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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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daß er den Oberton ganz von sich fern hielt: seine Weise ist durchweg deutsch.
..Claudius kennt nur den unmittelbaren Ausdruck poetischen Lebens, den
Naturlaut der Seele. . . Das Lied war die seinen Gaben angemessene Form.
Es ist wahr, es ist nicht der sonnige Glanz, es sind nicht die feinen Um¬
risse, der buntfarbige Gestaltenreichthum der Goethescher Lyrik . . . schon
der Umfang war weit enger. Zunächst fehlt so gut wie völlig die erotische
Gattung. Grade hier hangt Leben und Dichtung so enge zusammen. Goethes
!o vielfach umgetriebenes Herzensleben hat bei dem Mangel eines stetigen
Glücks gleichsam einen Ersatz dafür in diesen hundertfach modulirten Tönen
gefunden; Claudius einfacherer und reinerer Lebensgang fand früh ein Glück,
das alle Sehnsucht verstummen machte." Seine Lieder haben das Leben in
der Natur, die Zustände des Landmanns, die kleinen und großen Vorgänge
des Familienlebens und weiterhin Fragen, die das Menschenwohl und der
Christen Hoffnung angehn zum Gegenstand. Alles Menschliche wird auf seine
örtliche Bestimmung bezogen. "Er gibt als Dichter, was er selbst erfahren,
^om er sich mit Herz und Mund bekennt, das gibt seinen schlichten Liedern
den Eindruck der Treue, des Erlebten, und steht ihnen so wohl." "Claudius
^ni den Bauernstand heben, indem er ihm die Erkenntniß seiner Lebens¬
güter zu schärfen sucht, indem er sich selbst ihm zugesellt >. . . Der Schutz
des eignen Rechts und des eignen Werths jenes Lebenskreises, dem er ge¬
ilst werden will, ist sein Standpunkt." "Am meisten ist ihm das brüderliche
Gefühl für das vielgestaltige menschliche Leiden eigen." "Auch in seinen
^aturliedcrn läßt er das menschliche Element und Wesen walten; leiht doch
der Mensch erst der Natur die Seele. Trotz des tiefen Naturgefühls, das
'du belebt, stellt er fast nirgend die Natur für sich und um ihrer selbst willen
dar. sondern ihre Beziehung zum Menschen und zu Gott ... Er steht in
geradem Gegensatz gegen die pantheistische Ansicht von der Weltseele, die
^eitles den verführerischen Reiz des Jdeenreichthums, der Bilderfülle und
buntester Färbung voraus hat." ..Er will es ernst und start zu Gemüthe
führen, daß hinter der Natur ihr Gott, hinter dem Leben aber der Tod steht,
^anrit hängt seine Vorliebe sür die Schilderung des Todes zusammen, auf
dessen Bild und dessen Mahnungen er immer wieder zurückkommt, der als
Schutzheiliger und Hnusgott an der Hausthür seines Buches steht." Bei der
Perle seiner Gedichte, dem Abendlied, "liegt der Zauber grade darin, daß
^ keine bloße Abschrift der Natur ist und ebenso wenig eine bloße Empsiu-
^'ug in der Natur. Gleichsam mit geschlossenem Auge läßt der Dichter die
g^chante Schönheit an dem innern Blick vorübergehen, und wirkt durch sol-
^6 Nachdenken der großen Schöpfungsgedanken, daß man nicht blos glaubt
^ die Wahrheit dieser Naturbilduerci. daß man das Bild schaut mit seiner
Innern lebenden Seele, und verwandte Stimmungen wach werden/' Das


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daß er den Oberton ganz von sich fern hielt: seine Weise ist durchweg deutsch.
..Claudius kennt nur den unmittelbaren Ausdruck poetischen Lebens, den
Naturlaut der Seele. . . Das Lied war die seinen Gaben angemessene Form.
