Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.allen Glauben an die Einsicht und Redlichkeit der Menschen verlor. Aber ein Es fällt uns nicht ein, zu glauben, daß dies hinreichte, ein vollständiges In der That gehört nur eine mäßige Kenntniß der englischen Geschichts¬ 17*
allen Glauben an die Einsicht und Redlichkeit der Menschen verlor. Aber ein Es fällt uns nicht ein, zu glauben, daß dies hinreichte, ein vollständiges In der That gehört nur eine mäßige Kenntniß der englischen Geschichts¬ 17*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/108865"/> <p xml:id="ID_411" prev="#ID_410"> allen Glauben an die Einsicht und Redlichkeit der Menschen verlor. Aber ein<lb/> selbstherrschender König wurde er doch nicht, schon darum nicht, weil in seiner<lb/> Natur nicht einmal so viel Hingebung lag, als zur regelmäßigen Leitung von<lb/> Geschäften nothwendig ist. So ließ er sich von Cromwell an Anna von Eleve<lb/> verheirathen. Der Minister mußte aber die unelegante Gestalt und das nicht<lb/> hübsche Gesicht derselben mit seinem Kopfe bezahlen. Die Thatsachen, auf<lb/> welche wir unsere Ansichten stützen, treten uns in solcher Fülle entgegen, daß<lb/> uns der Reichthum derselben die Wahl schwer macht. Wir wollen nur an<lb/> einen ziemlich bekannten Vorgang aus der letzten Lebensperiode dieses Königs<lb/> erinnern, der für seine Sinnesweise nach mehr als einer Richtung hin bezeich¬<lb/> nend ist. Heinrich, der durch körperliche Leiden früh unförmlich und hinfällig<lb/> geworden war, heirathete in seinem 47. Jahre Katharina Parr, die, obgleich<lb/> zweimal Wittwe geworden, noch jung war, wol hauptsächlich nur, um eine<lb/> Krankenpflegerin um sich zu haben. Er behandelte sie wie eine Magd. So<lb/> mußte sie, wenn er Minister anhörte, oder Gesandten empfing, neben ihm<lb/> sitzen und sein geschwollenes Bein auf ihrem Schooße halten. Sie war Prote¬<lb/> stantin und die Partei Gardiner und Wriotheslay sahen sie daher ungern. Als<lb/> sie sich eines Tages unterfangen hatte, mit dem König über religiöse Gegen,<lb/> stände zu disputiren, benutzten ihre Gegner seinen Aerger über die Anmaßung,<lb/> die Erlaubniß zur Verhaftung der Königin von ihm zu erwirken, die ebenso<lb/> viel als ein Todesurtheil war. Die Königin erfuhr das sogleich. Sie begab<lb/> sich in das Nebenzimmer, wo sie so fürchterlich zu weinen, zu schluchzen und zu<lb/> heulen anfing, daß es dem König unerträglich wurde. Sein geschwollenes<lb/> Bein, das ihm jede Bewegung schmerzlich machte, hinderte ihn daran sich fort¬<lb/> zubegeben. Von der andern Seite ließ sich die Königin nicht beschwichtigen<lb/> und konnte nicht, ohne die Scene zum Aeußersten zu treiben, entfernt werden.<lb/> Um sich einen ruhigen Abend zu verschaffen, gab der König nach. Eine Aus-<lb/> söhnung kam zu Stande und als Wriotheslay am andern Tage mit dem Ver-<lb/> haftsbefehle kam, mußte er sich glücklich preisen, nur schimpflich aus dem Pa¬<lb/> laste gejagt, nicht selbst aufs Blutgerüst geschickt zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_412"> Es fällt uns nicht ein, zu glauben, daß dies hinreichte, ein vollständiges<lb/> Bild vom Charakter Heinrichs des Achten zu geben. Es zeigt unseres Erachtens<lb/> aber doch, von welchen kleinen Einflüssen, „sein jeder Zeit fester Wille" ab¬<lb/> hängig war, und daß die Parteien sich bis in seine unmittelbarste Umgebung<lb/> wagten. Er war oft der Spielball der Intriguen. Nur war er aller Zeit<lb/> bereit, auf den blutigsten Rath zu hören.</p><lb/> <p xml:id="ID_413" next="#ID_414"> In der That gehört nur eine mäßige Kenntniß der englischen Geschichts¬<lb/> literatur dazu, um zu sehen, von wem Prof. R. sich zur Bewunderung der<lb/> fast übermenschlichen Herrschertalente Heinrichs des Achten verleiten läßt. Die<lb/> Grundlage seiner Darstellung bildet die Geschichte der Reformation von Bi-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 17*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
