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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Jahren eine Ahnung gehabt zu haben, daß ihm gelegentlich etwas Mensch¬
liches passiven könne. Der wichtigste Mann nach ihm war sein Cabincts-
secretär. Graf Delva. Dieser hatte sich ebenfalls erkleckliche Summen zu er¬
sparen verstanden und dachte sich mit diesen nach Paris zurückzuziehen, um
sie in Nuhe vor seinem kaiserlichen Gönner und vor dem Volke zu verzehren.
Soulouque, der seine Gedanken errieth, schlug sein Auswanderungsgesuch ohne
weiteres ab, indem er sagte: "Haben wir das Fleisch zusammen verzehrt, so
wollen wir auch zusammen die .Knochen abnagen." Die Ahnung hat sich er¬
füllt, Gönner und Günstling gingen zusammen in die Verbannung.

Vorher mußten indeß noch andere Dinge geschehen, um das Maß voll
zu machen. Zu der greuelvollen innern Politik des schwarzen Kaisers traten
Unglücksfälle in der äußern. Das Plünderungssystem bei der Besteuerung,
die unsinnige Zettelwirthschaft Soulouques, sein grimmiges Todtschießcnlassen-
beim bloßen Anschein von Widersetzlichkeit war gepaart mit einer ungeschick¬
ten Kriegführung, und so wurde sein Regiment endlich selbst den stumpfsin¬
nigen Negern unerträglich.

Oben ist erzählt, daß die im Osten Hallis gelegene Mulattenrepublik, die
sich 1822 mit Haiti zu einem Staat vereinigt, nach Boyers Sturz sich wieder
losriß und sich, von Soulouque wiederholt angegriffen, der Unterjochung 'zu
erwehren wußte. Diese Republik war ein zu werthvolles Stück Land, und
der Haß Soulouques gegen alle Weiß- und Gelbhäute zu brennend, als daß
der Negerkaiser nicht neue Eroberungsversuche hätte machen sollen. So be¬
gann er ungeachtet der Vernüttiungsversuche Englands, Frankreichs und der
nordamerikanischen Union im September 1850 wieder die Feindseligkeiten gegen
die Dominicaner, allein das Landheer des Kaisers erlitt schon im October in
den Gebirgen von Banica eine schwere Niederlage, zur See verlor er eine
Brigg, und Anfang 1851 verlangten die genannten drei Mächte von ihm An¬
erkennung der Unabhängigkeit Dominicas oder mindestens einen Waffenstill¬
stand auf zehn Jahre. Soulouque bot hierauf in einer Proclamation die
Hand zum Frieden, setzte aber gleichwol die Feindseligkeiten noch eine Weile
fort und rief erst dann sein Heer von der Grenze zurück, als einige andere
Niederlagen, namentlich aber der drohende Anschluß Dominicas an die Vereinig¬
ten Staaten ihn belehrten, daß er damit sein eignes Verderben herbeiführen werde.

Die Nordamerikaner hatten schon seit langer Zeit ihr Augenmerk auf
Haiti geworfen, und zunächst wäre ihnen Dominica willkommen gewesen.
Dominica wäre, abgesehen von dem Werthe desselben für Handel und Schif¬
fahrt der Nordamerikaner, ein Vorposten gegen Cuba. Man unterhandelte,
um einen Anschluß anzubahnen, und es war im October 1854 nahe daran,
daß ein Vertrag zu Stande kam. welcher den Amerikanern große Vortheile


Grenzboten I. 1859. 55

Jahren eine Ahnung gehabt zu haben, daß ihm gelegentlich etwas Mensch¬
liches passiven könne. Der wichtigste Mann nach ihm war sein Cabincts-
secretär. Graf Delva. Dieser hatte sich ebenfalls erkleckliche Summen zu er¬
sparen verstanden und dachte sich mit diesen nach Paris zurückzuziehen, um
sie in Nuhe vor seinem kaiserlichen Gönner und vor dem Volke zu verzehren.
Soulouque, der seine Gedanken errieth, schlug sein Auswanderungsgesuch ohne
weiteres ab, indem er sagte: „Haben wir das Fleisch zusammen verzehrt, so
wollen wir auch zusammen die .Knochen abnagen." Die Ahnung hat sich er¬
füllt, Gönner und Günstling gingen zusammen in die Verbannung.

Vorher mußten indeß noch andere Dinge geschehen, um das Maß voll
zu machen. Zu der greuelvollen innern Politik des schwarzen Kaisers traten
Unglücksfälle in der äußern. Das Plünderungssystem bei der Besteuerung,
die unsinnige Zettelwirthschaft Soulouques, sein grimmiges Todtschießcnlassen-
beim bloßen Anschein von Widersetzlichkeit war gepaart mit einer ungeschick¬
ten Kriegführung, und so wurde sein Regiment endlich selbst den stumpfsin¬
nigen Negern unerträglich.

