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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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frühern Praxis, das sogenannte Cadressustcm herzustellen, ist die jetzige Ab¬
sicht. Der doppelte Zweck der Sparsamkeit, wie der Consolidirung eines fest-
geschulten Armeeternes wäre durch fortgesetzte Rekrutirungen vereitelt worden.
Die suspendirte Rekrutenstellung, welche dem Volke und den ökonomischen Inter¬
essen des Staates so außerordentliche Vortheile gewährt, wurde zugleich vom
Ausland als sicherste Friedensgarantie bejubelt, was sie doch ihrem wahren
Wesen nach durchaus nicht ist.

Noch bleiben die politischen Amnestien zu erwähnen. Der größte Theil
der davon betroffenen Personen gehört wiederum dem Adel an; die wenigsten
von ihnen stehen noch in einem Alter, in welchem sie geneigt sein möchten,
sich abermals in staatsgefährliche Unternehmungen einzulassen; die Strafzeit
aller oder ihr Exil hat lange genug gedauert, um in ihrer Heimath eine voll¬
kommen neue Generation heranwachsen oder doch solche Veränderungen ein¬
treten zu lassen, daß die Zurückgekehrten schwerlich abermals einen Einfluß zu
gewinnen vermögen. Immerhin mag indessen diese politische Amnestie nebst
ihren nachfolgenden Erweiterungen nicht an erster Stelle durch Gebote politi¬
scher Berechnung dictirt, sondern von ungeschminkter Humanität des Herrschers
eingegeben worden sein. Als politisches Moment des neuen NußlandZerschei-
nen sie irrelevant; selbst ihr moralischer Eindruck ist unter russischen Verhält¬
nissen nicht mit dem eines ähnlichen Gnadenactes in Mitteleuropa zu ver¬
gleichen.




Französische Pfellmglitemtm'.

Pariser Bilder von E. Copping, Aus dem Englischen. Berlin, Verlag von
I. Springer. 1859.

Dieses kleine Buch widerlegt die Meinung, daß sich über Paris nichts
Neues schreiben läßt. Es enthält namentlich in Betreff der populären Lite¬
ratur und der dramatischen Production der Franzosen eine Menge sehr inter¬
essanter, entweder noch gar nicht, oder doch nur wenig bekannter Thatsachen
und Umstände. Ein sehr hübsches Porträt ist das, welches der Verfasser von
dem wunderlichen Poeten und Apostel Jean Journee, dem seltsamsten unter
den vielen seltsamen Jüngern Fouriers, entwirft. Auch die Beschreibung des
Pariser Nenjahrstags, die Schilderungen aus dem Gehölz von Boulogne und
das Bild der Klippen von Belleville machen dem Talent des Verfassers Ehre.
Wir geben einen Auszug aus dem vierten Capitel.


frühern Praxis, das sogenannte Cadressustcm herzustellen, ist die jetzige Ab¬
sicht. Der doppelte Zweck der Sparsamkeit, wie der Consolidirung eines fest-
geschulten Armeeternes wäre durch fortgesetzte Rekrutirungen vereitelt worden.
Die suspendirte Rekrutenstellung, welche dem Volke und den ökonomischen Inter¬
essen des Staates so außerordentliche Vortheile gewährt, wurde zugleich vom
Ausland als sicherste Friedensgarantie bejubelt, was sie doch ihrem wahren
Wesen nach durchaus nicht ist.

Noch bleiben die politischen Amnestien zu erwähnen. Der größte Theil
der davon betroffenen Personen gehört wiederum dem Adel an; die wenigsten
von ihnen stehen noch in einem Alter, in welchem sie geneigt sein möchten,
sich abermals in staatsgefährliche Unternehmungen einzulassen; die Strafzeit
aller oder ihr Exil hat lange genug gedauert, um in ihrer Heimath eine voll¬
kommen neue Generation heranwachsen oder doch solche Veränderungen ein¬
treten zu lassen, daß die Zurückgekehrten schwerlich abermals einen Einfluß zu
gewinnen vermögen. Immerhin mag indessen diese politische Amnestie nebst
ihren nachfolgenden Erweiterungen nicht an erster Stelle durch Gebote politi¬
scher Berechnung dictirt, sondern von ungeschminkter Humanität des Herrschers
eingegeben worden sein. Als politisches Moment des neuen NußlandZerschei-
nen sie irrelevant; selbst ihr moralischer Eindruck ist unter russischen Verhält¬
nissen nicht mit dem eines ähnlichen Gnadenactes in Mitteleuropa zu ver¬
gleichen.




