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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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allen Kronländern gemeinsamen Administration gesucht werden." "Daß die
Zustünde, in welchen sich die Monarchie befindet, nicht befriedigend sind; daß
sich der Staat in großen finanziellen Schwierigkeiten befindet und bei einer
immer zunehmenden Schuldenlast, trotz der sehr bedeutenden Besteuerung aller
Staatsbürger seine Einnahmen und Ausgaben nicht ins Gleichgewicht zu
bringen vermochte und auch jetzt in Friedenszeit an einem Deficit zu tragen
hat; daß der Wohlstand nicht zugenommen hat und mit Ausnahme der Börse
vielleicht kein Zweig der Industrie zu finden ist, auf dem sich eine vermehrte
Thätigkeit wahrnehmen ließe; daß die Verwaltung und Rechtspflege wenig¬
stens in den Provinzen, welche früher unter dem Namen der Erdtaube be¬
zeichnet wurden, weder schneller noch besser geworden ist, und nicht nur in
Ungarn, sondern in allen Theilen der Monarchie die Ansicht sich verbreitet
hat, die Zustände von 1848 seien um vieles besser gewesen; daß die gegen¬
wärtige Ordnung der Dinge zwar nirgend einen Widerstand gefunden, daß
sich ihr aber auch sehr wenige angeschlossen haben, und daß die Regierung
daher bei der großen Mehrzahl der Staatsangehörigen in den meisten Pro¬
vinzen nur aus die höchste Passivität, aber nicht auf jene Mitwirkung rechnen
kann, deren auch die stärkste Regierung bedarf, wenn das Riesenwerk einer
vollkommenen Umgestaltung aller Verhältnisse gelingen soll; daß endlich alle
diese Uebelstände und Schwierigkeiten in den neun Jahren, während welcher
man das gegenwärtige System befolgt, nicht nur nicht abgenommen haben,
sondern größer geworden sind -- das alles sind Thatsachen, deren Nichtigkeit
niemand leugnen wird; und auch die größten Freunde des gegenwärtigen
Systems werden zugeben, daß dasselbe den Erwartungen nicht entsprochen habe."

Unter diesen Umständen ist die Frage wol berechtigt: ob denn eine völ¬
lige Umgestaltung aller Verhältnisse, welche mit so vielen unvermeidlichen
Uebelständen verbunden ist, für Oestreich überhaupt nothwendig sei, und ob
jene Einrichtungen, welche damals, als es sich blos darum handelte, die
Revolution zu bekämpfen, für die zweckmäßigsten, ja für die einzig möglichen
gehalten werden mochten, auch jetzt noch diejenigen seien, durch welche der
Zweck, den man verfolgt, die Begründung eines im Innern beruhigten, nach
Außen starken Oestreich, allein erreicht werden kann.

Oestreich ist nach der Revolution im Wesentlichen derselbe Staat, der es
vor derselben gewesen; die Revolution hat weder die Bedeutung des legitimen
Königthums zu vernichten, noch die zwischen den einzelnen Kronländern be¬
stehenden Verschiedenheiten aufzuheben vermocht. Eben in der Unmöglichkeit,
ein neues Oestreich zu begründen, liegt die Garantie der Zukunft des Staats,
und die Stärke der Reaction gegen die bisher angewandten Maßregeln zeigt
nur die Lebenskraft, welche der Staatskörper trotz aller überstandenen Leiden
und Heilversuche noch besitzt.


allen Kronländern gemeinsamen Administration gesucht werden." „Daß die
Zustünde, in welchen sich die Monarchie befindet, nicht befriedigend sind; daß
sich der Staat in großen finanziellen Schwierigkeiten befindet und bei einer
immer zunehmenden Schuldenlast, trotz der sehr bedeutenden Besteuerung aller
Staatsbürger seine Einnahmen und Ausgaben nicht ins Gleichgewicht zu
bringen vermochte und auch jetzt in Friedenszeit an einem Deficit zu tragen
hat; daß der Wohlstand nicht zugenommen hat und mit Ausnahme der Börse
vielleicht kein Zweig der Industrie zu finden ist, auf dem sich eine vermehrte
Thätigkeit wahrnehmen ließe; daß die Verwaltung und Rechtspflege wenig¬
stens in den Provinzen, welche früher unter dem Namen der Erdtaube be¬
zeichnet wurden, weder schneller noch besser geworden ist, und nicht nur in
Ungarn, sondern in allen Theilen der Monarchie die Ansicht sich verbreitet
hat, die Zustände von 1848 seien um vieles besser gewesen; daß die gegen¬
wärtige Ordnung der Dinge zwar nirgend einen Widerstand gefunden, daß
sich ihr aber auch sehr wenige angeschlossen haben, und daß die Regierung
daher bei der großen Mehrzahl der Staatsangehörigen in den meisten Pro¬
vinzen nur aus die höchste Passivität, aber nicht auf jene Mitwirkung rechnen
kann, deren auch die stärkste Regierung bedarf, wenn das Riesenwerk einer
vollkommenen Umgestaltung aller Verhältnisse gelingen soll; daß endlich alle
diese Uebelstände und Schwierigkeiten in den neun Jahren, während welcher
man das gegenwärtige System befolgt, nicht nur nicht abgenommen haben,
sondern größer geworden sind — das alles sind Thatsachen, deren Nichtigkeit
niemand leugnen wird; und auch die größten Freunde des gegenwärtigen
Systems werden zugeben, daß dasselbe den Erwartungen nicht entsprochen habe."

