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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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ist, um mit gleich lebendiger Liebe Alles zu umfassen, so scheuen wir uns,
unsere Beziehung zu dem Unendlichen mit Unzähligen zu theilen, und ihre
Stärke, ja die Zuversicht zu ihrer Wahrheit scheint uns in demselben Grade c>b-
zunehmen, in welchem sie sich schrankenlos über eine zunehmende Menge ausdehnt.
Je mehr der Mensch aus einer patriarchalischen Zurückgezogenheit heraustritt
und sich der unerschöpflichen Fruchtbarkeit bewußt wird, mit welcher die Erde
seit undenklichen Zeiten Geschlechter auf Geschlechter entstehen ließ, mannigfach
verschieden an äußerer Gestalt und inneren Anlagen und doch alle im Wesent¬
lichen nach demselben Bilde, ja alle sogar in der Form und den Bedingungen
ihres Lebens den Geschlechtern der Thiere ähnlich, die in noch größerer Fillle-
massenweis entstehend und vergehend, die vcrgessensten Winkel der Erde be'
leben: je mehr dies alles unmittelbar dem Bewußtsein gegenwärtig wird, u"'
so zaghafter wird der Mensch über den Werth seines eignen Daseins zu de"'
ken beginnen, und der Glaube, nichts Anderes, als eine der vergänglichen
scheinungen zu sein, die eine ewige, in Schaffen und Wicdervernichten schrob
gente Urkraft zwecklos hervorbringt und wieder verschwinden läßt, wird s'^
allmülig des Gemüthes bemächtigen.

, Ich will hiermit noch nicht andeuten, daß diese Ansicht historisch zu
gerd einer Zeit im menschlichen Geschlecht die herrschende gewesen sei, obw^
sie sich in der That als die entscheidende Grundstimmung manches Zeitalters
würde erkennen lassen. Ich will sie vielmehr als eine solche bezeichnen,
zu allen Zeiten aufzufinden ist, zwar niemals vielleicht als unbestrittener Glctube-
wol aber als ein weitverbreitetes Gefühl, das seinen Schatten wirksam gew'l!
auf alle menschliche Bestrebungen wirft. Und zwar in doppelter Gestalt
gegnet uns diese geringe Meinung des Menschen von sich selbst. Zuerst, oh>^
durch weitgehende Reflexion geschärft und entwickelt zu sein, tritt sie als e"'
unmittelbares Gefühl der eignen Niedrigkeit und Gewöhnlichkeit in der groß^
Anzahl derer hervor, die, durch die Ungunst ihrer Verhältnisse in einen eng^
Gesichtskreis eingespannt und zum Kampf mit alltäglichen kleinen Hindernis^'
gezwungen, im Grunde nur das Leben leiden, wie ein ihnen aufgenöthig^
Verhängnis). Vertraut mit dem Anblick des Elends, wissen sie wohl, wie d^'
Naturlauf schnöde und haufenweis die Menschen zu Boden zieht, währe"
den Glücklicheren der seltner beobachtete Untergang des Lebens wenigstens
der Feierlichkeit eines außerordentlichen Ereignisses erhebt und tröstet. ^ .
Schattenseiten des Daseins, alle Mißhandlungen durch den gemeinen ^
der Dinge treten unverdeckt in ihre tägliche Erfahrung und bringen jene nu^
standlose Resignation hervor, mit der wir zu allen Zeiten die Masse de
menschlichen Geschlechtes Leben und Tod ertragen sehen. Sie führen rM
sowol das Leben, sondern sie dulden es durch, ohne Ziele im Großen,
im Kleinen auf zweckmäßige Abwehr der augenblicklichen Uebel und die ^


ist, um mit gleich lebendiger Liebe Alles zu umfassen, so scheuen wir uns,
unsere Beziehung zu dem Unendlichen mit Unzähligen zu theilen, und ihre
Stärke, ja die Zuversicht zu ihrer Wahrheit scheint uns in demselben Grade c>b-
zunehmen, in welchem sie sich schrankenlos über eine zunehmende Menge ausdehnt.
Je mehr der Mensch aus einer patriarchalischen Zurückgezogenheit heraustritt
und sich der unerschöpflichen Fruchtbarkeit bewußt wird, mit welcher die Erde
seit undenklichen Zeiten Geschlechter auf Geschlechter entstehen ließ, mannigfach
verschieden an äußerer Gestalt und inneren Anlagen und doch alle im Wesent¬
lichen nach demselben Bilde, ja alle sogar in der Form und den Bedingungen
ihres Lebens den Geschlechtern der Thiere ähnlich, die in noch größerer Fillle-
massenweis entstehend und vergehend, die vcrgessensten Winkel der Erde be'
leben: je mehr dies alles unmittelbar dem Bewußtsein gegenwärtig wird, u»'
so zaghafter wird der Mensch über den Werth seines eignen Daseins zu de"'
ken beginnen, und der Glaube, nichts Anderes, als eine der vergänglichen
scheinungen zu sein, die eine ewige, in Schaffen und Wicdervernichten schrob
gente Urkraft zwecklos hervorbringt und wieder verschwinden läßt, wird s'^
allmülig des Gemüthes bemächtigen.

