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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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des Originals auf den beistimmenden Uebersetzer übertrug. So urtheilten
Goethe, so Herder; so müssen auch wir urtheilen, trotz der abweichenden An¬
sicht des Verfassers, der denn, doch gesteht, daß in jenem Buch Wahrheit
und Phantasie sich verwirren, daß eine orakelnde Dunkelheit und ein mit
Zahienmystik verwebtes Räthselspiel daraus hervorgeht. Es ist schon hier
der unglückselige I. Böhme, der noch später in unserer Philosophie eine so
heillose Verwirrung angerichtet hat. -- Das Jahr ist übrigens bemerkens¬
wert!); auch bei I. Müller und Forster culminirt in ihm die Mystik, haupt¬
sächlich durch F. H. Jacobi genährt. -- Schon am Schluß des 3. Bandes
von Asmus finden sich Andeutungen einer neuen Richtung; so in dem Aus¬
satz über das Gebet: "Das innerliche heimliche Hinhängen. Wellenschlagen
und Wünschen des Herzens, das ist nach meiner Meinung beim Gebet die
Hauptsache .... Ob nun das Gebet einer bewegten Seele etwas ver¬
mag und wirken kann, oder ob der 5lexn8 ki-erum dergleichen nicht gestattet,
wie einige Herrn Gelehrte meinen, darüber lasse ich mich in keinen Streit
ein. Ich hab' allen Respect für den I>Ikxu8 klomm, kann aber doch nicht
umhin, dabei an Simson zu denken, der den Aexns der Thorflügel unbeschädigt
ließ und das ganze Thor auf den Berg trug." Das Zeichen des Kreuzes
schließt den Band. Ganz anders ist schon der Ton im folgenden (1783)!
der Schalk mit seiner Schellenkappe verschwindet sast ganz. "Das PublicuM
und die Recensenten empfanden wohl, daß ihr früherer Liebling nickt mehr
der alte sei. Er bot nur selten Stoff zum Lachen, meist machte er ein ernstes,
mitunter ein bekümmertes Gesicht; aus dem Leben gegriffen waren seine
Gegenstände noch immer, doch die Mehrzahl aus einem andern Leben als
vordem." Eine ausführliche Recension des Bandes in Nicolais Allg>
deutscher Bibliothek erkennt "die hohen Züge des Geistes und edle Wärme
des Herzens" bereitwillig an: "Aber uns dünkt, daß der Verfasser sich den Auf'
Wallungen seiner Empfindung oft zu sehr überläßt, sie zu sehr auf Kosten
der deutlichen Begriffe erhebt. Es kann auf eine Zeit lang angenehm sein,
in süßer Phantasie herum zu wallen, das Herzchen wie ein krankes Kindchen
zu pflegen und ihm all seinen Willen zu gestatten, über Dinge, die wir wissen
und die wir nicht wissen können, schön zu träumen; aber am Ende erwacht
man doch aus diesem elysischen Schlummer oder man träumt sich zum Schwärmer
oder zu etwas noch Aergcrem. Denn wo ist der Mann, der sich rühmen
kann, seinen Empfindungen sicher trauen zu können?" -- In seinen Anzeigen
beschäftigte sich Claudius fortan nur mit solchen Werken, die ihn in seiner
Lebensrichtung fördern und kräftigen konnten: Hamann, Lavater, Jacoln,
Herder. Er las die Kirchenväter und Mystiker, besonders Tauler. dessen Pr^
digtcn ihm ein Haus- und Familienbuch wurden. Mit Pascal stimmt er gani
überein. wenn dieser von der hohen Bestimmung und der niedrigen Wirklich'


des Originals auf den beistimmenden Uebersetzer übertrug. So urtheilten
Goethe, so Herder; so müssen auch wir urtheilen, trotz der abweichenden An¬
sicht des Verfassers, der denn, doch gesteht, daß in jenem Buch Wahrheit
und Phantasie sich verwirren, daß eine orakelnde Dunkelheit und ein mit
Zahienmystik verwebtes Räthselspiel daraus hervorgeht. Es ist schon hier
der unglückselige I. Böhme, der noch später in unserer Philosophie eine so
heillose Verwirrung angerichtet hat. — Das Jahr ist übrigens bemerkens¬
wert!); auch bei I. Müller und Forster culminirt in ihm die Mystik, haupt¬
sächlich durch F. H. Jacobi genährt. — Schon am Schluß des 3. Bandes
von Asmus finden sich Andeutungen einer neuen Richtung; so in dem Aus¬
satz über das Gebet: „Das innerliche heimliche Hinhängen. Wellenschlagen
und Wünschen des Herzens, das ist nach meiner Meinung beim Gebet die
Hauptsache .... Ob nun das Gebet einer bewegten Seele etwas ver¬
mag und wirken kann, oder ob der 5lexn8 ki-erum dergleichen nicht gestattet,
wie einige Herrn Gelehrte meinen, darüber lasse ich mich in keinen Streit
ein. Ich hab' allen Respect für den I>Ikxu8 klomm, kann aber doch nicht
umhin, dabei an Simson zu denken, der den Aexns der Thorflügel unbeschädigt
ließ und das ganze Thor auf den Berg trug." Das Zeichen des Kreuzes
schließt den Band. Ganz anders ist schon der Ton im folgenden (1783)!