Es ist wahr, es ist nicht der sonnige Glanz, es sind nicht die feinen Um¬
risse, der buntfarbige Gestaltenreichthum der Goethescher Lyrik . . . schon
der Umfang war weit enger. Zunächst fehlt so gut wie völlig die erotische
Gattung. Grade hier hangt Leben und Dichtung so enge zusammen. Goethes
!o vielfach umgetriebenes Herzensleben hat bei dem Mangel eines stetigen
Glücks gleichsam einen Ersatz dafür in diesen hundertfach modulirten Tönen
gefunden; Claudius einfacherer und reinerer Lebensgang fand früh ein Glück,
das alle Sehnsucht verstummen machte." Seine Lieder haben das Leben in
der Natur, die Zustände des Landmanns, die kleinen und großen Vorgänge
des Familienlebens und weiterhin Fragen, die das Menschenwohl und der
Christen Hoffnung angehn zum Gegenstand. Alles Menschliche wird auf seine
örtliche Bestimmung bezogen. „Er gibt als Dichter, was er selbst erfahren,
^om er sich mit Herz und Mund bekennt, das gibt seinen schlichten Liedern
den Eindruck der Treue, des Erlebten, und steht ihnen so wohl." „Claudius
^ni den Bauernstand heben, indem er ihm die Erkenntniß seiner Lebens¬
güter zu schärfen sucht, indem er sich selbst ihm zugesellt >. . . Der Schutz
des eignen Rechts und des eignen Werths jenes Lebenskreises, dem er ge¬
ilst werden will, ist sein Standpunkt." „Am meisten ist ihm das brüderliche
Gefühl für das vielgestaltige menschliche Leiden eigen." „Auch in seinen
^aturliedcrn läßt er das menschliche Element und Wesen walten; leiht doch
der Mensch erst der Natur die Seele. Trotz des tiefen Naturgefühls, das
'du belebt, stellt er fast nirgend die Natur für sich und um ihrer selbst willen
dar. sondern ihre Beziehung zum Menschen und zu Gott ... Er steht in
geradem Gegensatz gegen die pantheistische Ansicht von der Weltseele, die
^eitles den verführerischen Reiz des Jdeenreichthums, der Bilderfülle und
buntester Färbung voraus hat." ..Er will es ernst und start zu Gemüthe
führen, daß hinter der Natur ihr Gott, hinter dem Leben aber der Tod steht,
^anrit hängt seine Vorliebe sür die Schilderung des Todes zusammen, auf
dessen Bild und dessen Mahnungen er immer wieder zurückkommt, der als
Schutzheiliger und Hnusgott an der Hausthür seines Buches steht." Bei der
Perle seiner Gedichte, dem Abendlied, „liegt der Zauber grade darin, daß
^ keine bloße Abschrift der Natur ist und ebenso wenig eine bloße Empsiu-
^'ug in der Natur. Gleichsam mit geschlossenem Auge läßt der Dichter die
g^chante Schönheit an dem innern Blick vorübergehen, und wirkt durch sol-
^6 Nachdenken der großen Schöpfungsgedanken, daß man nicht blos glaubt
^ die Wahrheit dieser Naturbilduerci. daß man das Bild schaut mit seiner
Innern lebenden Seele, und verwandte Stimmungen wach werden/' Das


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[0347] daß er den Oberton ganz von sich fern hielt: seine Weise ist durchweg deutsch. ..Claudius kennt nur den unmittelbaren Ausdruck poetischen Lebens, den Naturlaut der Seele. . . Das Lied war die seinen Gaben angemessene Form. Es ist wahr, es ist nicht der sonnige Glanz, es sind nicht die feinen Um¬ risse, der buntfarbige Gestaltenreichthum der Goethescher Lyrik . . . schon der Umfang war weit enger. Zunächst fehlt so gut wie völlig die erotische Gattung. Grade hier hangt Leben und Dichtung so enge zusammen. Goethes !o vielfach umgetriebenes Herzensleben hat bei dem Mangel eines stetigen Glücks gleichsam einen Ersatz dafür in diesen hundertfach modulirten Tönen gefunden; Claudius einfacherer und reinerer Lebensgang fand früh ein Glück, das alle Sehnsucht verstummen machte." Seine Lieder haben das Leben in der Natur, die Zustände des Landmanns, die kleinen und großen Vorgänge des Familienlebens und weiterhin Fragen, die das Menschenwohl und der Christen Hoffnung angehn zum Gegenstand. Alles Menschliche wird auf seine örtliche Bestimmung bezogen. „Er gibt als Dichter, was er selbst erfahren, ^om er sich mit Herz und Mund bekennt, das gibt seinen schlichten Liedern den Eindruck der Treue, des Erlebten, und steht ihnen so wohl." „Claudius ^ni den Bauernstand heben, indem er ihm die Erkenntniß seiner Lebens¬ güter zu schärfen sucht, indem er sich selbst ihm zugesellt >. . . Der Schutz des eignen Rechts und des eignen Werths jenes Lebenskreises, dem er ge¬ ilst werden will, ist sein Standpunkt." „Am meisten ist ihm das brüderliche Gefühl für das vielgestaltige menschliche Leiden eigen." „Auch in seinen ^aturliedcrn läßt er das menschliche Element und Wesen walten; leiht doch der Mensch erst der Natur die Seele. Trotz des tiefen Naturgefühls, das 'du belebt, stellt er fast nirgend die Natur für sich und um ihrer selbst willen dar. sondern ihre Beziehung zum Menschen und zu Gott ... Er steht in geradem Gegensatz gegen die pantheistische Ansicht von der Weltseele, die ^eitles den verführerischen Reiz des Jdeenreichthums, der Bilderfülle und buntester Färbung voraus hat." ..Er will es ernst und start zu Gemüthe führen, daß hinter der Natur ihr Gott, hinter dem Leben aber der Tod steht, ^anrit hängt seine Vorliebe sür die Schilderung des Todes zusammen, auf dessen Bild und dessen Mahnungen er immer wieder zurückkommt, der als Schutzheiliger und Hnusgott an der Hausthür seines Buches steht." Bei der Perle seiner Gedichte, dem Abendlied, „liegt der Zauber grade darin, daß ^ keine bloße Abschrift der Natur ist und ebenso wenig eine bloße Empsiu- ^'ug in der Natur. Gleichsam mit geschlossenem Auge läßt der Dichter die g^chante Schönheit an dem innern Blick vorübergehen, und wirkt durch sol- ^6 Nachdenken der großen Schöpfungsgedanken, daß man nicht blos glaubt ^ die Wahrheit dieser Naturbilduerci. daß man das Bild schaut mit seiner Innern lebenden Seele, und verwandte Stimmungen wach werden/' Das Grenzboten I. 13S9. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/347>, abgerufen am 24.07.2024.