Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

'"

Lage, verlaß Dich drauf, wir würden es ebenso machen. Denn hat nicht
eines Feindes Schwert seinen Körper durch und durch durchbohrt, bis es
wieder unter dem Schulterknochen hervorkommt. Dieser Gegner ist augen¬
scheinlich ein rachsüchtiger Kerl. Ein eisernes Gitter trennt ihn von dem un¬
glücklichen Claude Mouriez und dennoch sticht er zwischen den Eisenstangen
durch nach dem verwundeten Manne mit der wildesten Energie. Möglich,
daß die beiden Herren sich durch das Gitter hindurch duellirt haben, wie etwa
ein Löwe und ein Tiger in der Menagerie des M-am des Mutes sich be- ">
kämpfen würden, wenn man sie darauf dressirte. Sie sehen glatt und civi-
lisirt genug dazu aus, daß man ihnen eine so elegante Schlechtigkeit zutrauen
kann. Ein paar Seiten weiterhin und eine neue Schreckensscene tritt dem
Auge entgegen. Zwei spanische Herren -- unzweifelhaft Dorf, das kannst
Du mit einem Blick sehen, -- zeigen sich auf einem sinkenden Schiffe, über
welchem die Wogen zusammenschlagen. Das Gesicht des einen drückt wilden
Schrecken aus, gemischt mit schuldbewußter Furcht, das Gesicht des andern
hat das Gepräge ruhiger aber strenger Entschlossenheit. Mit seiner rechten
Hand hält der zweite spanische Herr die linke Faust des ersten spanischen
Herrn, indem er mit dem Zeigefinger seiner unbeschäftigten Hand auf die
wildbrausende See deutet. Don Diego, die Stunde der Strafe ist da!
also erklärt er sich unter der Illustration. Don Diego ist augenscheinlich
dieser Thatsache sich wohl bewußt.

Und was finden wir in diesem niedlichen kleinen Blatte "I/a Loimüno
et<ZL vnkg.ut.8", das so nett gedruckt, so nett illustrirt ist, ein wahres Modell
typographischer Sauberkeit? Die Ermordung des Herzogs von Orleans im
Jahre 1407! Also wieder gewaltsamer Tod. Also schon kleine Knaben und
Mädchen muß man mit Blutfcsten ergötzen. Allerdings hat in diesem Beispiel
die Geschichte den Gegenstand geliefert, aber sicherlich hätte sich eine ange¬
nehmere Seite ihres gehaltreichen Bandes aufschlagen lassen. Sind junge
Gemüther in der Imagination von Blutscenen auch noch ein wenig zurück,
so brauchen sie doch darin nicht grade vom Zeichner und Graveur unterstützt
zu werden. Sie werden es schnell genug von selbst lernen, welcher schwarzer
Thaten die menschliche Natur fähig ist.

Aber laßt uns gegen diese armen kleinen Blättchen nicht zu streng sein.
Ehe wir die ganze Strenge der Kritik aus sie anwenden dürfen, müssen wir
den gegenwärtigen Stand der französischen Romanliteratur überhaupt, den
allgemeinen Ton und die ganze Tendenz der schönwissenschaftlichen Schrift-
stellerei in Rechnung ziehen.

Zugegeben, daß die Literatur der billigen pariser Presse nicht von der
heilsamsten und gesündesten Art sei, so bleibt immer noch die Frage, ob sie
nicht besser sei als gar keine Volksschriften. Ich denke doch. Ein Leser, der


Lage, verlaß Dich drauf, wir würden es ebenso machen. Denn hat nicht
eines Feindes Schwert seinen Körper durch und durch durchbohrt, bis es
wieder unter dem Schulterknochen hervorkommt. Dieser Gegner ist augen¬
scheinlich ein rachsüchtiger Kerl. Ein eisernes Gitter trennt ihn von dem un¬
glücklichen Claude Mouriez und dennoch sticht er zwischen den Eisenstangen
durch nach dem verwundeten Manne mit der wildesten Energie. Möglich,
daß die beiden Herren sich durch das Gitter hindurch duellirt haben, wie etwa
ein Löwe und ein Tiger in der Menagerie des M-am des Mutes sich be- «>
kämpfen würden, wenn man sie darauf dressirte. Sie sehen glatt und civi-
lisirt genug dazu aus, daß man ihnen eine so elegante Schlechtigkeit zutrauen
kann. Ein paar Seiten weiterhin und eine neue Schreckensscene tritt dem
Auge entgegen. Zwei spanische Herren — unzweifelhaft Dorf, das kannst
Du mit einem Blick sehen, — zeigen sich auf einem sinkenden Schiffe, über
welchem die Wogen zusammenschlagen. Das Gesicht des einen drückt wilden
Schrecken aus, gemischt mit schuldbewußter Furcht, das Gesicht des andern
hat das Gepräge ruhiger aber strenger Entschlossenheit. Mit seiner rechten
Hand hält der zweite spanische Herr die linke Faust des ersten spanischen
Herrn, indem er mit dem Zeigefinger seiner unbeschäftigten Hand auf die
wildbrausende See deutet. Don Diego, die Stunde der Strafe ist da!
also erklärt er sich unter der Illustration. Don Diego ist augenscheinlich
dieser Thatsache sich wohl bewußt.

