Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

von Hirtenbriefen der Erzbischöfe und Bischöfe von ganz Europa, sogenannten Pro¬
testationen gegen das "Attentat" auf den Papst und den heiligen Stuhl. Die
giftigsten Anklagen gegen die Nomagnolen, die Leiter der Bewegung in Mittel-
italien. gegen Victor Emanuel und verblümt selbst gegen Napoleon III. waren
darin mit den gewagtesten und einfältigsten Behauptungen vermischt. Der
Bischof von Poitiers hatte die Stirne zu behaupten, daß der Kirchenstaat das
bestregierte Land in Europa sei. Die schweizerische Kirchenzeitung war unseres
Wissens das erste Blatt, welches mit besonderem Nachdruck hervorhob, daß der
Kirchenstaat nicht blos seinen Bewohnern, sondern der ganzen katholischen
Christenheit gehöre und diese gegen jede Theilung auch ein Wort mitzureden
habe, -- eine Meinung, welche allerdings von den Romagnolen in ihren
Staatsschristen bereits gründlich und für jeden richtig beschaffenen Verstand
siegreich widerlegt war, aber insbesondere von den Piusvereinen, die sich zur
Aufgabe gemacht zu haben scheinen, einen neuen Religionskrieg in Europa zu
schüren, mit Eifer ergriffen und als Standarte ihrer Wühlereien aufgepflanzt
wurde. Als Napoleon am 11. October auf der Rückreise von Biarriz nach
Paris Bordeaux passirte, siel ihn der Erzbischof dieser Diöcese mit einer Rede
im Sinne der Hirtenbriefswühlereien an. Er erinnerte den Kaiser daran, daß
derselbe 1849 den päpstlichen Stuhl wieder aufgerichtet und sich dadurch den
Dank der gesammten katholischen Christenheit verdient habe; welche jetzt bete,
daß er, nach Gott die nächste Hoffnung der katholischen Welt, auch in dem¬
selben Sinne handle, welcher ihm früher die Worte eingegeben habe: "die
weltliche Herrschaft des ehrwürdigen Oberhauptes der Kirche ist mit dem
Glänze des Katholicismus, wie mit der Freiheit und Unabhängigkeit Italiens
eng verknüpft. Napoleon antwortete daraus in einer Art, als ob er nicht ganz
recht gehört habe. Er legte dem Erzbischof in seiner Antwort die Absicht unter, als
habe dieser sagen wollen, daß er die Schwierigkeiten wohl erkenne, mit denen
der Kaiser in der italienischen Frage zu kämpfen habe, als wolle der Erzbischof
nicht wühlen, sondern beruhigen. Der Kaiser fuhr dann fort: er könne hier
nicht die ganze Frage entwickeln; seine Regierung könne dem Papst nur Rath¬
schläge in dessen eignem Interesse geben. Sie sei aber nicht ohne Grund
über den Tag in Unruhe, der doch einmal kommen müsse, an welchem die
französische Besatzung Rom verlassen werde. Was werde diese Besatzung dann
hinter sich lassen: die Anarchie? den Tenorismus? oder den Frieden? Das
sei sehr schwer in günstigem Sinne zu beantworten. Man müsse in dieser
Zeit nicht die Leidenschaften wachrufen, sondern die Wahrheit mit Ruhe auf¬
suchen und die Vorsehung bitten, daß sie Völker und Fürsten über die weise
Ausübung ihrer Rechte, wie über den Anfang ihrer Pflichten erleuchte. Man
sieht, daß Napoleon in dieser Antwort nichts versprach, dagegen sehr deutlich
zu verstehen gab, daß der heilige Vater einer Erleuchtung über seine Pflichten


von Hirtenbriefen der Erzbischöfe und Bischöfe von ganz Europa, sogenannten Pro¬
testationen gegen das „Attentat" auf den Papst und den heiligen Stuhl. Die
giftigsten Anklagen gegen die Nomagnolen, die Leiter der Bewegung in Mittel-
italien. gegen Victor Emanuel und verblümt selbst gegen Napoleon III. waren
darin mit den gewagtesten und einfältigsten Behauptungen vermischt. Der
Bischof von Poitiers hatte die Stirne zu behaupten, daß der Kirchenstaat das
bestregierte Land in Europa sei. Die schweizerische Kirchenzeitung war unseres
Wissens das erste Blatt, welches mit besonderem Nachdruck hervorhob, daß der
Kirchenstaat nicht blos seinen Bewohnern, sondern der ganzen katholischen
Christenheit gehöre und diese gegen jede Theilung auch ein Wort mitzureden
habe, — eine Meinung, welche allerdings von den Romagnolen in ihren
Staatsschristen bereits gründlich und für jeden richtig beschaffenen Verstand
siegreich widerlegt war, aber insbesondere von den Piusvereinen, die sich zur
Aufgabe gemacht zu haben scheinen, einen neuen Religionskrieg in Europa zu
schüren, mit Eifer ergriffen und als Standarte ihrer Wühlereien aufgepflanzt
