tiefsten Kern des Ultramontanismus, so finden wir, daß er mit dem Christenthum nicht das mindeste zu thun hat, sondern eine tramige Hinterlassenschaft des alten heidnischen Rom ist. Rom hatte durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/185>, abgerufen am 23.07.2024.