Französische Pfellmglitemtm'.

Pariser Bilder von E. Copping, Aus dem Englischen. Berlin, Verlag von
I. Springer. 1859.

Dieses kleine Buch widerlegt die Meinung, daß sich über Paris nichts
Neues schreiben läßt. Es enthält namentlich in Betreff der populären Lite¬
ratur und der dramatischen Production der Franzosen eine Menge sehr inter¬
essanter, entweder noch gar nicht, oder doch nur wenig bekannter Thatsachen
und Umstände. Ein sehr hübsches Porträt ist das, welches der Verfasser von
dem wunderlichen Poeten und Apostel Jean Journee, dem seltsamsten unter
den vielen seltsamen Jüngern Fouriers, entwirft. Auch die Beschreibung des
Pariser Nenjahrstags, die Schilderungen aus dem Gehölz von Boulogne und
das Bild der Klippen von Belleville machen dem Talent des Verfassers Ehre.
Wir geben einen Auszug aus dem vierten Capitel.


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[0397] frühern Praxis, das sogenannte Cadressustcm herzustellen, ist die jetzige Ab¬ sicht. Der doppelte Zweck der Sparsamkeit, wie der Consolidirung eines fest- geschulten Armeeternes wäre durch fortgesetzte Rekrutirungen vereitelt worden. Die suspendirte Rekrutenstellung, welche dem Volke und den ökonomischen Inter¬ essen des Staates so außerordentliche Vortheile gewährt, wurde zugleich vom Ausland als sicherste Friedensgarantie bejubelt, was sie doch ihrem wahren Wesen nach durchaus nicht ist. Noch bleiben die politischen Amnestien zu erwähnen. Der größte Theil der davon betroffenen Personen gehört wiederum dem Adel an; die wenigsten von ihnen stehen noch in einem Alter, in welchem sie geneigt sein möchten, sich abermals in staatsgefährliche Unternehmungen einzulassen; die Strafzeit aller oder ihr Exil hat lange genug gedauert, um in ihrer Heimath eine voll¬ kommen neue Generation heranwachsen oder doch solche Veränderungen ein¬ treten zu lassen, daß die Zurückgekehrten schwerlich abermals einen Einfluß zu gewinnen vermögen. Immerhin mag indessen diese politische Amnestie nebst ihren nachfolgenden Erweiterungen nicht an erster Stelle durch Gebote politi¬ scher Berechnung dictirt, sondern von ungeschminkter Humanität des Herrschers eingegeben worden sein. Als politisches Moment des neuen NußlandZerschei- nen sie irrelevant; selbst ihr moralischer Eindruck ist unter russischen Verhält¬ nissen nicht mit dem eines ähnlichen Gnadenactes in Mitteleuropa zu ver¬ gleichen. Französische Pfellmglitemtm'. Pariser Bilder von E. Copping, Aus dem Englischen. Berlin, Verlag von I. Springer. 1859. Dieses kleine Buch widerlegt die Meinung, daß sich über Paris nichts Neues schreiben läßt. Es enthält namentlich in Betreff der populären Lite¬ ratur und der dramatischen Production der Franzosen eine Menge sehr inter¬ essanter, entweder noch gar nicht, oder doch nur wenig bekannter Thatsachen und Umstände. Ein sehr hübsches Porträt ist das, welches der Verfasser von dem wunderlichen Poeten und Apostel Jean Journee, dem seltsamsten unter den vielen seltsamen Jüngern Fouriers, entwirft. Auch die Beschreibung des Pariser Nenjahrstags, die Schilderungen aus dem Gehölz von Boulogne und das Bild der Klippen von Belleville machen dem Talent des Verfassers Ehre. Wir geben einen Auszug aus dem vierten Capitel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/397>, abgerufen am 24.07.2024.