wurde. Als Napoleon am 11. October auf der Rückreise von Biarriz nach
Paris Bordeaux passirte, siel ihn der Erzbischof dieser Diöcese mit einer Rede
im Sinne der Hirtenbriefswühlereien an. Er erinnerte den Kaiser daran, daß
derselbe 1849 den päpstlichen Stuhl wieder aufgerichtet und sich dadurch den
Dank der gesammten katholischen Christenheit verdient habe; welche jetzt bete,
daß er, nach Gott die nächste Hoffnung der katholischen Welt, auch in dem¬
selben Sinne handle, welcher ihm früher die Worte eingegeben habe: „die
weltliche Herrschaft des ehrwürdigen Oberhauptes der Kirche ist mit dem
Glänze des Katholicismus, wie mit der Freiheit und Unabhängigkeit Italiens
eng verknüpft. Napoleon antwortete daraus in einer Art, als ob er nicht ganz
recht gehört habe. Er legte dem Erzbischof in seiner Antwort die Absicht unter, als
habe dieser sagen wollen, daß er die Schwierigkeiten wohl erkenne, mit denen
der Kaiser in der italienischen Frage zu kämpfen habe, als wolle der Erzbischof
nicht wühlen, sondern beruhigen. Der Kaiser fuhr dann fort: er könne hier
nicht die ganze Frage entwickeln; seine Regierung könne dem Papst nur Rath¬
schläge in dessen eignem Interesse geben. Sie sei aber nicht ohne Grund
über den Tag in Unruhe, der doch einmal kommen müsse, an welchem die
französische Besatzung Rom verlassen werde. Was werde diese Besatzung dann
hinter sich lassen: die Anarchie? den Tenorismus? oder den Frieden? Das
sei sehr schwer in günstigem Sinne zu beantworten. Man müsse in dieser
Zeit nicht die Leidenschaften wachrufen, sondern die Wahrheit mit Ruhe auf¬
suchen und die Vorsehung bitten, daß sie Völker und Fürsten über die weise
Ausübung ihrer Rechte, wie über den Anfang ihrer Pflichten erleuchte. Man
sieht, daß Napoleon in dieser Antwort nichts versprach, dagegen sehr deutlich
zu verstehen gab, daß der heilige Vater einer Erleuchtung über seine Pflichten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108880"/>
          <p xml:id="ID_440" prev="#ID_439" next="#ID_441"> von Hirtenbriefen der Erzbischöfe und Bischöfe von ganz Europa, sogenannten Pro¬<lb/>
testationen gegen das &#x201E;Attentat" auf den Papst und den heiligen Stuhl. Die<lb/>
giftigsten Anklagen gegen die Nomagnolen, die Leiter der Bewegung in Mittel-<lb/>
italien. gegen Victor Emanuel und verblümt selbst gegen Napoleon III. waren<lb/>
darin mit den gewagtesten und einfältigsten Behauptungen vermischt. Der<lb/>
Bischof von Poitiers hatte die Stirne zu behaupten, daß der Kirchenstaat das<lb/>
bestregierte Land in Europa sei. Die schweizerische Kirchenzeitung war unseres<lb/>
Wissens das erste Blatt, welches mit besonderem Nachdruck hervorhob, daß der<lb/>
Kirchenstaat nicht blos seinen Bewohnern, sondern der ganzen katholischen<lb/>
Christenheit gehöre und diese gegen jede Theilung auch ein Wort mitzureden<lb/>
habe, &#x2014; eine Meinung, welche allerdings von den Romagnolen in ihren<lb/>
Staatsschristen bereits gründlich und für jeden richtig beschaffenen Verstand<lb/>
siegreich widerlegt war, aber insbesondere von den Piusvereinen, die sich zur<lb/>
Aufgabe gemacht zu haben scheinen, einen neuen Religionskrieg in Europa zu<lb/>
schüren, mit Eifer ergriffen und als Standarte ihrer Wühlereien aufgepflanzt<lb/>
wurde. Als Napoleon am 11. October auf der Rückreise von Biarriz nach<lb/>
Paris Bordeaux passirte, siel ihn der Erzbischof dieser Diöcese mit einer Rede<lb/>
im Sinne der Hirtenbriefswühlereien an. Er erinnerte den Kaiser daran, daß<lb/>
derselbe 1849 den päpstlichen Stuhl wieder aufgerichtet und sich dadurch den<lb/>
Dank der gesammten katholischen Christenheit verdient habe; welche jetzt bete,<lb/>
daß er, nach Gott die nächste Hoffnung der katholischen Welt, auch in dem¬<lb/>
selben Sinne handle, welcher ihm früher die Worte eingegeben habe: &#x201E;die<lb/>
weltliche Herrschaft des ehrwürdigen Oberhauptes der Kirche ist mit dem<lb/>
Glänze des Katholicismus, wie mit der Freiheit und Unabhängigkeit Italiens<lb/>
eng verknüpft. Napoleon antwortete daraus in einer Art, als ob er nicht ganz<lb/>
recht gehört habe. Er legte dem Erzbischof in seiner Antwort die Absicht unter, als<lb/>
habe dieser sagen wollen, daß er die Schwierigkeiten wohl erkenne, mit denen<lb/>
