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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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keit des Menschen spricht und die Quelle dieses Widerspruchs in dem Geheim¬
niß der Erbsünde erkennt. Lei Newton, Boyle und Bacon überrascht ihn
besonders freudig, daß ihre hohe Wissenschaft -den Glauben nicht erstickt hat.
denn auch als seine Bestimmung saßt er aus: "nicht das große Thema des
Christenthums zu dociren. sondern darauf aufmerksam zu machen; durch Scherz
und Ernst und auf allerlei Weise an das Bessere und Unsichtbare zu erinnern
und durchs Factum zu zeigen, daß man nicht ganz und gar ein Ignorant,
nicht ohne allen Menschenverstand und doch ein rechtgläubiger Christ sein könne.
Das ist das Gewerbe, das ich als Bote den Menschen zu bestellen habe, und
damit ich bisher treuherzig herumgehe und allenthalben an Thür und Fenster
anklopfe." "Es ist viel schwerer, die Vernunft gegen die Offenbarung, als
die Offenbarung gegen die Vernunft zu retten." Am klarsten ist sein
Gedankengang in Asmus' Brief an seinen gelehrten Vetter Andres, über
die Herrlichkeit des Erlösers (4. Band): ..-- der bei Gott und Gott
war und wol hätte mögen Freude haben (sie), der aber an die Elenden im
Gefängniß gedachte und verkleidet in die Uniform des Elends zu ihnen kam.
UM sie mit seinem Blut frei zu machen; der in die Welt kam. die Welt selig
^ machen und der darin geschlagen und gemartert ward und mit einer Dornen¬
krone wieder hinausging! . . . Man könnte sich für die bloße Idee wol
brandmarken und rudern lassen, und wem es einfallen kann zu spotten und
^ lachen, der muß verrückt sein." Freilich! aber ebenso verrückt, wer
wegen der Herrlichkeit jener Idee auf das Factum schwört. Und wie wenig
Rechtgläubig das alles! Der rechte Glaube leitet die Herrlichkeit der Idee aus
offenbarten Thatsache ab. nicht umgekehrt; der subjective Ursprung des
"enen Neligionsgefühls wollte sich damals auch bei den Aposteln nicht ver-
^ngnen. Freilich klingen die Resultate zuweilen sehr orthodox; so heißt es
ö'B. noch in demselben Band: "Abraham schlachtet, als Gott zu ihm sprach.,
^man einzigen Sohn, und bekümmert sich nicht um sein Vaterherz und um
seine Vernunft; und so muß es sein, wenn etwas daraus werden soll." --
In dieser religiösen Prosa gilt, wie in der Lyrik, die Natur nichts an sich.
"Offenbar muß man von Erde und Himmel und von allem, was sichtbar ist,
Auge abwenden, wenn man das Unsichtbare finden will. Nicht daß
Himmel und Erde nicht schön und des Ansehens werth wären; sie sollen unsere
^ufte in Bewegung setzen, durch ihre Schöne an einen, der noch schöner ist.
Innern, und uns das Herz nach ihm verwunden: aber wenn sie das gethan
^ben, dann haben sie das Ihrige gethan und weiter können sie uns nicht
^fen. Der Mensch ist reicher als sie. und hat. was sie nicht geben können."
auch im Menschen ist ein Zwiespalt. "Man tröstet sich mit der inner-
"chen Größe des Menschen und gloriirt über das Hohe seiner Vernunft. Aber
Wde hjer ist es, wo einem Thränen in die Augen treten, wenn man gewahr


keit des Menschen spricht und die Quelle dieses Widerspruchs in dem Geheim¬
niß der Erbsünde erkennt. Lei Newton, Boyle und Bacon überrascht ihn
besonders freudig, daß ihre hohe Wissenschaft -den Glauben nicht erstickt hat.
denn auch als seine Bestimmung saßt er aus: „nicht das große Thema des
Christenthums zu dociren. sondern darauf aufmerksam zu machen; durch Scherz
und Ernst und auf allerlei Weise an das Bessere und Unsichtbare zu erinnern
und durchs Factum zu zeigen, daß man nicht ganz und gar ein Ignorant,
nicht ohne allen Menschenverstand und doch ein rechtgläubiger Christ sein könne.
Das ist das Gewerbe, das ich als Bote den Menschen zu bestellen habe, und
damit ich bisher treuherzig herumgehe und allenthalben an Thür und Fenster
anklopfe." „Es ist viel schwerer, die Vernunft gegen die Offenbarung, als
die Offenbarung gegen die Vernunft zu retten." Am klarsten ist sein
Gedankengang in Asmus' Brief an seinen gelehrten Vetter Andres, über
die Herrlichkeit des Erlösers (4. Band): ..— der bei Gott und Gott
war und wol hätte mögen Freude haben (sie), der aber an die Elenden im
Gefängniß gedachte und verkleidet in die Uniform des Elends zu ihnen kam.
UM sie mit seinem Blut frei zu machen; der in die Welt kam. die Welt selig
^ machen und der darin geschlagen und gemartert ward und mit einer Dornen¬
krone wieder hinausging! . . . Man könnte sich für die bloße Idee wol
brandmarken und rudern lassen, und wem es einfallen kann zu spotten und
^ lachen, der muß verrückt sein." Freilich! aber ebenso verrückt, wer
wegen der Herrlichkeit jener Idee auf das Factum schwört. Und wie wenig
Rechtgläubig das alles! Der rechte Glaube leitet die Herrlichkeit der Idee aus
offenbarten Thatsache ab. nicht umgekehrt; der subjective Ursprung des
"enen Neligionsgefühls wollte sich damals auch bei den Aposteln nicht ver-
^ngnen. Freilich klingen die Resultate zuweilen sehr orthodox; so heißt es
ö'B. noch in demselben Band: „Abraham schlachtet, als Gott zu ihm sprach.,
^man einzigen Sohn, und bekümmert sich nicht um sein Vaterherz und um
seine Vernunft; und so muß es sein, wenn etwas daraus werden soll." —
In dieser religiösen Prosa gilt, wie in der Lyrik, die Natur nichts an sich.
"Offenbar muß man von Erde und Himmel und von allem, was sichtbar ist,
Auge abwenden, wenn man das Unsichtbare finden will. Nicht daß
Himmel und Erde nicht schön und des Ansehens werth wären; sie sollen unsere
^ufte in Bewegung setzen, durch ihre Schöne an einen, der noch schöner ist.
Innern, und uns das Herz nach ihm verwunden: aber wenn sie das gethan
^ben, dann haben sie das Ihrige gethan und weiter können sie uns nicht
^fen. Der Mensch ist reicher als sie. und hat. was sie nicht geben können."
auch im Menschen ist ein Zwiespalt. „Man tröstet sich mit der inner-
"chen Größe des Menschen und gloriirt über das Hohe seiner Vernunft. Aber
Wde hjer ist es, wo einem Thränen in die Augen treten, wenn man gewahr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/353>, abgerufen am 24.07.2024.