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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band.

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Gemeinheiten zu weit trieben, wurden sie wol gelegentlich auch der Polizei
Preis gegeben, wie wir es bei Hall lesen. Aber diese gemeinen Schmeichler
waren nicht die einzigen. Männer der Wissenschaft und Fürsten der größten
Reiche gesellten sich zu ihnen. Die Bemerkung, die Hallam über Erasmus
macht, daß er auf dem Kontinent ein Demagog und in England servil war,
scheint auf den ersten Anblick hart zu sein, ist aber wahr. Ferdinand v. Aragon
sein Schwiegervater, wußte die Eitelkeit Heinrichs vortrefflich zu benutzen.
Nachdem er ihn veranlaßt hatte, ein Heer nach Nordspanien zu schicken, um
von da aus die alten Besitzungen in Frankreich wieder zu gewinnen, gebrauchte
er die Engländer, um für sich Navarra zu erobern und schickte sie dann schimpf-
lich nach Hause. Maximilian trieb es noch schlimmer mit dem jungen König
und nahm ihm auch außerdem baares Geld ab. Als Heinrich unter die geistige
Herrschaft von Wolsey gekommen war, verschwanden die kleinen Gauner vom
Hofe. Wolsey war aber nicht weniger eitel als sein König. Papstthum,
Kaiserthum, allgemeine Weltherrschaft, mit solchen Vorspiegelungen ließen sich
beide immer und immer von Neuem ködern. Der Cardinal war dabei der
Leitende, der König der Folgende. Die Stellung des Ersteren war so groß,
daß Staatssekretäre, die mit dem Könige arbeiteten, an ihn, wie an einen un¬
abhängigen Fürsten schrieben. So schreibt z. B. Bryan Tute noch im Jahre
1528 aus dem königlichen Palaste an Wolsey. daß er seine Auftrüge an den
König so ausgerichtet, wie es "der Mittelsperson zwischen zwei Fürsten" zu¬
komme. Heinrich blieb in der unselbstständigen Stellung, bis er über 35 Jahre
alt war. Da vermaß es sich Wolsey, über die Person des Königs so viel zu
verfügen, daß er ihn von seiner Gemahlin trennen und an eine französische
Prinzessin verheirathen -- da er Geld nahm, kann man sast sagen, verkaufen --
wollte. Die Trennung, die dem König genehm war, stieß auf Schwierigkeiten.
Die beabsichtigte Verheirathung mit der französischen Prinzessin, die der König
nicht mochte, verminderte den Einfluß von Wolsey und erhöhte den der Partei
von Anna Boleyn. Der König brach hierauf mit den Personen, die bis da¬
hin den größten Einfluß auf ihn ausgeübt hatten, d. i. mit dem Cardinal
und mit dem Papst. Als er sah, daß dessen ungeachtet nicht gleich alles um
ihn her in Trümmer siel, wurde, wie das bei schwachen Naturen nicht selten
vorkommt, sein Selbstgefühl unverhältnißmüßig gesteigert. Aber eine hohe
Meinung von sich selbst gibt noch keine Selbstständigkeit, und Heinrich erlangte
sie auch jetzt nicht. Eine Partei nach der andern gewann einen entscheidenden
Einfluß auf ihn und jede neue Partei oder Clique gab ihm eine neue Königin.
Seine letzte Gemahlin Katharina Parr macht davon vielleicht eine Ausnahme.
Der Unterschied zwischen der Zeit Wolseys und der späteren Periode besteht
nur darin, daß früher der König von seinem Günstling und den von ihm ver¬
wendeten Dienern eine übermäßig hohe Meinung hatte, während er nachher


Gemeinheiten zu weit trieben, wurden sie wol gelegentlich auch der Polizei
Preis gegeben, wie wir es bei Hall lesen. Aber diese gemeinen Schmeichler
waren nicht die einzigen. Männer der Wissenschaft und Fürsten der größten
Reiche gesellten sich zu ihnen. Die Bemerkung, die Hallam über Erasmus
macht, daß er auf dem Kontinent ein Demagog und in England servil war,
scheint auf den ersten Anblick hart zu sein, ist aber wahr. Ferdinand v. Aragon
sein Schwiegervater, wußte die Eitelkeit Heinrichs vortrefflich zu benutzen.
Nachdem er ihn veranlaßt hatte, ein Heer nach Nordspanien zu schicken, um
von da aus die alten Besitzungen in Frankreich wieder zu gewinnen, gebrauchte
er die Engländer, um für sich Navarra zu erobern und schickte sie dann schimpf-
lich nach Hause. Maximilian trieb es noch schlimmer mit dem jungen König
und nahm ihm auch außerdem baares Geld ab. Als Heinrich unter die geistige
Herrschaft von Wolsey gekommen war, verschwanden die kleinen Gauner vom
Hofe. Wolsey war aber nicht weniger eitel als sein König. Papstthum,
Kaiserthum, allgemeine Weltherrschaft, mit solchen Vorspiegelungen ließen sich
beide immer und immer von Neuem ködern. Der Cardinal war dabei der
Leitende, der König der Folgende. Die Stellung des Ersteren war so groß,
daß Staatssekretäre, die mit dem Könige arbeiteten, an ihn, wie an einen un¬
abhängigen Fürsten schrieben. So schreibt z. B. Bryan Tute noch im Jahre
1528 aus dem königlichen Palaste an Wolsey. daß er seine Auftrüge an den
König so ausgerichtet, wie es „der Mittelsperson zwischen zwei Fürsten" zu¬
komme. Heinrich blieb in der unselbstständigen Stellung, bis er über 35 Jahre
alt war. Da vermaß es sich Wolsey, über die Person des Königs so viel zu
verfügen, daß er ihn von seiner Gemahlin trennen und an eine französische
Prinzessin verheirathen — da er Geld nahm, kann man sast sagen, verkaufen —
wollte. Die Trennung, die dem König genehm war, stieß auf Schwierigkeiten.
Die beabsichtigte Verheirathung mit der französischen Prinzessin, die der König
nicht mochte, verminderte den Einfluß von Wolsey und erhöhte den der Partei
von Anna Boleyn. Der König brach hierauf mit den Personen, die bis da¬
hin den größten Einfluß auf ihn ausgeübt hatten, d. i. mit dem Cardinal
und mit dem Papst. Als er sah, daß dessen ungeachtet nicht gleich alles um
ihn her in Trümmer siel, wurde, wie das bei schwachen Naturen nicht selten
vorkommt, sein Selbstgefühl unverhältnißmüßig gesteigert. Aber eine hohe
Meinung von sich selbst gibt noch keine Selbstständigkeit, und Heinrich erlangte
sie auch jetzt nicht. Eine Partei nach der andern gewann einen entscheidenden
Einfluß auf ihn und jede neue Partei oder Clique gab ihm eine neue Königin.
Seine letzte Gemahlin Katharina Parr macht davon vielleicht eine Ausnahme.
Der Unterschied zwischen der Zeit Wolseys und der späteren Periode besteht
nur darin, daß früher der König von seinem Günstling und den von ihm ver¬
wendeten Dienern eine übermäßig hohe Meinung hatte, während er nachher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_108721/142>, abgerufen am 23.07.2024.