der Kaiser in der italienischen Frage zu kämpfen habe, als wolle der Erzbischof<lb/>
nicht wühlen, sondern beruhigen. Der Kaiser fuhr dann fort: er könne hier<lb/>
nicht die ganze Frage entwickeln; seine Regierung könne dem Papst nur Rath¬<lb/>
schläge in dessen eignem Interesse geben. Sie sei aber nicht ohne Grund<lb/>
über den Tag in Unruhe, der doch einmal kommen müsse, an welchem die<lb/>
französische Besatzung Rom verlassen werde. Was werde diese Besatzung dann<lb/>
hinter sich lassen: die Anarchie? den Tenorismus? oder den Frieden? Das<lb/>
sei sehr schwer in günstigem Sinne zu beantworten. Man müsse in dieser<lb/>
Zeit nicht die Leidenschaften wachrufen, sondern die Wahrheit mit Ruhe auf¬<lb/>
suchen und die Vorsehung bitten, daß sie Völker und Fürsten über die weise<lb/>
Ausübung ihrer Rechte, wie über den Anfang ihrer Pflichten erleuchte. Man<lb/>
sieht, daß Napoleon in dieser Antwort nichts versprach, dagegen sehr deutlich<lb/>
zu verstehen gab, daß der heilige Vater einer Erleuchtung über seine Pflichten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] von Hirtenbriefen der Erzbischöfe und Bischöfe von ganz Europa, sogenannten Pro¬ testationen gegen das „Attentat" auf den Papst und den heiligen Stuhl. Die giftigsten Anklagen gegen die Nomagnolen, die Leiter der Bewegung in Mittel- italien. gegen Victor Emanuel und verblümt selbst gegen Napoleon III. waren darin mit den gewagtesten und einfältigsten Behauptungen vermischt. Der Bischof von Poitiers hatte die Stirne zu behaupten, daß der Kirchenstaat das bestregierte Land in Europa sei. Die schweizerische Kirchenzeitung war unseres Wissens das erste Blatt, welches mit besonderem Nachdruck hervorhob, daß der Kirchenstaat nicht blos seinen Bewohnern, sondern der ganzen katholischen Christenheit gehöre und diese gegen jede Theilung auch ein Wort mitzureden habe, — eine Meinung, welche allerdings von den Romagnolen in ihren Staatsschristen bereits gründlich und für jeden richtig beschaffenen Verstand siegreich widerlegt war, aber insbesondere von den Piusvereinen, die sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen, einen neuen Religionskrieg in Europa zu schüren, mit Eifer ergriffen und als Standarte ihrer Wühlereien aufgepflanzt wurde. Als Napoleon am 11. October auf der Rückreise von Biarriz nach Paris Bordeaux passirte, siel ihn der Erzbischof dieser Diöcese mit einer Rede im Sinne der Hirtenbriefswühlereien an. Er erinnerte den Kaiser daran, daß derselbe 1849 den päpstlichen Stuhl wieder aufgerichtet und sich dadurch den Dank der gesammten katholischen Christenheit verdient habe; welche jetzt bete, daß er, nach Gott die nächste Hoffnung der katholischen Welt, auch in dem¬ selben Sinne handle, welcher ihm früher die Worte eingegeben habe: „die weltliche Herrschaft des ehrwürdigen Oberhauptes der Kirche ist mit dem Glänze des Katholicismus, wie mit der Freiheit und Unabhängigkeit Italiens eng verknüpft. Napoleon antwortete daraus in einer Art, als ob er nicht ganz recht gehört habe. Er legte dem Erzbischof in seiner Antwort die Absicht unter, als habe dieser sagen wollen, daß er die Schwierigkeiten wohl erkenne, mit denen der Kaiser in der italienischen Frage zu kämpfen habe, als wolle der Erzbischof nicht wühlen, sondern beruhigen. Der Kaiser fuhr dann fort: er könne hier nicht die ganze Frage entwickeln; seine Regierung könne dem Papst nur Rath¬ schläge in dessen eignem Interesse geben. Sie sei aber nicht ohne Grund über den Tag in Unruhe, der doch einmal kommen müsse, an welchem die französische Besatzung Rom verlassen werde. Was werde diese Besatzung dann hinter sich lassen: die Anarchie? den Tenorismus? oder den Frieden? Das sei sehr schwer in günstigem Sinne zu beantworten. Man müsse in dieser Zeit nicht die Leidenschaften wachrufen, sondern die Wahrheit mit Ruhe auf¬ suchen und die Vorsehung bitten, daß sie Völker und Fürsten über die weise Ausübung ihrer Rechte, wie über den Anfang ihrer Pflichten erleuchte. Man sieht, daß Napoleon in dieser Antwort nichts versprach, dagegen sehr deutlich zu verstehen gab, daß der heilige Vater einer Erleuchtung über seine Pflichten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/158>, abgerufen am 23.07.2024.