Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei der Bedeutung, welche die wohlfeile Literatur in Deutschland seit
einigen Jahren erlangt hat, wird es von Interesse sein, aus dem Bericht
des Verfassers zu erfahren, wie dieser Theil des Buchhandels sich in Frank¬
reich ausnimmt. Ein Vergleich zwischen hier und dort wird zeigen, daß
die deutschen Verleger noch mancherlei von den Franzosen lernen können;
in Bezug auf die Wahl dessen aber, was dem Volk geboten wird, hat sich
Deutschland mit der vorzugsweise auf Belehrung ausgehenden Tendenz seiner
billigen Bücher und Blätter vor der Thätigkeit der Franzosen auf diesem Ge¬
biete durchaus nicht zu schämen. --

Es sind nun etwa drei Jahre, als der pariser Verlagshändler Charles
Lahme die erste Nummer eines neuen Wochenblattes herausgab, desgleichen
man in Frankreich vorher nicht kannte. Der Name dieses Wochenblattes, den
es durch den niedrigen Preis und dietverhältnißmäßig große Menge von Stoff
zu verdienenMchte. war ".Inn'lui xour ?on"". Gleich den: populären lon¬
doner Blatte, welchem es in Form und Aussehen nachahmte, bestand es aus
sechzehn enggedrucktcn Seiten, drei Spalten auf der Seite, und enthielt zwei
oder noch mehre Holzschilittillnstrationen. Der Preis klopfte verführerisch an
allen Thüren an. Für zwei Sous, d. h. etwa acht Pfennige, konnte jeder¬
mann ein Exemplar dieses Wochenblattes haben.

Unter der Leitung eines Schriftstellers von hoher Stellung und geachte¬
ten Namen, Mr. Jules Simon, ist das ^ounml pour I'ouL in der That
das populärste und am meisten verbreitete Blatt in Frankreich geworden.
Noch ehe es eine so feste Stellung errungen, waren natürlich Nachahmungen
aufgetreten. Einige begnügten sich damit, dein Beispiel des Herrn Lahure
einfach zu folgen. Andere trieben die Kühnheit so weit, ihn übertreffen
zu wollen.

Wenn ein Wochenblatt zu zwei Sous vermöge seiner Billigkeit einen sol¬
chen Erfolg haben konnte, einen wie viel größeren Erfolg müßte nicht eine
noch billigere Zeitschrift erringen?! Diese Frage mit Ausrufungszeichen legten
sich verschiedene speculative Buchhändler vor. Und um sie zu beantworten,
ließen sie ohne Verzug Drucker, Zeichner und Graveure ans Werk gehen.
Mehre Wochenblätter zu dem fast unglaublichen Preise von einem Sou waren
das Resultat. Diese billigen Zeitschriften haben sich in solcher Weise verviel¬
fältigt, daß sie jetzt zahlreicher sind, als die Organe der täglichen Presse. (Der
Verfasser nennt nun fünfzehn Blätter zum Preise von ein und zwei Sous, von
denen die meisten schon den zweiten, fünf sogar schon den dritten Jahrgang
erlebt haben.)

Die Mehrheit der Publicationen, deren Titel ich eben gegeben habe, ist
von einer Farbe und hat nur ein Ziel. Dies Ziel ist: nmüsiren. Fast all
ihr Naum ist der Novellistik gewidmet, -- französischer Novellistik. Ein Blick


Bei der Bedeutung, welche die wohlfeile Literatur in Deutschland seit
einigen Jahren erlangt hat, wird es von Interesse sein, aus dem Bericht
des Verfassers zu erfahren, wie dieser Theil des Buchhandels sich in Frank¬
reich ausnimmt. Ein Vergleich zwischen hier und dort wird zeigen, daß
die deutschen Verleger noch mancherlei von den Franzosen lernen können;
in Bezug auf die Wahl dessen aber, was dem Volk geboten wird, hat sich
Deutschland mit der vorzugsweise auf Belehrung ausgehenden Tendenz seiner
billigen Bücher und Blätter vor der Thätigkeit der Franzosen auf diesem Ge¬
biete durchaus nicht zu schämen. —

Es sind nun etwa drei Jahre, als der pariser Verlagshändler Charles
Lahme die erste Nummer eines neuen Wochenblattes herausgab, desgleichen
man in Frankreich vorher nicht kannte. Der Name dieses Wochenblattes, den
es durch den niedrigen Preis und dietverhältnißmäßig große Menge von Stoff
zu verdienenMchte. war „.Inn'lui xour ?on«". Gleich den: populären lon¬
doner Blatte, welchem es in Form und Aussehen nachahmte, bestand es aus
sechzehn enggedrucktcn Seiten, drei Spalten auf der Seite, und enthielt zwei
oder noch mehre Holzschilittillnstrationen. Der Preis klopfte verführerisch an
allen Thüren an. Für zwei Sous, d. h. etwa acht Pfennige, konnte jeder¬
mann ein Exemplar dieses Wochenblattes haben.