, Ich will hiermit noch nicht andeuten, daß diese Ansicht historisch zu
gerd einer Zeit im menschlichen Geschlecht die herrschende gewesen sei, obw^
sie sich in der That als die entscheidende Grundstimmung manches Zeitalters
würde erkennen lassen. Ich will sie vielmehr als eine solche bezeichnen,
zu allen Zeiten aufzufinden ist, zwar niemals vielleicht als unbestrittener Glctube-
wol aber als ein weitverbreitetes Gefühl, das seinen Schatten wirksam gew'l!
auf alle menschliche Bestrebungen wirft. Und zwar in doppelter Gestalt
gegnet uns diese geringe Meinung des Menschen von sich selbst. Zuerst, oh>^
durch weitgehende Reflexion geschärft und entwickelt zu sein, tritt sie als e»'
unmittelbares Gefühl der eignen Niedrigkeit und Gewöhnlichkeit in der groß^
Anzahl derer hervor, die, durch die Ungunst ihrer Verhältnisse in einen eng^
Gesichtskreis eingespannt und zum Kampf mit alltäglichen kleinen Hindernis^'
gezwungen, im Grunde nur das Leben leiden, wie ein ihnen aufgenöthig^
Verhängnis). Vertraut mit dem Anblick des Elends, wissen sie wohl, wie d^'
Naturlauf schnöde und haufenweis die Menschen zu Boden zieht, währe"
den Glücklicheren der seltner beobachtete Untergang des Lebens wenigstens
der Feierlichkeit eines außerordentlichen Ereignisses erhebt und tröstet. ^ .
Schattenseiten des Daseins, alle Mißhandlungen durch den gemeinen ^
der Dinge treten unverdeckt in ihre tägliche Erfahrung und bringen jene nu^
standlose Resignation hervor, mit der wir zu allen Zeiten die Masse de
menschlichen Geschlechtes Leben und Tod ertragen sehen. Sie führen rM
sowol das Leben, sondern sie dulden es durch, ohne Ziele im Großen,
im Kleinen auf zweckmäßige Abwehr der augenblicklichen Uebel und die ^


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[0282] ist, um mit gleich lebendiger Liebe Alles zu umfassen, so scheuen wir uns, unsere Beziehung zu dem Unendlichen mit Unzähligen zu theilen, und ihre Stärke, ja die Zuversicht zu ihrer Wahrheit scheint uns in demselben Grade c>b- zunehmen, in welchem sie sich schrankenlos über eine zunehmende Menge ausdehnt. Je mehr der Mensch aus einer patriarchalischen Zurückgezogenheit heraustritt und sich der unerschöpflichen Fruchtbarkeit bewußt wird, mit welcher die Erde seit undenklichen Zeiten Geschlechter auf Geschlechter entstehen ließ, mannigfach verschieden an äußerer Gestalt und inneren Anlagen und doch alle im Wesent¬ lichen nach demselben Bilde, ja alle sogar in der Form und den Bedingungen ihres Lebens den Geschlechtern der Thiere ähnlich, die in noch größerer Fillle- massenweis entstehend und vergehend, die vcrgessensten Winkel der Erde be' leben: je mehr dies alles unmittelbar dem Bewußtsein gegenwärtig wird, u»' so zaghafter wird der Mensch über den Werth seines eignen Daseins zu de"' ken beginnen, und der Glaube, nichts Anderes, als eine der vergänglichen scheinungen zu sein, die eine ewige, in Schaffen und Wicdervernichten schrob gente Urkraft zwecklos hervorbringt und wieder verschwinden läßt, wird s'^ allmülig des Gemüthes bemächtigen. , Ich will hiermit noch nicht andeuten, daß diese Ansicht historisch zu gerd einer Zeit im menschlichen Geschlecht die herrschende gewesen sei, obw^ sie sich in der That als die entscheidende Grundstimmung manches Zeitalters würde erkennen lassen. Ich will sie vielmehr als eine solche bezeichnen, zu allen Zeiten aufzufinden ist, zwar niemals vielleicht als unbestrittener Glctube- wol aber als ein weitverbreitetes Gefühl, das seinen Schatten wirksam gew'l! auf alle menschliche Bestrebungen wirft. Und zwar in doppelter Gestalt gegnet uns diese geringe Meinung des Menschen von sich selbst. Zuerst, oh>^ durch weitgehende Reflexion geschärft und entwickelt zu sein, tritt sie als e»' unmittelbares Gefühl der eignen Niedrigkeit und Gewöhnlichkeit in der groß^ Anzahl derer hervor, die, durch die Ungunst ihrer Verhältnisse in einen eng^ Gesichtskreis eingespannt und zum Kampf mit alltäglichen kleinen Hindernis^' gezwungen, im Grunde nur das Leben leiden, wie ein ihnen aufgenöthig^ Verhängnis). Vertraut mit dem Anblick des Elends, wissen sie wohl, wie d^' Naturlauf schnöde und haufenweis die Menschen zu Boden zieht, währe" den Glücklicheren der seltner beobachtete Untergang des Lebens wenigstens der Feierlichkeit eines außerordentlichen Ereignisses erhebt und tröstet. ^ . Schattenseiten des Daseins, alle Mißhandlungen durch den gemeinen ^ der Dinge treten unverdeckt in ihre tägliche Erfahrung und bringen jene nu^ standlose Resignation hervor, mit der wir zu allen Zeiten die Masse de menschlichen Geschlechtes Leben und Tod ertragen sehen. Sie führen rM sowol das Leben, sondern sie dulden es durch, ohne Ziele im Großen, im Kleinen auf zweckmäßige Abwehr der augenblicklichen Uebel und die ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/282>, abgerufen am 24.07.2024.