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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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eigentliche Schuld trügen, daß er und so viel andere, die sein Schicksal theilten,
jetzt abermals ihre Familie und ihren Beruf verlassen müßten. Und diese
Partei ist es auch, welche die Auftritte verursachte, die in den letzten Wochen
stattfanden (die Demonstrationen bei der Leichenfeier des Dandolo, die Verhin¬
derung der Volksbelustigungen), und ohne Unterlaß die große gleichgiltige
Menge der Bevölkerung bearbeitet, theilweise auch terrorisirt. um der Negie¬
rung Verlegenheiten zu bereiten, und besonders um Vorfälle herbeizuführen,
welche für die hiesigen Zustände die Sympathien Europas zu erwecken geeig¬
net wären, und durch welche unsere Exaltirten hoffen, eine Krisis, viel¬
leicht eine Einmischung des Auslandes zu bewirken. In dieser Beziehung
ist es ihnen gelungen, daß die Vergnügungen, welche die letzten Wochen des
italienischen Karnevals so lebhast zu machen pflegen, dieses Jahr in allen
Städten der Lombardei unterblieben, während im Venetianischen der Fasching
keine Störung erlitt. Es genügte, daß einige Schreier erklärten, es sei jetzt, jn
eurem für das Vaterland so wichtigen Moment nicht an der Zeit, sich zu be¬
lustigen; die andern, welche sich gern im Fasching unterhalten hätten, wagten
es nicht zu opponiren, theils aus Furcht insultirt zu werden, theils weil von
den Belustigungen unter diesen Umständen wenig zu erwarten war, und alles
fügte sich dem Gebot der Helden des Pflasters und der Kaffeehäuser. Das
Land erhält durch diese Art Opposition einen Anstrich von Aufregung, die
im Grunde nicht besteht. Es fällt weniger als jemals jemandem, selbst den
Exaltirtesten nicht, ein, aus diesem Schmollen hinauszutreten und gegen die
Regierung ernsthaft zu conspiriren. Man denkt nur an Befreiung durch Fremde,
die freilich bequem genug ist. Sie hegen noch immer die sichere Hoffnung --
und diese ist in der That sehr allgemein verbreitet und bei vielen auf das
festeste eingewurzelt -- daß Frankreich mit Oestreich anbinden werde (in welcher
Absicht das allein geschehen könnte, wollen sie sich wol selbst nicht eingestehen)
und daß die Franzosen demnächst vor Mailand erscheinen werden. Ganz
ohne Hehl erzählen sie, Nachrichten aus Marseille und Toulon zu haben über
die Vorbereitungen, die dort getroffen seien, 50,000 Mann nach Genua übcr-
zuschiffen, um sie von dort mittelst der Eisenbahn an den Ticino zu werfen,
wo die piemontesischen Truppen auch in der That in beträchtlicher Zahl (an¬
geblich 50.000 Mann mit 6000 Pferden und 86 Geschützen) concentrirt stehen
-- eine Operation, welche wirklich in sehr kurzer Zeit ausgeführt werden
könnte. Zum Schluß meinen sie. worin unbefangene Beurtheiln ihnen einiger¬
maßen beistimmen müssen, daß Piemont, sowol um Frankreich mit Gewalt
in einen Krieg mitzureißen, als auch weil es auf dem einmal betretenen Weg
seiner Politik sich leicht zu einem solchen Schritt verleiten lassen kann, und
in der That auch kaum umzukehren im Stande ist, sich zu Acten offener Feind¬
seligkeit gegen Oestreich bewegen läßt, welche dem letztern Staat das Recht


eigentliche Schuld trügen, daß er und so viel andere, die sein Schicksal theilten,
jetzt abermals ihre Familie und ihren Beruf verlassen müßten. Und diese
Partei ist es auch, welche die Auftritte verursachte, die in den letzten Wochen
stattfanden (die Demonstrationen bei der Leichenfeier des Dandolo, die Verhin¬
derung der Volksbelustigungen), und ohne Unterlaß die große gleichgiltige
Menge der Bevölkerung bearbeitet, theilweise auch terrorisirt. um der Negie¬
rung Verlegenheiten zu bereiten, und besonders um Vorfälle herbeizuführen,
welche für die hiesigen Zustände die Sympathien Europas zu erwecken geeig¬
net wären, und durch welche unsere Exaltirten hoffen, eine Krisis, viel¬
leicht eine Einmischung des Auslandes zu bewirken. In dieser Beziehung
ist es ihnen gelungen, daß die Vergnügungen, welche die letzten Wochen des
italienischen Karnevals so lebhast zu machen pflegen, dieses Jahr in allen
Städten der Lombardei unterblieben, während im Venetianischen der Fasching
keine Störung erlitt. Es genügte, daß einige Schreier erklärten, es sei jetzt, jn
eurem für das Vaterland so wichtigen Moment nicht an der Zeit, sich zu be¬
lustigen; die andern, welche sich gern im Fasching unterhalten hätten, wagten
es nicht zu opponiren, theils aus Furcht insultirt zu werden, theils weil von
den Belustigungen unter diesen Umständen wenig zu erwarten war, und alles
fügte sich dem Gebot der Helden des Pflasters und der Kaffeehäuser. Das
Land erhält durch diese Art Opposition einen Anstrich von Aufregung, die
im Grunde nicht besteht. Es fällt weniger als jemals jemandem, selbst den
Exaltirtesten nicht, ein, aus diesem Schmollen hinauszutreten und gegen die
Regierung ernsthaft zu conspiriren. Man denkt nur an Befreiung durch Fremde,
die freilich bequem genug ist. Sie hegen noch immer die sichere Hoffnung —
und diese ist in der That sehr allgemein verbreitet und bei vielen auf das
festeste eingewurzelt — daß Frankreich mit Oestreich anbinden werde (in welcher
Absicht das allein geschehen könnte, wollen sie sich wol selbst nicht eingestehen)
und daß die Franzosen demnächst vor Mailand erscheinen werden. Ganz
ohne Hehl erzählen sie, Nachrichten aus Marseille und Toulon zu haben über
die Vorbereitungen, die dort getroffen seien, 50,000 Mann nach Genua übcr-
zuschiffen, um sie von dort mittelst der Eisenbahn an den Ticino zu werfen,
wo die piemontesischen Truppen auch in der That in beträchtlicher Zahl (an¬
geblich 50.000 Mann mit 6000 Pferden und 86 Geschützen) concentrirt stehen
— eine Operation, welche wirklich in sehr kurzer Zeit ausgeführt werden
könnte. Zum Schluß meinen sie. worin unbefangene Beurtheiln ihnen einiger¬
maßen beistimmen müssen, daß Piemont, sowol um Frankreich mit Gewalt
in einen Krieg mitzureißen, als auch weil es auf dem einmal betretenen Weg
seiner Politik sich leicht zu einem solchen Schritt verleiten lassen kann, und
in der That auch kaum umzukehren im Stande ist, sich zu Acten offener Feind¬
seligkeit gegen Oestreich bewegen läßt, welche dem letztern Staat das Recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/524>, abgerufen am 24.07.2024.