Und was finden wir in diesem niedlichen kleinen Blatte „I/a Loimüno
et<ZL vnkg.ut.8", das so nett gedruckt, so nett illustrirt ist, ein wahres Modell
typographischer Sauberkeit? Die Ermordung des Herzogs von Orleans im
Jahre 1407! Also wieder gewaltsamer Tod. Also schon kleine Knaben und
Mädchen muß man mit Blutfcsten ergötzen. Allerdings hat in diesem Beispiel
die Geschichte den Gegenstand geliefert, aber sicherlich hätte sich eine ange¬
nehmere Seite ihres gehaltreichen Bandes aufschlagen lassen. Sind junge
Gemüther in der Imagination von Blutscenen auch noch ein wenig zurück,
so brauchen sie doch darin nicht grade vom Zeichner und Graveur unterstützt
zu werden. Sie werden es schnell genug von selbst lernen, welcher schwarzer
Thaten die menschliche Natur fähig ist.

Aber laßt uns gegen diese armen kleinen Blättchen nicht zu streng sein.
Ehe wir die ganze Strenge der Kritik aus sie anwenden dürfen, müssen wir
den gegenwärtigen Stand der französischen Romanliteratur überhaupt, den
allgemeinen Ton und die ganze Tendenz der schönwissenschaftlichen Schrift-
stellerei in Rechnung ziehen.