Unter der Leitung eines Schriftstellers von hoher Stellung und geachte¬
ten Namen, Mr. Jules Simon, ist das ^ounml pour I'ouL in der That
das populärste und am meisten verbreitete Blatt in Frankreich geworden.
Noch ehe es eine so feste Stellung errungen, waren natürlich Nachahmungen
aufgetreten. Einige begnügten sich damit, dein Beispiel des Herrn Lahure
einfach zu folgen. Andere trieben die Kühnheit so weit, ihn übertreffen
zu wollen.

Wenn ein Wochenblatt zu zwei Sous vermöge seiner Billigkeit einen sol¬
chen Erfolg haben konnte, einen wie viel größeren Erfolg müßte nicht eine
noch billigere Zeitschrift erringen?! Diese Frage mit Ausrufungszeichen legten
sich verschiedene speculative Buchhändler vor. Und um sie zu beantworten,
ließen sie ohne Verzug Drucker, Zeichner und Graveure ans Werk gehen.
Mehre Wochenblätter zu dem fast unglaublichen Preise von einem Sou waren
das Resultat. Diese billigen Zeitschriften haben sich in solcher Weise verviel¬
fältigt, daß sie jetzt zahlreicher sind, als die Organe der täglichen Presse. (Der
Verfasser nennt nun fünfzehn Blätter zum Preise von ein und zwei Sous, von
denen die meisten schon den zweiten, fünf sogar schon den dritten Jahrgang
erlebt haben.)

Die Mehrheit der Publicationen, deren Titel ich eben gegeben habe, ist
von einer Farbe und hat nur ein Ziel. Dies Ziel ist: nmüsiren. Fast all
ihr Naum ist der Novellistik gewidmet, — französischer Novellistik. Ein Blick