Unter diesen Umständen ist die Frage wol berechtigt: ob denn eine völ¬
lige Umgestaltung aller Verhältnisse, welche mit so vielen unvermeidlichen
Uebelständen verbunden ist, für Oestreich überhaupt nothwendig sei, und ob
jene Einrichtungen, welche damals, als es sich blos darum handelte, die
Revolution zu bekämpfen, für die zweckmäßigsten, ja für die einzig möglichen
gehalten werden mochten, auch jetzt noch diejenigen seien, durch welche der
Zweck, den man verfolgt, die Begründung eines im Innern beruhigten, nach
Außen starken Oestreich, allein erreicht werden kann.

Oestreich ist nach der Revolution im Wesentlichen derselbe Staat, der es
vor derselben gewesen; die Revolution hat weder die Bedeutung des legitimen
Königthums zu vernichten, noch die zwischen den einzelnen Kronländern be¬
stehenden Verschiedenheiten aufzuheben vermocht. Eben in der Unmöglichkeit,
ein neues Oestreich zu begründen, liegt die Garantie der Zukunft des Staats,
und die Stärke der Reaction gegen die bisher angewandten Maßregeln zeigt
nur die Lebenskraft, welche der Staatskörper trotz aller überstandenen Leiden
und Heilversuche noch besitzt.


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[0455] allen Kronländern gemeinsamen Administration gesucht werden." „Daß die Zustünde, in welchen sich die Monarchie befindet, nicht befriedigend sind; daß sich der Staat in großen finanziellen Schwierigkeiten befindet und bei einer immer zunehmenden Schuldenlast, trotz der sehr bedeutenden Besteuerung aller Staatsbürger seine Einnahmen und Ausgaben nicht ins Gleichgewicht zu bringen vermochte und auch jetzt in Friedenszeit an einem Deficit zu tragen hat; daß der Wohlstand nicht zugenommen hat und mit Ausnahme der Börse vielleicht kein Zweig der Industrie zu finden ist, auf dem sich eine vermehrte Thätigkeit wahrnehmen ließe; daß die Verwaltung und Rechtspflege wenig¬ stens in den Provinzen, welche früher unter dem Namen der Erdtaube be¬ zeichnet wurden, weder schneller noch besser geworden ist, und nicht nur in Ungarn, sondern in allen Theilen der Monarchie die Ansicht sich verbreitet hat, die Zustände von 1848 seien um vieles besser gewesen; daß die gegen¬ wärtige Ordnung der Dinge zwar nirgend einen Widerstand gefunden, daß sich ihr aber auch sehr wenige angeschlossen haben, und daß die Regierung daher bei der großen Mehrzahl der Staatsangehörigen in den meisten Pro¬ vinzen nur aus die höchste Passivität, aber nicht auf jene Mitwirkung rechnen kann, deren auch die stärkste Regierung bedarf, wenn das Riesenwerk einer vollkommenen Umgestaltung aller Verhältnisse gelingen soll; daß endlich alle diese Uebelstände und Schwierigkeiten in den neun Jahren, während welcher man das gegenwärtige System befolgt, nicht nur nicht abgenommen haben, sondern größer geworden sind — das alles sind Thatsachen, deren Nichtigkeit niemand leugnen wird; und auch die größten Freunde des gegenwärtigen Systems werden zugeben, daß dasselbe den Erwartungen nicht entsprochen habe." Unter diesen Umständen ist die Frage wol berechtigt: ob denn eine völ¬ lige Umgestaltung aller Verhältnisse, welche mit so vielen unvermeidlichen Uebelständen verbunden ist, für Oestreich überhaupt nothwendig sei, und ob jene Einrichtungen, welche damals, als es sich blos darum handelte, die Revolution zu bekämpfen, für die zweckmäßigsten, ja für die einzig möglichen gehalten werden mochten, auch jetzt noch diejenigen seien, durch welche der Zweck, den man verfolgt, die Begründung eines im Innern beruhigten, nach Außen starken Oestreich, allein erreicht werden kann. Oestreich ist nach der Revolution im Wesentlichen derselbe Staat, der es vor derselben gewesen; die Revolution hat weder die Bedeutung des legitimen Königthums zu vernichten, noch die zwischen den einzelnen Kronländern be¬ stehenden Verschiedenheiten aufzuheben vermocht. Eben in der Unmöglichkeit, ein neues Oestreich zu begründen, liegt die Garantie der Zukunft des Staats, und die Stärke der Reaction gegen die bisher angewandten Maßregeln zeigt nur die Lebenskraft, welche der Staatskörper trotz aller überstandenen Leiden und Heilversuche noch besitzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/455>, abgerufen am 24.07.2024.