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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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bis an den Euphrat und bis zum gelben Meer, Europa bis zu den katalau-
nischen Gefilden, und später bis ans Riesengebirge erschütterten. Wir durch¬
streichen mit ihm die Wüste Gobi, überfliegen aus schnellen Steppenrossen das
weite Grasland der chinesischen Tartarei. besuchen Kirgisensultane der großen
und der kleinen Horde, darunter solche, welche sich rühmen, das Blut Dschmgis-
khans in ihren Adern zu haben, erfahren mit ihm unter mancherlei Aben¬
teuern, daß der alte Raubgeist im Kleinen noch heute fortlebt, und begreifen
im Anblick der grausigen Gebirgswelt. die wir durchklettern, der Wildbäche,
die wir durchschwimmen, der unheimlichen Krater und Lavaströme, auf die
wir hinabschauen, der furchtbaren Sandstürme, welche durch die Einöde fegen,
den Ursprung und das Wesen jener weltgeschichtlichen Vorgänge, die uns mehr
in das Bereich der Natur, als in das des Geistes zu gehören scheinen.

Wie das Land, so die Menschen, wenigstens in Zeiten des Anfangs.
Es war die Seele des unbarmherzigen Vulkans, des plötzlich anschwellenden
Bergstroms, des grausamen Steppenorkans, die unter Dschingiskhan und Ti-
mur Leng von hier aufbrach, um die Städte Chinas und Hindostans zu ver¬
brennen, in Persien und Syrien Schädelpyramiden aufzuthürmen, Rußland
und das östliche Deutschland in Blutseen zu verwandeln. Es war der Geist
der Gobiwüste, welcher durch die Horden dieser Eroberer sein ödes Reich über
die ganze alte Welt auszubreiten strebte.

Wir folgen im Nachstehenden dem unerschrockenen Reisenden auf einigen
seiner Ausflüge an der Grenze zwischen China und Nußland, und zwar ge¬
sellen wir uns ihm zu, während er sich der Gobi nähert. Das weniger
Charakteristische lassen wir aus, und bemerken nur noch, daß das Buch mit
einer Anzahl sorgfältig ausgeführter Trachtenbilder und Landschaften aus¬
gestattet ist, die von Atkinson an Ort und Stelle aufgenommen wurden.

"Stunde aus Stunde waren wir geritten, ohne einer Unterbrechung der
monotonen Hügel und Thäler der Steppe zu begegnen. Bisweilen öffnete sich
eine Aussicht nach Osten über die Sarchawüste mit ihrem gelben Sand, ihren
purpurnen Felskammer und ihren zahlreichen Todtenhügeln. An einer Stelle
konnten wir den Dschabakanfluß an seiner dunkelgrünen Ufervegctation er¬
kennen, wie er sich über die Ebene hinwand. Diesem Anblick wendeten wir
bald nachher den Rücken, indem wir eine Bodenerhebung überstiegen und die
Gobi vor uns erblickten. Diese Wüste streckt sich vom Kessilbach-Nur bis zu
den Siotkibergcn mehr als zweitausend Meilen*) aus, während ihre Breite
zwischen zwei- und siebenhundert Meilen wechselt, und ist von unzähligen
Hügelkämmen durchschnitten, deren Formen in der Ferne in lichtblauen Dunst
verschwinden. Im Süden erheben sich die Schneegipfel des Syanschan, unter



") Englische Meilen.

bis an den Euphrat und bis zum gelben Meer, Europa bis zu den katalau-
nischen Gefilden, und später bis ans Riesengebirge erschütterten. Wir durch¬
streichen mit ihm die Wüste Gobi, überfliegen aus schnellen Steppenrossen das
weite Grasland der chinesischen Tartarei. besuchen Kirgisensultane der großen
und der kleinen Horde, darunter solche, welche sich rühmen, das Blut Dschmgis-
khans in ihren Adern zu haben, erfahren mit ihm unter mancherlei Aben¬
teuern, daß der alte Raubgeist im Kleinen noch heute fortlebt, und begreifen
im Anblick der grausigen Gebirgswelt. die wir durchklettern, der Wildbäche,
die wir durchschwimmen, der unheimlichen Krater und Lavaströme, auf die
wir hinabschauen, der furchtbaren Sandstürme, welche durch die Einöde fegen,
den Ursprung und das Wesen jener weltgeschichtlichen Vorgänge, die uns mehr
in das Bereich der Natur, als in das des Geistes zu gehören scheinen.

Wie das Land, so die Menschen, wenigstens in Zeiten des Anfangs.
Es war die Seele des unbarmherzigen Vulkans, des plötzlich anschwellenden
Bergstroms, des grausamen Steppenorkans, die unter Dschingiskhan und Ti-
mur Leng von hier aufbrach, um die Städte Chinas und Hindostans zu ver¬
brennen, in Persien und Syrien Schädelpyramiden aufzuthürmen, Rußland
und das östliche Deutschland in Blutseen zu verwandeln. Es war der Geist
der Gobiwüste, welcher durch die Horden dieser Eroberer sein ödes Reich über
die ganze alte Welt auszubreiten strebte.

