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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Aeußere versprochen. Wir erwarteten hohe, lichte Räume und finden niedere
Zimmer, wir fühlen uns getäuscht, wir sind verstimmt.

Was dem Vorgänger nicht gelang, gelang den Spätern ebenso wenig.
Eine wahrhaft organische Durchbildung des Grundplans, eine feste rhyth¬
mische Gliederung desselben, eine weise Ökonomie der zu verwendenden Mittel
in Rücksicht auf den zu erreichenden Zweck, eine Steigerung des beim Ein¬
tritt angeklungenen Effects bis zu seiner Erfüllung, mit einem Wort eine gro߬
artige, wahrhaft monumentale Naumorduung suchen wir bei der berliner Schule
umsonst. Vollgültigen Beweis hierfür bietet die Planordnung des neuen Mu¬
seums, bieten die Pläne zur berliner Börse. So macht die Bauthätigkeit der
berliner Schule nach der monumentalen Seite hin durchweg den Eindruck einer
dilettantischen. Man bemüht sich in der überkommenen Schablone und nur
in dieser stilgerecht zu bauen und glaubt das Höchste erreicht zu haben, wenn
das Haus von Außen nur recht zierlich und weißwaschen aussieht. Daß aber
mit solchem Scheinwesen eine rechte und wahre Architektur nicht bestehn kann,
das unterliegt doch wahrlich keinem Zweifel. Das Dauernde, Unvergängliche
ihrer Werke ist es ja eben, was die Baukunst unter den Schwesterkünsten zur
ausschließlich monumentalen Kunst macht; in seinen Bauwerken legt ein Volk
Sein und Denken, Wollen und Können nieder, überliefert in steinerner Sprache
geschrieben kommenden Zeiten und Geschlechtern Kunde von sich und seinen
Bestrebungen. So erzählen uns nach Jahrhunderten noch heute Griechenlands
Ruinen von der Hellenen Herrlichkeit, die Bauten Roms von der Römer Größe,
erzählen uns des Mittelalters Tempel und Hallen von des Mittelalters Fröm¬
migkeit, von seiner Blüte.' Und wir? -- wir kleben und nageln aus Mörtel
und Gyps, aus Holz und Blech eine Architektur zusammen, die schon nach
Wenig Jahren durch Wind und Wetter zerstört und zerfressen ist. eine Archi¬
tektur, die, weil ohne innere Berechtigung einem auf ganz anderen Construc-
tionsverhältnissen beruhenden Material rein äußerlich und willkürlich auf¬
gezwungen, nur hohl und unwahr sein kann und sein muß. Das sieht aus
wie Schminke auf dein Antlitz einer Leiche. Der sittliche' Ernst, die weltge¬
schichtliche Bedeutung der Baukunst wird so zu Boden getreten, wir belügen
uns selbst und betrügen uns um die monumentalen Merkzeichen unserer Zeit
und unseres Strebens in der Zukunft.

Schink'el theilte mit seiner Zeit den Irrthum, die Schönheit einzig und
allein in der Form zu suchen, diese als etwas für sich Bestehendes zu betrach¬
ten. Die griechische Schönheit galt ihm für absolute Schönheit, nach ihrem
Vorbild suchte er daher in cousequenter Verfolgung jener Voraussetzung seine
Werke zu modeln. War aber die Schönheit eine absolute, so mußte sie, weil
absolut, überall in Anwendung gebracht werden, das Wesen der Schönheit
war ja etwas für sich Bestehendes, vom Inhalt Geschiedenes, Freies, Un-


Aeußere versprochen. Wir erwarteten hohe, lichte Räume und finden niedere
Zimmer, wir fühlen uns getäuscht, wir sind verstimmt.

Was dem Vorgänger nicht gelang, gelang den Spätern ebenso wenig.
Eine wahrhaft organische Durchbildung des Grundplans, eine feste rhyth¬
mische Gliederung desselben, eine weise Ökonomie der zu verwendenden Mittel
in Rücksicht auf den zu erreichenden Zweck, eine Steigerung des beim Ein¬
tritt angeklungenen Effects bis zu seiner Erfüllung, mit einem Wort eine gro߬
artige, wahrhaft monumentale Naumorduung suchen wir bei der berliner Schule
umsonst. Vollgültigen Beweis hierfür bietet die Planordnung des neuen Mu¬
seums, bieten die Pläne zur berliner Börse. So macht die Bauthätigkeit der
berliner Schule nach der monumentalen Seite hin durchweg den Eindruck einer
dilettantischen. Man bemüht sich in der überkommenen Schablone und nur
in dieser stilgerecht zu bauen und glaubt das Höchste erreicht zu haben, wenn
das Haus von Außen nur recht zierlich und weißwaschen aussieht. Daß aber
mit solchem Scheinwesen eine rechte und wahre Architektur nicht bestehn kann,
das unterliegt doch wahrlich keinem Zweifel. Das Dauernde, Unvergängliche
ihrer Werke ist es ja eben, was die Baukunst unter den Schwesterkünsten zur
ausschließlich monumentalen Kunst macht; in seinen Bauwerken legt ein Volk
Sein und Denken, Wollen und Können nieder, überliefert in steinerner Sprache
geschrieben kommenden Zeiten und Geschlechtern Kunde von sich und seinen
Bestrebungen. So erzählen uns nach Jahrhunderten noch heute Griechenlands
Ruinen von der Hellenen Herrlichkeit, die Bauten Roms von der Römer Größe,
erzählen uns des Mittelalters Tempel und Hallen von des Mittelalters Fröm¬
migkeit, von seiner Blüte.' Und wir? — wir kleben und nageln aus Mörtel
und Gyps, aus Holz und Blech eine Architektur zusammen, die schon nach
Wenig Jahren durch Wind und Wetter zerstört und zerfressen ist. eine Archi¬
tektur, die, weil ohne innere Berechtigung einem auf ganz anderen Construc-
tionsverhältnissen beruhenden Material rein äußerlich und willkürlich auf¬
gezwungen, nur hohl und unwahr sein kann und sein muß. Das sieht aus
wie Schminke auf dein Antlitz einer Leiche. Der sittliche' Ernst, die weltge¬
schichtliche Bedeutung der Baukunst wird so zu Boden getreten, wir belügen
uns selbst und betrügen uns um die monumentalen Merkzeichen unserer Zeit
und unseres Strebens in der Zukunft.

Schink'el theilte mit seiner Zeit den Irrthum, die Schönheit einzig und
allein in der Form zu suchen, diese als etwas für sich Bestehendes zu betrach¬
ten. Die griechische Schönheit galt ihm für absolute Schönheit, nach ihrem
Vorbild suchte er daher in cousequenter Verfolgung jener Voraussetzung seine
Werke zu modeln. War aber die Schönheit eine absolute, so mußte sie, weil
absolut, überall in Anwendung gebracht werden, das Wesen der Schönheit
war ja etwas für sich Bestehendes, vom Inhalt Geschiedenes, Freies, Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/44>, abgerufen am 24.07.2024.