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0398" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187350"/>
          <p xml:id="ID_1106"> Bei der Bedeutung, welche die wohlfeile Literatur in Deutschland seit<lb/>
einigen Jahren erlangt hat, wird es von Interesse sein, aus dem Bericht<lb/>
des Verfassers zu erfahren, wie dieser Theil des Buchhandels sich in Frank¬<lb/>
reich ausnimmt. Ein Vergleich zwischen hier und dort wird zeigen, daß<lb/>
die deutschen Verleger noch mancherlei von den Franzosen lernen können;<lb/>
in Bezug auf die Wahl dessen aber, was dem Volk geboten wird, hat sich<lb/>
Deutschland mit der vorzugsweise auf Belehrung ausgehenden Tendenz seiner<lb/>
billigen Bücher und Blätter vor der Thätigkeit der Franzosen auf diesem Ge¬<lb/>
biete durchaus nicht zu schämen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1107"> Es sind nun etwa drei Jahre, als der pariser Verlagshändler Charles<lb/>
Lahme die erste Nummer eines neuen Wochenblattes herausgab, desgleichen<lb/>
man in Frankreich vorher nicht kannte. Der Name dieses Wochenblattes, den<lb/>
es durch den niedrigen Preis und dietverhältnißmäßig große Menge von Stoff<lb/>
zu verdienenMchte. war &#x201E;.Inn'lui xour ?on«". Gleich den: populären lon¬<lb/>
doner Blatte, welchem es in Form und Aussehen nachahmte, bestand es aus<lb/>
sechzehn enggedrucktcn Seiten, drei Spalten auf der Seite, und enthielt zwei<lb/>
oder noch mehre Holzschilittillnstrationen. Der Preis klopfte verführerisch an<lb/>
allen Thüren an. Für zwei Sous, d. h. etwa acht Pfennige, konnte jeder¬<lb/>
mann ein Exemplar dieses Wochenblattes haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1108"> Unter der Leitung eines Schriftstellers von hoher Stellung und geachte¬<lb/>
ten Namen, Mr. Jules Simon, ist das ^ounml pour I'ouL in der That<lb/>
das populärste und am meisten verbreitete Blatt in Frankreich geworden.<lb/>
Noch ehe es eine so feste Stellung errungen, waren natürlich Nachahmungen<lb/>
aufgetreten. Einige begnügten sich damit, dein Beispiel des Herrn Lahure<lb/>
einfach zu folgen. Andere trieben die Kühnheit so weit, ihn übertreffen<lb/>
zu wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1109"> Wenn ein Wochenblatt zu zwei Sous vermöge seiner Billigkeit einen sol¬<lb/>
chen Erfolg haben konnte, einen wie viel größeren Erfolg müßte nicht eine<lb/>
noch billigere Zeitschrift erringen?! Diese Frage mit Ausrufungszeichen legten<lb/>
sich verschiedene speculative Buchhändler vor. Und um sie zu beantworten,<lb/>
ließen sie ohne Verzug Drucker, Zeichner und Graveure ans Werk gehen.<lb/>
Mehre Wochenblätter zu dem fast unglaublichen Preise von einem Sou waren<lb/>
das Resultat. Diese billigen Zeitschriften haben sich in solcher Weise verviel¬<lb/>
fältigt, daß sie jetzt zahlreicher sind, als die Organe der täglichen Presse. (Der<lb/>
Verfasser nennt nun fünfzehn Blätter zum Preise von ein und zwei Sous, von<lb/>
denen die meisten schon den zweiten, fünf sogar schon den dritten Jahrgang<lb/>
erlebt haben.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1110" next="#ID_1111"> Die Mehrheit der Publicationen, deren Titel ich eben gegeben habe, ist<lb/>
von einer Farbe und hat nur ein Ziel. Dies Ziel ist: nmüsiren. Fast all<lb/>
ihr Naum ist der Novellistik gewidmet, &#x2014; französischer Novellistik.  Ein Blick</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0398] Bei der Bedeutung, welche die wohlfeile Literatur in Deutschland seit einigen Jahren erlangt hat, wird es von Interesse sein, aus dem Bericht des Verfassers zu erfahren, wie dieser Theil des Buchhandels sich in Frank¬ reich ausnimmt. Ein Vergleich zwischen hier und dort wird zeigen, daß die deutschen Verleger noch mancherlei von den Franzosen lernen können; in Bezug auf die Wahl dessen aber, was dem Volk geboten wird, hat sich Deutschland mit der vorzugsweise auf Belehrung ausgehenden Tendenz seiner billigen Bücher und Blätter vor der Thätigkeit der Franzosen auf diesem Ge¬ biete durchaus nicht zu schämen. — Es sind nun etwa drei Jahre, als der pariser Verlagshändler Charles Lahme die erste Nummer eines neuen Wochenblattes herausgab, desgleichen man in Frankreich vorher nicht kannte. Der Name dieses Wochenblattes, den es durch den niedrigen Preis und dietverhältnißmäßig große Menge von Stoff zu verdienenMchte. war „.Inn'lui xour ?on«". Gleich den: populären lon¬ doner Blatte, welchem es in Form und Aussehen nachahmte, bestand es aus sechzehn enggedrucktcn Seiten, drei Spalten auf der Seite, und enthielt zwei oder noch mehre Holzschilittillnstrationen. Der Preis klopfte verführerisch an allen Thüren an. Für zwei Sous, d. h. etwa acht Pfennige, konnte jeder¬ mann ein Exemplar dieses Wochenblattes haben. Unter der Leitung eines Schriftstellers von hoher Stellung und geachte¬ ten Namen, Mr. Jules Simon, ist das ^ounml pour I'ouL in der That das populärste und am meisten verbreitete Blatt in Frankreich geworden. Noch ehe es eine so feste Stellung errungen, waren natürlich Nachahmungen aufgetreten. Einige begnügten sich damit, dein Beispiel des Herrn Lahure einfach zu folgen. Andere trieben die Kühnheit so weit, ihn übertreffen zu wollen. Wenn ein Wochenblatt zu zwei Sous vermöge seiner Billigkeit einen sol¬ chen Erfolg haben konnte, einen wie viel größeren Erfolg müßte nicht eine noch billigere Zeitschrift erringen?! Diese Frage mit Ausrufungszeichen legten sich verschiedene speculative Buchhändler vor. Und um sie zu beantworten, ließen sie ohne Verzug Drucker, Zeichner und Graveure ans Werk gehen. Mehre Wochenblätter zu dem fast unglaublichen Preise von einem Sou waren das Resultat. Diese billigen Zeitschriften haben sich in solcher Weise verviel¬ fältigt, daß sie jetzt zahlreicher sind, als die Organe der täglichen Presse. (Der Verfasser nennt nun fünfzehn Blätter zum Preise von ein und zwei Sous, von denen die meisten schon den zweiten, fünf sogar schon den dritten Jahrgang erlebt haben.) Die Mehrheit der Publicationen, deren Titel ich eben gegeben habe, ist von einer Farbe und hat nur ein Ziel. Dies Ziel ist: nmüsiren. Fast all ihr Naum ist der Novellistik gewidmet, — französischer Novellistik. Ein Blick

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/398
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/398>, abgerufen am 24.07.2024.