Zugegeben, daß die Literatur der billigen pariser Presse nicht von der
heilsamsten und gesündesten Art sei, so bleibt immer noch die Frage, ob sie
nicht besser sei als gar keine Volksschriften. Ich denke doch. Ein Leser, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187352"/>
          <p xml:id="ID_1117" next="#ID_1118"></p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118" prev="#ID_1117"> Lage, verlaß Dich drauf, wir würden es ebenso machen. Denn hat nicht<lb/>
eines Feindes Schwert seinen Körper durch und durch durchbohrt, bis es<lb/>
wieder unter dem Schulterknochen hervorkommt. Dieser Gegner ist augen¬<lb/>
scheinlich ein rachsüchtiger Kerl. Ein eisernes Gitter trennt ihn von dem un¬<lb/>
glücklichen Claude Mouriez und dennoch sticht er zwischen den Eisenstangen<lb/>
durch nach dem verwundeten Manne mit der wildesten Energie. Möglich,<lb/>
daß die beiden Herren sich durch das Gitter hindurch duellirt haben, wie etwa<lb/>
ein Löwe und ein Tiger in der Menagerie des M-am des Mutes sich be- «&gt;<lb/>
kämpfen würden, wenn man sie darauf dressirte. Sie sehen glatt und civi-<lb/>
lisirt genug dazu aus, daß man ihnen eine so elegante Schlechtigkeit zutrauen<lb/>
kann. Ein paar Seiten weiterhin und eine neue Schreckensscene tritt dem<lb/>
Auge entgegen. Zwei spanische Herren &#x2014; unzweifelhaft Dorf, das kannst<lb/>
Du mit einem Blick sehen, &#x2014; zeigen sich auf einem sinkenden Schiffe, über<lb/>
welchem die Wogen zusammenschlagen. Das Gesicht des einen drückt wilden<lb/>
Schrecken aus, gemischt mit schuldbewußter Furcht, das Gesicht des andern<lb/>
hat das Gepräge ruhiger aber strenger Entschlossenheit. Mit seiner rechten<lb/>
Hand hält der zweite spanische Herr die linke Faust des ersten spanischen<lb/>
Herrn, indem er mit dem Zeigefinger seiner unbeschäftigten Hand auf die<lb/>
wildbrausende See deutet. Don Diego, die Stunde der Strafe ist da!<lb/>
also erklärt er sich unter der Illustration. Don Diego ist augenscheinlich<lb/>
dieser Thatsache sich wohl bewußt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1119"> Und was finden wir in diesem niedlichen kleinen Blatte &#x201E;I/a Loimüno<lb/>
et&lt;ZL vnkg.ut.8", das so nett gedruckt, so nett illustrirt ist, ein wahres Modell<lb/>
typographischer Sauberkeit? Die Ermordung des Herzogs von Orleans im<lb/>
Jahre 1407! Also wieder gewaltsamer Tod. Also schon kleine Knaben und<lb/>
Mädchen muß man mit Blutfcsten ergötzen. Allerdings hat in diesem Beispiel<lb/>
die Geschichte den Gegenstand geliefert, aber sicherlich hätte sich eine ange¬<lb/>
nehmere Seite ihres gehaltreichen Bandes aufschlagen lassen. Sind junge<lb/>
Gemüther in der Imagination von Blutscenen auch noch ein wenig zurück,<lb/>
so brauchen sie doch darin nicht grade vom Zeichner und Graveur unterstützt<lb/>
zu werden. Sie werden es schnell genug von selbst lernen, welcher schwarzer<lb/>
Thaten die menschliche Natur fähig ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1120"> Aber laßt uns gegen diese armen kleinen Blättchen nicht zu streng sein.<lb/>
Ehe wir die ganze Strenge der Kritik aus sie anwenden dürfen, müssen wir<lb/>
den gegenwärtigen Stand der französischen Romanliteratur überhaupt, den<lb/>
allgemeinen Ton und die ganze Tendenz der schönwissenschaftlichen Schrift-<lb/>
stellerei in Rechnung ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1121" next="#ID_1122"> Zugegeben, daß die Literatur der billigen pariser Presse nicht von der<lb/>
heilsamsten und gesündesten Art sei, so bleibt immer noch die Frage, ob sie<lb/>
nicht besser sei als gar keine Volksschriften.  Ich denke doch. Ein Leser, der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] '» Lage, verlaß Dich drauf, wir würden es ebenso machen. Denn hat nicht eines Feindes Schwert seinen Körper durch und durch durchbohrt, bis es wieder unter dem Schulterknochen hervorkommt. Dieser Gegner ist augen¬ scheinlich ein rachsüchtiger Kerl. Ein eisernes Gitter trennt ihn von dem un¬ glücklichen Claude Mouriez und dennoch sticht er zwischen den Eisenstangen durch nach dem verwundeten Manne mit der wildesten Energie. Möglich, daß die beiden Herren sich durch das Gitter hindurch duellirt haben, wie etwa ein Löwe und ein Tiger in der Menagerie des M-am des Mutes sich be- «> kämpfen würden, wenn man sie darauf dressirte. Sie sehen glatt und civi- lisirt genug dazu aus, daß man ihnen eine so elegante Schlechtigkeit zutrauen kann. Ein paar Seiten weiterhin und eine neue Schreckensscene tritt dem Auge entgegen. Zwei spanische Herren — unzweifelhaft Dorf, das kannst Du mit einem Blick sehen, — zeigen sich auf einem sinkenden Schiffe, über welchem die Wogen zusammenschlagen. Das Gesicht des einen drückt wilden Schrecken aus, gemischt mit schuldbewußter Furcht, das Gesicht des andern hat das Gepräge ruhiger aber strenger Entschlossenheit. Mit seiner rechten Hand hält der zweite spanische Herr die linke Faust des ersten spanischen Herrn, indem er mit dem Zeigefinger seiner unbeschäftigten Hand auf die wildbrausende See deutet. Don Diego, die Stunde der Strafe ist da! also erklärt er sich unter der Illustration. Don Diego ist augenscheinlich dieser Thatsache sich wohl bewußt. Und was finden wir in diesem niedlichen kleinen Blatte „I/a Loimüno et<ZL vnkg.ut.8", das so nett gedruckt, so nett illustrirt ist, ein wahres Modell typographischer Sauberkeit? Die Ermordung des Herzogs von Orleans im Jahre 1407! Also wieder gewaltsamer Tod. Also schon kleine Knaben und Mädchen muß man mit Blutfcsten ergötzen. Allerdings hat in diesem Beispiel die Geschichte den Gegenstand geliefert, aber sicherlich hätte sich eine ange¬ nehmere Seite ihres gehaltreichen Bandes aufschlagen lassen. Sind junge Gemüther in der Imagination von Blutscenen auch noch ein wenig zurück, so brauchen sie doch darin nicht grade vom Zeichner und Graveur unterstützt zu werden. Sie werden es schnell genug von selbst lernen, welcher schwarzer Thaten die menschliche Natur fähig ist. Aber laßt uns gegen diese armen kleinen Blättchen nicht zu streng sein. Ehe wir die ganze Strenge der Kritik aus sie anwenden dürfen, müssen wir den gegenwärtigen Stand der französischen Romanliteratur überhaupt, den allgemeinen Ton und die ganze Tendenz der schönwissenschaftlichen Schrift- stellerei in Rechnung ziehen. Zugegeben, daß die Literatur der billigen pariser Presse nicht von der heilsamsten und gesündesten Art sei, so bleibt immer noch die Frage, ob sie nicht besser sei als gar keine Volksschriften. Ich denke doch. Ein Leser, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/400>, abgerufen am 24.07.2024.