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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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wird. Daher haben mir die rührenden Stellen aus der Eugenie, der Jammer
des Vaters über seine todtgemeinte Tochter u. s. w. sehr gefallen. In¬
zwischen hat die Toilette der Eugenie etwas Abgeschmacktes, worin unsre
Harrens, wenn sie leicht und zierlich sein wollen, gar bald versallen."

Die regierende Herzogin hat nicht immer den Beifall ihrer Hofdame;
diese schreibt, 16. Sept. 1802: "sie scheint mehr als jemals zu fühlen, daß
sie aus einem großen Haus ist, so stolz und unzufrieden -sieht sie aus."
"Unser hiesiges geistiges Leben hat etwas Aehnliches mit dem physischen im
Orient, wo die Großen allein im Besitz der Güter sind, mit denen sie ziemlich
despotisch und willkürlich schalten, und die andern auch gar keinen Wunsch
noch Bedürfniß nach irgend einem Eigenthum haben." 23. December 1803
(nach Herders Tod): "Unsre Herzogin zeigt sich wie das ewige Schicksal, doch
sagt Prinzeßchen, daß sie sehr angegriffen wäre und sich mit ihr mit Wehmuth
davon unterhielte. Frau von Staöl aber darf nichts davon gewahr
werden; von dieser ihrer Lebendigkeit läßt sie sich hinreißen und elektrisiren.
Dagegen habe ich nichts, daß sie Geschmack an ihrem Verstand und ihrer
schonen Redekunst findet, doch würde ihr es die Staöl gewiß nicht übel deuten,
wenn ihr die Herzogin auch mehr Gefühl zeigte. Den Herzog ergötzt die
Staöl auch sehr, und er glaubt einen seltnen Mann zu hören, so schnell,
richtig und umfassend ist ihre Rede. . . . Sie hat durchaus nicht das Pre-
ciöse und Pedantische, was unsre gelehrten Weiber oft so fatal macht, nichts
Ueberspanntes, Halbreifes, sondern gesund bei aller ihrer Freiheit. . . . Ihr
Sprechen ist wirklich das seltenste Talent, was mir noch vorgekommen ist; nie
etwas schneidendes, Decidirtcs, was eine Frau besonders oft lästig und un¬
graziös macht; ebenso weit ist sie aber von affectirter Nachgiebigkeit und
Koketterie entfernt -- und doch weiß niemand besser als sie nachzugeben und
einzulenken. Das Kennzeichen ihres Talents ist doch gewiß, daß ihr Gespräch
nur ermuntert, nie ermüdet, und wenn unsereins aus Trägheit oder Unge¬
wohntheit sich ihr den andern Tag mit etwas Widerwillen nähern könnte,
so fühlt man sich leicht emporgehoben und die innere Unzufriedenheit ver¬
schwindet. Diese Wirkung habe ich an der Herzogin öfters beobachtet. . . .
Von Goethe sagt sie, q.u'it xouvs.it vero aiirmble, yuauä it 6wie sörieux,
eng-is hu'it no äoit Mais Miss-uter. Eigentlich spricht sie nichts an, als
was Wärme und Gefühl hat. Wenn sie leidenschaftlich ist, so ist sie es doch
mit Liebenswürdigkeit, auch selbst wenn sie sagt: qu'on est toujours iuäöeis
nisus Wut es tzü'on vutröpreuä, yuand on u'oft xas entraiu6 Is xu-S-
sion. . . (19. Januar 1804): "Die französische Sprache wird sich leicht
finden; bei ihr glaubt man, daß es keine andre gäbe. Sie sagte neulich
von Lavater. als der Herzog sie fragte, ob er gut französisch gesprochen hätte:
it L'Lxxi'imM eomme tous les gens ä'esrM, on ooiuvreuä. Sie ist wirt-


wird. Daher haben mir die rührenden Stellen aus der Eugenie, der Jammer
des Vaters über seine todtgemeinte Tochter u. s. w. sehr gefallen. In¬
zwischen hat die Toilette der Eugenie etwas Abgeschmacktes, worin unsre
Harrens, wenn sie leicht und zierlich sein wollen, gar bald versallen."

Die regierende Herzogin hat nicht immer den Beifall ihrer Hofdame;
diese schreibt, 16. Sept. 1802: „sie scheint mehr als jemals zu fühlen, daß
sie aus einem großen Haus ist, so stolz und unzufrieden -sieht sie aus."
„Unser hiesiges geistiges Leben hat etwas Aehnliches mit dem physischen im
Orient, wo die Großen allein im Besitz der Güter sind, mit denen sie ziemlich
despotisch und willkürlich schalten, und die andern auch gar keinen Wunsch
noch Bedürfniß nach irgend einem Eigenthum haben." 23. December 1803
(nach Herders Tod): „Unsre Herzogin zeigt sich wie das ewige Schicksal, doch
sagt Prinzeßchen, daß sie sehr angegriffen wäre und sich mit ihr mit Wehmuth
davon unterhielte. Frau von Staöl aber darf nichts davon gewahr
werden; von dieser ihrer Lebendigkeit läßt sie sich hinreißen und elektrisiren.
Dagegen habe ich nichts, daß sie Geschmack an ihrem Verstand und ihrer
schonen Redekunst findet, doch würde ihr es die Staöl gewiß nicht übel deuten,
wenn ihr die Herzogin auch mehr Gefühl zeigte. Den Herzog ergötzt die
Staöl auch sehr, und er glaubt einen seltnen Mann zu hören, so schnell,
richtig und umfassend ist ihre Rede. . . . Sie hat durchaus nicht das Pre-
ciöse und Pedantische, was unsre gelehrten Weiber oft so fatal macht, nichts
Ueberspanntes, Halbreifes, sondern gesund bei aller ihrer Freiheit. . . . Ihr
Sprechen ist wirklich das seltenste Talent, was mir noch vorgekommen ist; nie
etwas schneidendes, Decidirtcs, was eine Frau besonders oft lästig und un¬
graziös macht; ebenso weit ist sie aber von affectirter Nachgiebigkeit und
Koketterie entfernt — und doch weiß niemand besser als sie nachzugeben und
einzulenken. Das Kennzeichen ihres Talents ist doch gewiß, daß ihr Gespräch
nur ermuntert, nie ermüdet, und wenn unsereins aus Trägheit oder Unge¬
wohntheit sich ihr den andern Tag mit etwas Widerwillen nähern könnte,
so fühlt man sich leicht emporgehoben und die innere Unzufriedenheit ver¬
schwindet. Diese Wirkung habe ich an der Herzogin öfters beobachtet. . . .
Von Goethe sagt sie, q.u'it xouvs.it vero aiirmble, yuauä it 6wie sörieux,
eng-is hu'it no äoit Mais Miss-uter. Eigentlich spricht sie nichts an, als
was Wärme und Gefühl hat. Wenn sie leidenschaftlich ist, so ist sie es doch
mit Liebenswürdigkeit, auch selbst wenn sie sagt: qu'on est toujours iuäöeis
nisus Wut es tzü'on vutröpreuä, yuand on u'oft xas entraiu6 Is xu-S-
sion. . . (19. Januar 1804): „Die französische Sprache wird sich leicht
finden; bei ihr glaubt man, daß es keine andre gäbe. Sie sagte neulich
von Lavater. als der Herzog sie fragte, ob er gut französisch gesprochen hätte:
it L'Lxxi'imM eomme tous les gens ä'esrM, on ooiuvreuä. Sie ist wirt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/56>, abgerufen am 24.07.2024.