allen Glauben an die Einsicht und Redlichkeit der Menschen verlor. Aber ein
selbstherrschender König wurde er doch nicht, schon darum nicht, weil in seiner
Natur nicht einmal so viel Hingebung lag, als zur regelmäßigen Leitung von
Geschäften nothwendig ist. So ließ er sich von Cromwell an Anna von Eleve
verheirathen. Der Minister mußte aber die unelegante Gestalt und das nicht
hübsche Gesicht derselben mit seinem Kopfe bezahlen. Die Thatsachen, auf
welche wir unsere Ansichten stützen, treten uns in solcher Fülle entgegen, daß
uns der Reichthum derselben die Wahl schwer macht. Wir wollen nur an
einen ziemlich bekannten Vorgang aus der letzten Lebensperiode dieses Königs
erinnern, der für seine Sinnesweise nach mehr als einer Richtung hin bezeich¬
nend ist. Heinrich, der durch körperliche Leiden früh unförmlich und hinfällig
geworden war, heirathete in seinem 47. Jahre Katharina Parr, die, obgleich
zweimal Wittwe geworden, noch jung war, wol hauptsächlich nur, um eine
Krankenpflegerin um sich zu haben. Er behandelte sie wie eine Magd. So
mußte sie, wenn er Minister anhörte, oder Gesandten empfing, neben ihm
sitzen und sein geschwollenes Bein auf ihrem Schooße halten. Sie war Prote¬
stantin und die Partei Gardiner und Wriotheslay sahen sie daher ungern. Als
sie sich eines Tages unterfangen hatte, mit dem König über religiöse Gegen,
stände zu disputiren, benutzten ihre Gegner seinen Aerger über die Anmaßung,
die Erlaubniß zur Verhaftung der Königin von ihm zu erwirken, die ebenso
viel als ein Todesurtheil war. Die Königin erfuhr das sogleich. Sie begab
sich in das Nebenzimmer, wo sie so fürchterlich zu weinen, zu schluchzen und zu
heulen anfing, daß es dem König unerträglich wurde. Sein geschwollenes
Bein, das ihm jede Bewegung schmerzlich machte, hinderte ihn daran sich fort¬
zubegeben. Von der andern Seite ließ sich die Königin nicht beschwichtigen
und konnte nicht, ohne die Scene zum Aeußersten zu treiben, entfernt werden.
Um sich einen ruhigen Abend zu verschaffen, gab der König nach. Eine Aus-
söhnung kam zu Stande und als Wriotheslay am andern Tage mit dem Ver-
haftsbefehle kam, mußte er sich glücklich preisen, nur schimpflich aus dem Pa¬
laste gejagt, nicht selbst aufs Blutgerüst geschickt zu werden.
Es fällt uns nicht ein, zu glauben, daß dies hinreichte, ein vollständiges
Bild vom Charakter Heinrichs des Achten zu geben. Es zeigt unseres Erachtens
aber doch, von welchen kleinen Einflüssen, „sein jeder Zeit fester Wille" ab¬
hängig war, und daß die Parteien sich bis in seine unmittelbarste Umgebung
wagten. Er war oft der Spielball der Intriguen. Nur war er aller Zeit
bereit, auf den blutigsten Rath zu hören.
In der That gehört nur eine mäßige Kenntniß der englischen Geschichts¬
literatur dazu, um zu sehen, von wem Prof. R. sich zur Bewunderung der
fast übermenschlichen Herrschertalente Heinrichs des Achten verleiten läßt. Die
Grundlage seiner Darstellung bildet die Geschichte der Reformation von Bi-
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