der Schalk mit seiner Schellenkappe verschwindet sast ganz. „Das PublicuM
und die Recensenten empfanden wohl, daß ihr früherer Liebling nickt mehr
der alte sei. Er bot nur selten Stoff zum Lachen, meist machte er ein ernstes,
mitunter ein bekümmertes Gesicht; aus dem Leben gegriffen waren seine
Gegenstände noch immer, doch die Mehrzahl aus einem andern Leben als
vordem." Eine ausführliche Recension des Bandes in Nicolais Allg>
deutscher Bibliothek erkennt „die hohen Züge des Geistes und edle Wärme
des Herzens" bereitwillig an: „Aber uns dünkt, daß der Verfasser sich den Auf'
Wallungen seiner Empfindung oft zu sehr überläßt, sie zu sehr auf Kosten
der deutlichen Begriffe erhebt. Es kann auf eine Zeit lang angenehm sein,
in süßer Phantasie herum zu wallen, das Herzchen wie ein krankes Kindchen
zu pflegen und ihm all seinen Willen zu gestatten, über Dinge, die wir wissen
und die wir nicht wissen können, schön zu träumen; aber am Ende erwacht
man doch aus diesem elysischen Schlummer oder man träumt sich zum Schwärmer
oder zu etwas noch Aergcrem. Denn wo ist der Mann, der sich rühmen
kann, seinen Empfindungen sicher trauen zu können?" — In seinen Anzeigen
beschäftigte sich Claudius fortan nur mit solchen Werken, die ihn in seiner
Lebensrichtung fördern und kräftigen konnten: Hamann, Lavater, Jacoln,
Herder. Er las die Kirchenväter und Mystiker, besonders Tauler. dessen Pr^
digtcn ihm ein Haus- und Familienbuch wurden. Mit Pascal stimmt er gani
überein. wenn dieser von der hohen Bestimmung und der niedrigen Wirklich'


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[0352] des Originals auf den beistimmenden Uebersetzer übertrug. So urtheilten Goethe, so Herder; so müssen auch wir urtheilen, trotz der abweichenden An¬ sicht des Verfassers, der denn, doch gesteht, daß in jenem Buch Wahrheit und Phantasie sich verwirren, daß eine orakelnde Dunkelheit und ein mit Zahienmystik verwebtes Räthselspiel daraus hervorgeht. Es ist schon hier der unglückselige I. Böhme, der noch später in unserer Philosophie eine so heillose Verwirrung angerichtet hat. — Das Jahr ist übrigens bemerkens¬ wert!); auch bei I. Müller und Forster culminirt in ihm die Mystik, haupt¬ sächlich durch F. H. Jacobi genährt. — Schon am Schluß des 3. Bandes von Asmus finden sich Andeutungen einer neuen Richtung; so in dem Aus¬ satz über das Gebet: „Das innerliche heimliche Hinhängen. Wellenschlagen und Wünschen des Herzens, das ist nach meiner Meinung beim Gebet die Hauptsache .... Ob nun das Gebet einer bewegten Seele etwas ver¬ mag und wirken kann, oder ob der 5lexn8 ki-erum dergleichen nicht gestattet, wie einige Herrn Gelehrte meinen, darüber lasse ich mich in keinen Streit ein. Ich hab' allen Respect für den I>Ikxu8 klomm, kann aber doch nicht umhin, dabei an Simson zu denken, der den Aexns der Thorflügel unbeschädigt ließ und das ganze Thor auf den Berg trug." Das Zeichen des Kreuzes schließt den Band. Ganz anders ist schon der Ton im folgenden (1783)! der Schalk mit seiner Schellenkappe verschwindet sast ganz. „Das PublicuM und die Recensenten empfanden wohl, daß ihr früherer Liebling nickt mehr der alte sei. Er bot nur selten Stoff zum Lachen, meist machte er ein ernstes, mitunter ein bekümmertes Gesicht; aus dem Leben gegriffen waren seine Gegenstände noch immer, doch die Mehrzahl aus einem andern Leben als vordem." Eine ausführliche Recension des Bandes in Nicolais Allg> deutscher Bibliothek erkennt „die hohen Züge des Geistes und edle Wärme des Herzens" bereitwillig an: „Aber uns dünkt, daß der Verfasser sich den Auf' Wallungen seiner Empfindung oft zu sehr überläßt, sie zu sehr auf Kosten der deutlichen Begriffe erhebt. Es kann auf eine Zeit lang angenehm sein, in süßer Phantasie herum zu wallen, das Herzchen wie ein krankes Kindchen zu pflegen und ihm all seinen Willen zu gestatten, über Dinge, die wir wissen und die wir nicht wissen können, schön zu träumen; aber am Ende erwacht man doch aus diesem elysischen Schlummer oder man träumt sich zum Schwärmer oder zu etwas noch Aergcrem. Denn wo ist der Mann, der sich rühmen kann, seinen Empfindungen sicher trauen zu können?" — In seinen Anzeigen beschäftigte sich Claudius fortan nur mit solchen Werken, die ihn in seiner Lebensrichtung fördern und kräftigen konnten: Hamann, Lavater, Jacoln, Herder. Er las die Kirchenväter und Mystiker, besonders Tauler. dessen Pr^ digtcn ihm ein Haus- und Familienbuch wurden. Mit Pascal stimmt er gani überein. wenn dieser von der hohen Bestimmung und der niedrigen Wirklich'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/352>, abgerufen am 24.07.2024.