Oben ist erzählt, daß die im Osten Hallis gelegene Mulattenrepublik, die
sich 1822 mit Haiti zu einem Staat vereinigt, nach Boyers Sturz sich wieder
losriß und sich, von Soulouque wiederholt angegriffen, der Unterjochung 'zu
erwehren wußte. Diese Republik war ein zu werthvolles Stück Land, und
der Haß Soulouques gegen alle Weiß- und Gelbhäute zu brennend, als daß
der Negerkaiser nicht neue Eroberungsversuche hätte machen sollen. So be¬
gann er ungeachtet der Vernüttiungsversuche Englands, Frankreichs und der
nordamerikanischen Union im September 1850 wieder die Feindseligkeiten gegen
die Dominicaner, allein das Landheer des Kaisers erlitt schon im October in
den Gebirgen von Banica eine schwere Niederlage, zur See verlor er eine
Brigg, und Anfang 1851 verlangten die genannten drei Mächte von ihm An¬
erkennung der Unabhängigkeit Dominicas oder mindestens einen Waffenstill¬
stand auf zehn Jahre. Soulouque bot hierauf in einer Proclamation die
Hand zum Frieden, setzte aber gleichwol die Feindseligkeiten noch eine Weile
fort und rief erst dann sein Heer von der Grenze zurück, als einige andere
Niederlagen, namentlich aber der drohende Anschluß Dominicas an die Vereinig¬
ten Staaten ihn belehrten, daß er damit sein eignes Verderben herbeiführen werde.

Die Nordamerikaner hatten schon seit langer Zeit ihr Augenmerk auf
Haiti geworfen, und zunächst wäre ihnen Dominica willkommen gewesen.
Dominica wäre, abgesehen von dem Werthe desselben für Handel und Schif¬
fahrt der Nordamerikaner, ein Vorposten gegen Cuba. Man unterhandelte,
um einen Anschluß anzubahnen, und es war im October 1854 nahe daran,
daß ein Vertrag zu Stande kam. welcher den Amerikanern große Vortheile


Grenzboten I. 1859. 55
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[0443] Jahren eine Ahnung gehabt zu haben, daß ihm gelegentlich etwas Mensch¬ liches passiven könne. Der wichtigste Mann nach ihm war sein Cabincts- secretär. Graf Delva. Dieser hatte sich ebenfalls erkleckliche Summen zu er¬ sparen verstanden und dachte sich mit diesen nach Paris zurückzuziehen, um sie in Nuhe vor seinem kaiserlichen Gönner und vor dem Volke zu verzehren. Soulouque, der seine Gedanken errieth, schlug sein Auswanderungsgesuch ohne weiteres ab, indem er sagte: „Haben wir das Fleisch zusammen verzehrt, so wollen wir auch zusammen die .Knochen abnagen." Die Ahnung hat sich er¬ füllt, Gönner und Günstling gingen zusammen in die Verbannung. Vorher mußten indeß noch andere Dinge geschehen, um das Maß voll zu machen. Zu der greuelvollen innern Politik des schwarzen Kaisers traten Unglücksfälle in der äußern. Das Plünderungssystem bei der Besteuerung, die unsinnige Zettelwirthschaft Soulouques, sein grimmiges Todtschießcnlassen- beim bloßen Anschein von Widersetzlichkeit war gepaart mit einer ungeschick¬ ten Kriegführung, und so wurde sein Regiment endlich selbst den stumpfsin¬ nigen Negern unerträglich. Oben ist erzählt, daß die im Osten Hallis gelegene Mulattenrepublik, die sich 1822 mit Haiti zu einem Staat vereinigt, nach Boyers Sturz sich wieder losriß und sich, von Soulouque wiederholt angegriffen, der Unterjochung 'zu erwehren wußte. Diese Republik war ein zu werthvolles Stück Land, und der Haß Soulouques gegen alle Weiß- und Gelbhäute zu brennend, als daß der Negerkaiser nicht neue Eroberungsversuche hätte machen sollen. So be¬ gann er ungeachtet der Vernüttiungsversuche Englands, Frankreichs und der nordamerikanischen Union im September 1850 wieder die Feindseligkeiten gegen die Dominicaner, allein das Landheer des Kaisers erlitt schon im October in den Gebirgen von Banica eine schwere Niederlage, zur See verlor er eine Brigg, und Anfang 1851 verlangten die genannten drei Mächte von ihm An¬ erkennung der Unabhängigkeit Dominicas oder mindestens einen Waffenstill¬ stand auf zehn Jahre. Soulouque bot hierauf in einer Proclamation die Hand zum Frieden, setzte aber gleichwol die Feindseligkeiten noch eine Weile fort und rief erst dann sein Heer von der Grenze zurück, als einige andere Niederlagen, namentlich aber der drohende Anschluß Dominicas an die Vereinig¬ ten Staaten ihn belehrten, daß er damit sein eignes Verderben herbeiführen werde. Die Nordamerikaner hatten schon seit langer Zeit ihr Augenmerk auf Haiti geworfen, und zunächst wäre ihnen Dominica willkommen gewesen. Dominica wäre, abgesehen von dem Werthe desselben für Handel und Schif¬ fahrt der Nordamerikaner, ein Vorposten gegen Cuba. Man unterhandelte, um einen Anschluß anzubahnen, und es war im October 1854 nahe daran, daß ein Vertrag zu Stande kam. welcher den Amerikanern große Vortheile Grenzboten I. 1859. 55

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/443>, abgerufen am 24.07.2024.