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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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schlagt worden wäre. Von dem Augenblick, als die Regierung des Hauses
Oestreich in Ungarn beginnt, ist die Stellung, in welcher sich die
ungarische Monarchie befand, auf Oestreich übergegangen."

Von allen brennenden Fragen der Gegenwart ist für Oestreich die orien¬
talische die wichtigste. "Der Augenblick, in dem das türkische Reich zusammen¬
stürzt, kann für Oestreich der Ausgangspunkt kaum geahnter Größe, er kann
aber auch der Beginn allmäligen Verfalls sein; und man braucht blos die
Donaufürstenthümer oder Serbien so zu constituiren, daß eins der beiden
Länder Oestreich gegenüber eine Sardinien analoge Stellung einnähme, um
unsrer Monarchie eine unheilbare Wunde beizubringen." -- "Das Streben,
Oestreich auf ganz neuen Grundlagen zu constituiren, könnte leicht zur Folge
haben, daß die Entscheidung der wichtigsten europäischen Frage in eine Zeit
fiele, wo man alles, worauf die Kraft des Staats früher beruhte, schon er¬
schüttert hat, ohne mit demjenigen fertig zu sein, was denselben für die Zu¬
kunft befestigen soll." Es ist freilich wahrscheinlich, "daß jene Sympathie,
welche sich in einem Theil Deutschlands mehr in Worten als in Thaten äu¬
ßert, bedeutend abnehmen wird, wenn man die Regierung Oestreichs nicht
mehr als Mittel, die deutsche Sprache zu verbreiten, das Gebiet des Kaiser¬
staats nicht als einen Abzugskanal sür deutsche Colonisten betrachten kann
und dem schönen Traum entsagen muß, wonach die Grenzen des ideellen
Deutschland durch Oestreich bis an das schwarze Meer gerückt werden sollen."
"Es liegt in der Natur der Sache, daß Deutschland und Oestreich sich nahe
stehn und einen bedeutenden wechselseitigen Einfluß aufeinander ausüben;
wenn sich aber Oestreich in Hinsicht der orientalischen Frage wirtlich in einer
günstigeren Stellung als andere Staaten befindet, so ist das nicht seinen Be¬
ziehungen zu Deutschland zu verdanken; noch weniger kann man behaupten,
daß Oestreich, um diese Beziehungen zu befestigen, sich als deutsche Macht
benehmen, und bei seinen innern Einrichtungen die Wünsche einer sehr red-
und schreibscligen, aber nicht sehr thatkräftigen Partei in Deutschland
berücksichtigen müsse." "Oestreich ist ebenso wenig ein deutscher
Staat als zu seiner Zeit Burgund ein solcher war, und das
Streben, es zu werden, d. h. in Deutschland die erste Stelle ein¬
zunehmen, würde die Beziehungen zu Deutschland -- wenigstens
diejenigen, die von praktischer Bedeutung für die Zukunft Oest¬
reichs sind -- nur verwirren. Eben jene Regierungen und Staats¬
männer, die über die Stellung, welche Deutschland thatsächlich einnimmt,
entscheiden, haben über die Bestimmung Deutschlands und die besten Mittel,
sie zu erhalten, ganz andere Ansichten als diejenigen, welche die Zukunft ihres
Vaterlandes an den Gestaden des schwarzen Meeres suchen." -- "Was die
orientalische Frage betrifft, so sind die Interessen Oestreichs und Deutschlands


schlagt worden wäre. Von dem Augenblick, als die Regierung des Hauses
Oestreich in Ungarn beginnt, ist die Stellung, in welcher sich die
ungarische Monarchie befand, auf Oestreich übergegangen."