Wir folgen im Nachstehenden dem unerschrockenen Reisenden auf einigen
seiner Ausflüge an der Grenze zwischen China und Nußland, und zwar ge¬
sellen wir uns ihm zu, während er sich der Gobi nähert. Das weniger
Charakteristische lassen wir aus, und bemerken nur noch, daß das Buch mit
einer Anzahl sorgfältig ausgeführter Trachtenbilder und Landschaften aus¬
gestattet ist, die von Atkinson an Ort und Stelle aufgenommen wurden.

„Stunde aus Stunde waren wir geritten, ohne einer Unterbrechung der
monotonen Hügel und Thäler der Steppe zu begegnen. Bisweilen öffnete sich
eine Aussicht nach Osten über die Sarchawüste mit ihrem gelben Sand, ihren
purpurnen Felskammer und ihren zahlreichen Todtenhügeln. An einer Stelle
konnten wir den Dschabakanfluß an seiner dunkelgrünen Ufervegctation er¬
kennen, wie er sich über die Ebene hinwand. Diesem Anblick wendeten wir
bald nachher den Rücken, indem wir eine Bodenerhebung überstiegen und die
Gobi vor uns erblickten. Diese Wüste streckt sich vom Kessilbach-Nur bis zu
den Siotkibergcn mehr als zweitausend Meilen*) aus, während ihre Breite
zwischen zwei- und siebenhundert Meilen wechselt, und ist von unzähligen
Hügelkämmen durchschnitten, deren Formen in der Ferne in lichtblauen Dunst
verschwinden. Im Süden erheben sich die Schneegipfel des Syanschan, unter



") Englische Meilen.
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[0506] bis an den Euphrat und bis zum gelben Meer, Europa bis zu den katalau- nischen Gefilden, und später bis ans Riesengebirge erschütterten. Wir durch¬ streichen mit ihm die Wüste Gobi, überfliegen aus schnellen Steppenrossen das weite Grasland der chinesischen Tartarei. besuchen Kirgisensultane der großen und der kleinen Horde, darunter solche, welche sich rühmen, das Blut Dschmgis- khans in ihren Adern zu haben, erfahren mit ihm unter mancherlei Aben¬ teuern, daß der alte Raubgeist im Kleinen noch heute fortlebt, und begreifen im Anblick der grausigen Gebirgswelt. die wir durchklettern, der Wildbäche, die wir durchschwimmen, der unheimlichen Krater und Lavaströme, auf die wir hinabschauen, der furchtbaren Sandstürme, welche durch die Einöde fegen, den Ursprung und das Wesen jener weltgeschichtlichen Vorgänge, die uns mehr in das Bereich der Natur, als in das des Geistes zu gehören scheinen. Wie das Land, so die Menschen, wenigstens in Zeiten des Anfangs. Es war die Seele des unbarmherzigen Vulkans, des plötzlich anschwellenden Bergstroms, des grausamen Steppenorkans, die unter Dschingiskhan und Ti- mur Leng von hier aufbrach, um die Städte Chinas und Hindostans zu ver¬ brennen, in Persien und Syrien Schädelpyramiden aufzuthürmen, Rußland und das östliche Deutschland in Blutseen zu verwandeln. Es war der Geist der Gobiwüste, welcher durch die Horden dieser Eroberer sein ödes Reich über die ganze alte Welt auszubreiten strebte. Wir folgen im Nachstehenden dem unerschrockenen Reisenden auf einigen seiner Ausflüge an der Grenze zwischen China und Nußland, und zwar ge¬ sellen wir uns ihm zu, während er sich der Gobi nähert. Das weniger Charakteristische lassen wir aus, und bemerken nur noch, daß das Buch mit einer Anzahl sorgfältig ausgeführter Trachtenbilder und Landschaften aus¬ gestattet ist, die von Atkinson an Ort und Stelle aufgenommen wurden. „Stunde aus Stunde waren wir geritten, ohne einer Unterbrechung der monotonen Hügel und Thäler der Steppe zu begegnen. Bisweilen öffnete sich eine Aussicht nach Osten über die Sarchawüste mit ihrem gelben Sand, ihren purpurnen Felskammer und ihren zahlreichen Todtenhügeln. An einer Stelle konnten wir den Dschabakanfluß an seiner dunkelgrünen Ufervegctation er¬ kennen, wie er sich über die Ebene hinwand. Diesem Anblick wendeten wir bald nachher den Rücken, indem wir eine Bodenerhebung überstiegen und die Gobi vor uns erblickten. Diese Wüste streckt sich vom Kessilbach-Nur bis zu den Siotkibergcn mehr als zweitausend Meilen*) aus, während ihre Breite zwischen zwei- und siebenhundert Meilen wechselt, und ist von unzähligen Hügelkämmen durchschnitten, deren Formen in der Ferne in lichtblauen Dunst verschwinden. Im Süden erheben sich die Schneegipfel des Syanschan, unter ") Englische Meilen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/506>, abgerufen am 24.07.2024.