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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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befriedigen sollte, so war das in, der Richtung jener Zeit, die das Genie, die schöne
Seele, die Suvjcctivität überhaupt für weltbewegende Mächte ansah; jetzt fließt der
Strom von der entgegengesetzten Seite, wir suchen die Subjectivität in Zucht zu
nehmen und jene allgemeinen Mächte des Lebens wiederherzustellen, deren Mangel
Deutschland herabgedrückt hat. In England hat die Geschichte den umgekehrten
Weg eingeschlagen. -- Nichts widerstrebt dieser Richtung so entschieden, als der
Dünkel des subjectiven Prophctcnthums -- das Ritterthum vom Geist, um bei dem
beliebten Namen stehn zu bleiben. Dies subjective Prophetcnthum ist im Gefühl
seiner Urkraft, etwas hervorzubringen, bald geneigt, sich an jeden fremden Stroh¬
halm zu klammern; hat es lange genug mit sich selber kokettirt, so wird es endlich
müde, und wenn es dann doch noch eine Rolle spielen will, so wird es wol katho¬
lisch -- wie früher Z. Werner, Fr. Schlegel, neuerdings Danaer, der in dieser
Beziehung gewiß ein cclatantcs Beispiel ist. -- Jede innere Auflösung der prote¬
stantischen Kirche stärkt die katholische: das ist eine so allgemein bekannte Wahrheit,
daß man sie nur am Pregel vergessen zu haben scheint.

Die Ritter vom Geist nennen diejenigen, die. den Visionen und Offenbarungen
Widerstand leisten, Philister. Aber der echte Philister ist grade derjenige, den jedes
Strohfeuer ergreift: man lese die Philistcrblüttcr aus den Zeiten Nonges und Do-
wiats, wie durchdrungen namentlich das schöne Geschlecht von den Deklamationen
dieser interessanten Persönlichkeiten war; man lese die Extrablätter der Freude sowol
über die Revolution als über die Reaction, über die Zukunftsmusik und über das
Tischrücken. Solchem Strohfeuer Widerstand zu leisten, ist nicht grade schwer, aber
immerhin nicht ohne Verdienst: die Geschichte würde auch ohne das immer wieder
ins rechte Geleise einlenken, aber man hat doch dann das Gefühl der Kontinuität.




...
Von der preußischen Grenze.

In der ewigen Fluktuation der großen europäischen Frage scheint in dem Augen¬
blick, wo dies geschrieben wird, die Chance für den Frieden zu sein; ob das freilich
bis dahin, wo der Brief im Druck erscheint, noch fortdauert, ist sehr die Frage.
Ueberhaupt sind die Fricdcnsausfichten noch sehr unbestimmter Art. Nußland scheint
aus Konferenzen zu dringen, um die italienischen Verhältnisse aufzutragen, und Oest¬
reich scheint unter gewissen Umständen daraus eingehn zu wollen. Das heißt freilich
noch nicht Entscheidung der Sache, sondern Vertagung. Wie lange werden die bei¬
den zunächst betheiligten Mächte, Sardinien und Oestreich, diesen Aufschub ertragen?
Oestreich wird und muß als eine Hauptbedingung ernsthafter Unterhandlungen die
Entwaffnung Piemonts fordern, und welche Macht wird dies durchzuführen unter¬
nehmen? -- Daß die östreichische Presse die eine Stilübung des Moniteur, die Ab¬
kanzelung der deutschen Zeitungen (die der englischen und französischen war vorher¬
gegangen) ausbeutet, um das preußische Ehrgefühl aufzustacheln, dem es wahrlich
acht schmeichelhaft sein kann, in jenem Blatt gelobt zu werden, ist in der Ordnung;


befriedigen sollte, so war das in, der Richtung jener Zeit, die das Genie, die schöne
Seele, die Suvjcctivität überhaupt für weltbewegende Mächte ansah; jetzt fließt der
Strom von der entgegengesetzten Seite, wir suchen die Subjectivität in Zucht zu
nehmen und jene allgemeinen Mächte des Lebens wiederherzustellen, deren Mangel
Deutschland herabgedrückt hat. In England hat die Geschichte den umgekehrten
Weg eingeschlagen. — Nichts widerstrebt dieser Richtung so entschieden, als der
Dünkel des subjectiven Prophctcnthums — das Ritterthum vom Geist, um bei dem
beliebten Namen stehn zu bleiben. Dies subjective Prophetcnthum ist im Gefühl
seiner Urkraft, etwas hervorzubringen, bald geneigt, sich an jeden fremden Stroh¬
halm zu klammern; hat es lange genug mit sich selber kokettirt, so wird es endlich
müde, und wenn es dann doch noch eine Rolle spielen will, so wird es wol katho¬
lisch — wie früher Z. Werner, Fr. Schlegel, neuerdings Danaer, der in dieser
Beziehung gewiß ein cclatantcs Beispiel ist. — Jede innere Auflösung der prote¬
stantischen Kirche stärkt die katholische: das ist eine so allgemein bekannte Wahrheit,
daß man sie nur am Pregel vergessen zu haben scheint.

Die Ritter vom Geist nennen diejenigen, die. den Visionen und Offenbarungen
Widerstand leisten, Philister. Aber der echte Philister ist grade derjenige, den jedes
Strohfeuer ergreift: man lese die Philistcrblüttcr aus den Zeiten Nonges und Do-
wiats, wie durchdrungen namentlich das schöne Geschlecht von den Deklamationen
dieser interessanten Persönlichkeiten war; man lese die Extrablätter der Freude sowol
über die Revolution als über die Reaction, über die Zukunftsmusik und über das
Tischrücken. Solchem Strohfeuer Widerstand zu leisten, ist nicht grade schwer, aber
immerhin nicht ohne Verdienst: die Geschichte würde auch ohne das immer wieder
ins rechte Geleise einlenken, aber man hat doch dann das Gefühl der Kontinuität.




...
Von der preußischen Grenze.

In der ewigen Fluktuation der großen europäischen Frage scheint in dem Augen¬
blick, wo dies geschrieben wird, die Chance für den Frieden zu sein; ob das freilich
bis dahin, wo der Brief im Druck erscheint, noch fortdauert, ist sehr die Frage.
Ueberhaupt sind die Fricdcnsausfichten noch sehr unbestimmter Art. Nußland scheint
aus Konferenzen zu dringen, um die italienischen Verhältnisse aufzutragen, und Oest¬
reich scheint unter gewissen Umständen daraus eingehn zu wollen. Das heißt freilich
noch nicht Entscheidung der Sache, sondern Vertagung. Wie lange werden die bei¬
den zunächst betheiligten Mächte, Sardinien und Oestreich, diesen Aufschub ertragen?
Oestreich wird und muß als eine Hauptbedingung ernsthafter Unterhandlungen die
Entwaffnung Piemonts fordern, und welche Macht wird dies durchzuführen unter¬
nehmen? — Daß die östreichische Presse die eine Stilübung des Moniteur, die Ab¬
kanzelung der deutschen Zeitungen (die der englischen und französischen war vorher¬
gegangen) ausbeutet, um das preußische Ehrgefühl aufzustacheln, dem es wahrlich
acht schmeichelhaft sein kann, in jenem Blatt gelobt zu werden, ist in der Ordnung;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/528>, abgerufen am 22.06.2024.