Von allen brennenden Fragen der Gegenwart ist für Oestreich die orien¬
talische die wichtigste. „Der Augenblick, in dem das türkische Reich zusammen¬
stürzt, kann für Oestreich der Ausgangspunkt kaum geahnter Größe, er kann
aber auch der Beginn allmäligen Verfalls sein; und man braucht blos die
Donaufürstenthümer oder Serbien so zu constituiren, daß eins der beiden
Länder Oestreich gegenüber eine Sardinien analoge Stellung einnähme, um
unsrer Monarchie eine unheilbare Wunde beizubringen." — „Das Streben,
Oestreich auf ganz neuen Grundlagen zu constituiren, könnte leicht zur Folge
haben, daß die Entscheidung der wichtigsten europäischen Frage in eine Zeit
fiele, wo man alles, worauf die Kraft des Staats früher beruhte, schon er¬
schüttert hat, ohne mit demjenigen fertig zu sein, was denselben für die Zu¬
kunft befestigen soll." Es ist freilich wahrscheinlich, „daß jene Sympathie,
welche sich in einem Theil Deutschlands mehr in Worten als in Thaten äu¬
ßert, bedeutend abnehmen wird, wenn man die Regierung Oestreichs nicht
mehr als Mittel, die deutsche Sprache zu verbreiten, das Gebiet des Kaiser¬
staats nicht als einen Abzugskanal sür deutsche Colonisten betrachten kann
und dem schönen Traum entsagen muß, wonach die Grenzen des ideellen
Deutschland durch Oestreich bis an das schwarze Meer gerückt werden sollen."
„Es liegt in der Natur der Sache, daß Deutschland und Oestreich sich nahe
stehn und einen bedeutenden wechselseitigen Einfluß aufeinander ausüben;
wenn sich aber Oestreich in Hinsicht der orientalischen Frage wirtlich in einer
günstigeren Stellung als andere Staaten befindet, so ist das nicht seinen Be¬
ziehungen zu Deutschland zu verdanken; noch weniger kann man behaupten,
daß Oestreich, um diese Beziehungen zu befestigen, sich als deutsche Macht
benehmen, und bei seinen innern Einrichtungen die Wünsche einer sehr red-
und schreibscligen, aber nicht sehr thatkräftigen Partei in Deutschland
berücksichtigen müsse." „Oestreich ist ebenso wenig ein deutscher
Staat als zu seiner Zeit Burgund ein solcher war, und das
Streben, es zu werden, d. h. in Deutschland die erste Stelle ein¬
zunehmen, würde die Beziehungen zu Deutschland — wenigstens
diejenigen, die von praktischer Bedeutung für die Zukunft Oest¬
reichs sind — nur verwirren. Eben jene Regierungen und Staats¬
männer, die über die Stellung, welche Deutschland thatsächlich einnimmt,
entscheiden, haben über die Bestimmung Deutschlands und die besten Mittel,
sie zu erhalten, ganz andere Ansichten als diejenigen, welche die Zukunft ihres
Vaterlandes an den Gestaden des schwarzen Meeres suchen." — „Was die
orientalische Frage betrifft, so sind die Interessen Oestreichs und Deutschlands


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[0462] schlagt worden wäre. Von dem Augenblick, als die Regierung des Hauses Oestreich in Ungarn beginnt, ist die Stellung, in welcher sich die ungarische Monarchie befand, auf Oestreich übergegangen." Von allen brennenden Fragen der Gegenwart ist für Oestreich die orien¬ talische die wichtigste. „Der Augenblick, in dem das türkische Reich zusammen¬ stürzt, kann für Oestreich der Ausgangspunkt kaum geahnter Größe, er kann aber auch der Beginn allmäligen Verfalls sein; und man braucht blos die Donaufürstenthümer oder Serbien so zu constituiren, daß eins der beiden Länder Oestreich gegenüber eine Sardinien analoge Stellung einnähme, um unsrer Monarchie eine unheilbare Wunde beizubringen." — „Das Streben, Oestreich auf ganz neuen Grundlagen zu constituiren, könnte leicht zur Folge haben, daß die Entscheidung der wichtigsten europäischen Frage in eine Zeit fiele, wo man alles, worauf die Kraft des Staats früher beruhte, schon er¬ schüttert hat, ohne mit demjenigen fertig zu sein, was denselben für die Zu¬ kunft befestigen soll." Es ist freilich wahrscheinlich, „daß jene Sympathie, welche sich in einem Theil Deutschlands mehr in Worten als in Thaten äu¬ ßert, bedeutend abnehmen wird, wenn man die Regierung Oestreichs nicht mehr als Mittel, die deutsche Sprache zu verbreiten, das Gebiet des Kaiser¬ staats nicht als einen Abzugskanal sür deutsche Colonisten betrachten kann und dem schönen Traum entsagen muß, wonach die Grenzen des ideellen Deutschland durch Oestreich bis an das schwarze Meer gerückt werden sollen." „Es liegt in der Natur der Sache, daß Deutschland und Oestreich sich nahe stehn und einen bedeutenden wechselseitigen Einfluß aufeinander ausüben; wenn sich aber Oestreich in Hinsicht der orientalischen Frage wirtlich in einer günstigeren Stellung als andere Staaten befindet, so ist das nicht seinen Be¬ ziehungen zu Deutschland zu verdanken; noch weniger kann man behaupten, daß Oestreich, um diese Beziehungen zu befestigen, sich als deutsche Macht benehmen, und bei seinen innern Einrichtungen die Wünsche einer sehr red- und schreibscligen, aber nicht sehr thatkräftigen Partei in Deutschland berücksichtigen müsse." „Oestreich ist ebenso wenig ein deutscher Staat als zu seiner Zeit Burgund ein solcher war, und das Streben, es zu werden, d. h. in Deutschland die erste Stelle ein¬ zunehmen, würde die Beziehungen zu Deutschland — wenigstens diejenigen, die von praktischer Bedeutung für die Zukunft Oest¬ reichs sind — nur verwirren. Eben jene Regierungen und Staats¬ männer, die über die Stellung, welche Deutschland thatsächlich einnimmt, entscheiden, haben über die Bestimmung Deutschlands und die besten Mittel, sie zu erhalten, ganz andere Ansichten als diejenigen, welche die Zukunft ihres Vaterlandes an den Gestaden des schwarzen Meeres suchen." — „Was die orientalische Frage betrifft, so sind die Interessen Oestreichs und Deutschlands

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/462>, abgerufen am 24.07.2024.