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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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setzen. Jene Nildung aber war eine schon verfallene; aus der Verbindung
mit dem germanischen Volksgeist, der sie eben einfach annahm, weil er für
seinen Gedanken der Form bedürfte, konnte ihr eine Läuterung um so weniger
zu Theil werden, als sich gleichzeitig ein dem germanischen Volksgeist eigenes
phantastisches Element vornehmlich in der Ornamentik geltend machte, das
wol mit der derben äußerlichen Auffassung des römischen Formalismus har-
monirt. zu der antiken Gefühlsweise aber in entschiedenen Widerspruch tritt.
Das romanische Detail erscheint der classischen Anmuth und Schönheit gegen¬
über meist plump und roh, ohne jene innere Lebenskraft und organische Wahr-
heit, die der charakteristischen Seite des Stiles in so hohem Grade eigen¬
thümlich ist. Als sich aber am Schlüsse des zwölften und zu Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts eine Steigerung der formalen Seite nach der Antike
hin bemerklich machte, unterbrach das gothische Bausystem gewaltsam eine
weitere Entwicklung nach dieser antikisirendcn Richtung.--Indem nun Gärt¬
ner das romanische Rundbogcnprincip ausnimmt, behält er auch den roma¬
nischen Formalismus in seiner ganzen UnVollkommenheit bei. Ein tieferes
Gefühl für Formenschönheit geht ihm vollständig ab. Wandte er aber den
romanischen Rundbogen mit großer Energie und Consequenz an, so vermochte
er es nicht, über eine mehr äußerliche Nachahmung desselben hinaus zu kom¬
men. Die lebendige organische Kraft, die dem romanischen Stil innewohnt,
lassen seine Bauten vollständig vermissen. Sie tragen im Allgemeinen das
Gepräge einer derben Tüchtigkeit, die sich denn auch in einer soliden Technik
und dem Verschmähen unwahrer Scheinconstruction vortheilhaft kund gibt.
Kunstwerke im höheren Sinne des Wortes sind sie nicht. Daß Gärtner im
Treppenhause der Münchner Bibliothek eine großartige räumliche Wirkung zu
erreichen wußte, muß anerkannt, werden; im Uebrigen scheint ihm freilich eine
monumentale Auffassung und Durchbildung des Grundplans ferne gelegen zu
haben. Die Schüler und Nachfolger Gärtners schließen sich den Bestrebungen
desselben mit mehr oder weniger Glück an. Ohne tieferen Gedanken, ohne
monumentale Charakteristik zeigen doch die besseren Werke derselben eine gewisse
Lebendigkeit und Frische in der Conception, die in Verbindung mit einer wahren
Materialdarstellung oft von glücklicher Wirkung ist. Freilich lassen auch sie die
strengere architektonische Durchbildung vermissen. Der Formalismus ist der
romanische, meist roh und empfindungslos vorgetragen, plump auf der einen,
kleinlich auf der andern Seite. Der Münchner Schule fehlt die strenge Zucht
der griechischen Antike. Diese Zucht aber ist zu einem wahrhaft gedeihlichen fol¬
genreichen Entwicklungsgang ganz nothwendig und unerläßlich. Der Hinter¬
gedanke dermünchner Schule ist es, einen nationalen Baustil bilden zu wollen.
In der Zusammenstellung von byzantinischen, romanischen, altitalienischen und
Renaissance-Motiven, die in all ihrer nationalen und provinziellen Eigen-


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setzen. Jene Nildung aber war eine schon verfallene; aus der Verbindung
mit dem germanischen Volksgeist, der sie eben einfach annahm, weil er für
seinen Gedanken der Form bedürfte, konnte ihr eine Läuterung um so weniger
zu Theil werden, als sich gleichzeitig ein dem germanischen Volksgeist eigenes
phantastisches Element vornehmlich in der Ornamentik geltend machte, das
wol mit der derben äußerlichen Auffassung des römischen Formalismus har-
monirt. zu der antiken Gefühlsweise aber in entschiedenen Widerspruch tritt.
Das romanische Detail erscheint der classischen Anmuth und Schönheit gegen¬
über meist plump und roh, ohne jene innere Lebenskraft und organische Wahr-
heit, die der charakteristischen Seite des Stiles in so hohem Grade eigen¬
thümlich ist. Als sich aber am Schlüsse des zwölften und zu Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts eine Steigerung der formalen Seite nach der Antike
hin bemerklich machte, unterbrach das gothische Bausystem gewaltsam eine
weitere Entwicklung nach dieser antikisirendcn Richtung.—Indem nun Gärt¬
ner das romanische Rundbogcnprincip ausnimmt, behält er auch den roma¬
nischen Formalismus in seiner ganzen UnVollkommenheit bei. Ein tieferes
Gefühl für Formenschönheit geht ihm vollständig ab. Wandte er aber den
romanischen Rundbogen mit großer Energie und Consequenz an, so vermochte
er es nicht, über eine mehr äußerliche Nachahmung desselben hinaus zu kom¬
men. Die lebendige organische Kraft, die dem romanischen Stil innewohnt,
lassen seine Bauten vollständig vermissen. Sie tragen im Allgemeinen das
Gepräge einer derben Tüchtigkeit, die sich denn auch in einer soliden Technik
und dem Verschmähen unwahrer Scheinconstruction vortheilhaft kund gibt.
Kunstwerke im höheren Sinne des Wortes sind sie nicht. Daß Gärtner im
Treppenhause der Münchner Bibliothek eine großartige räumliche Wirkung zu
erreichen wußte, muß anerkannt, werden; im Uebrigen scheint ihm freilich eine
monumentale Auffassung und Durchbildung des Grundplans ferne gelegen zu
haben. Die Schüler und Nachfolger Gärtners schließen sich den Bestrebungen
desselben mit mehr oder weniger Glück an. Ohne tieferen Gedanken, ohne
monumentale Charakteristik zeigen doch die besseren Werke derselben eine gewisse
Lebendigkeit und Frische in der Conception, die in Verbindung mit einer wahren
Materialdarstellung oft von glücklicher Wirkung ist. Freilich lassen auch sie die
strengere architektonische Durchbildung vermissen. Der Formalismus ist der
romanische, meist roh und empfindungslos vorgetragen, plump auf der einen,
kleinlich auf der andern Seite. Der Münchner Schule fehlt die strenge Zucht
der griechischen Antike. Diese Zucht aber ist zu einem wahrhaft gedeihlichen fol¬
genreichen Entwicklungsgang ganz nothwendig und unerläßlich. Der Hinter¬
gedanke dermünchner Schule ist es, einen nationalen Baustil bilden zu wollen.
In der Zusammenstellung von byzantinischen, romanischen, altitalienischen und
Renaissance-Motiven, die in all ihrer nationalen und provinziellen Eigen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/483>, abgerufen am 24.07.2024.