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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Schmelzung beider Gegensätze bis zu einem gewissen Grade wenigstens voll¬
bracht erscheint. -- Die italienische Bauart basirt auf dem Rundbogen und
dem romanischen Gewölbprincip in der Raumüberdeckung, auf dem Festhalten
der Horizontallinie im Aufbau und auf der entsprechenden Wiederaufnahme
der formalen Eigenschaften der antik-römischen Kunst. Das romanische Wölb¬
princip ist germanischen Ursprungs, germanischen Einwirkungen wird auch die
Uebersiedelung nach Italien, die Verdrängung der frühitalienischen holzbcdeck-
ten Basilika zuzuschreiben sein. Indem nun aber der italienische Stil das
romanische Wölbprincip aufnimmt, steigert er dasselbe zu statischen Fortschritt.
Verlangte nämlich die südliche Gefühlsweise eine freie weite Raumbildung
und entfaltete sich demgemäß der Grundplan zu mächtiger Breite, so ergaben
sich auch für die Ueberwölbung gewaltige Spannweiten. Beträgt doch die
mittlere Pfeilerweite am florentiner Dom 60 Fuß, am Dom zu Speier da¬
gegen nur 46 Fuß. Wurden nun aber die Pfeiler nach romanischem Schema
so angeordnet, daß je vier ein Quadrat bildeten, mithin das Gewölbe in glei¬
chem Maße sich nach der Breite und Länge ausdehnte, die Gewölbestützen
dagegen als vier- oder achteckige Pfeiler oder runde Säulen in möglichst
ringer Stärke errichtet, und außerdem die romanische Kuppel zu außerordent¬
lichen Dimensionen vergrößert wurde, so muß dem italienischen Stil eine
Kühnheit und Großartigkeit in der Eonstruction zuerkannt werden, die ins¬
besondere das gothische Gewölbsystcm weit hinter sich zurückläßt. Die Gothik
vermochte nur durch Aufhäufung immenser Mauermassen den Gewölbeschub
zu Paralysiren und dem durch übermäßige Höhenstreckung geschwächten Organis¬
mus Halt zu verschaffen; der italienische Stil, der mit dem romanischen Ge¬
wölbsystem auch das in ihm gegebene mäßige Höhenverhültniß ausnimmt und
darum innerhalb statisch natürlicher Grenzen bleibt, bildet den Strebepfeiler,
seiner Bedeutung als Widerlager entsprechend, als vorspringende Mauerver-
ftärkung nach Analogie der romanischen Lissene und weis im Anschluß an den
romanischen Stil einem etwaigen Gewölbeschub durch Mauern von hinreiche"'
der Stärke zu begegnen. Ebenso wurden an Stelle der gothischen Monstra
fenster nach romanischer Art Fenster von mäßiger Größe angeordnet, die
Mauerflüchen aber, die nun wieder den organischen Raumabschluß bilden, mit
großartigen Wandmalereien geschmückt, wie denn auch der ganze innere Or¬
ganismus durch Dekorationsmalerei auf bedeutsame Weise charakterisirt er¬
scheint. Neben der angemessenen Berücksichtigung des im Gewölbeband ge'
gehalten vertikalen Elements hält der italienische Stil die Bedeutung der
Horizontallinie als den gesetzmäßigen Ausdruck des statischen Aufbaues fest
und sucht in der entsprechenden äußeren Gruppirung und Gliederung den in¬
neren Organismus zur berechtigten Erscheinung zu bringen. Ein völliges-
kräftiges Hauptgesims schließt die aufsteigende Hvhenbewegung organisch und


Schmelzung beider Gegensätze bis zu einem gewissen Grade wenigstens voll¬
bracht erscheint. — Die italienische Bauart basirt auf dem Rundbogen und
dem romanischen Gewölbprincip in der Raumüberdeckung, auf dem Festhalten
der Horizontallinie im Aufbau und auf der entsprechenden Wiederaufnahme
der formalen Eigenschaften der antik-römischen Kunst. Das romanische Wölb¬
princip ist germanischen Ursprungs, germanischen Einwirkungen wird auch die
Uebersiedelung nach Italien, die Verdrängung der frühitalienischen holzbcdeck-
ten Basilika zuzuschreiben sein. Indem nun aber der italienische Stil das
romanische Wölbprincip aufnimmt, steigert er dasselbe zu statischen Fortschritt.
Verlangte nämlich die südliche Gefühlsweise eine freie weite Raumbildung
und entfaltete sich demgemäß der Grundplan zu mächtiger Breite, so ergaben
sich auch für die Ueberwölbung gewaltige Spannweiten. Beträgt doch die
mittlere Pfeilerweite am florentiner Dom 60 Fuß, am Dom zu Speier da¬
gegen nur 46 Fuß. Wurden nun aber die Pfeiler nach romanischem Schema
so angeordnet, daß je vier ein Quadrat bildeten, mithin das Gewölbe in glei¬
chem Maße sich nach der Breite und Länge ausdehnte, die Gewölbestützen
dagegen als vier- oder achteckige Pfeiler oder runde Säulen in möglichst
ringer Stärke errichtet, und außerdem die romanische Kuppel zu außerordent¬
lichen Dimensionen vergrößert wurde, so muß dem italienischen Stil eine
Kühnheit und Großartigkeit in der Eonstruction zuerkannt werden, die ins¬
besondere das gothische Gewölbsystcm weit hinter sich zurückläßt. Die Gothik
vermochte nur durch Aufhäufung immenser Mauermassen den Gewölbeschub
zu Paralysiren und dem durch übermäßige Höhenstreckung geschwächten Organis¬
mus Halt zu verschaffen; der italienische Stil, der mit dem romanischen Ge¬
wölbsystem auch das in ihm gegebene mäßige Höhenverhültniß ausnimmt und
darum innerhalb statisch natürlicher Grenzen bleibt, bildet den Strebepfeiler,
seiner Bedeutung als Widerlager entsprechend, als vorspringende Mauerver-
ftärkung nach Analogie der romanischen Lissene und weis im Anschluß an den
romanischen Stil einem etwaigen Gewölbeschub durch Mauern von hinreiche»'
der Stärke zu begegnen. Ebenso wurden an Stelle der gothischen Monstra
fenster nach romanischer Art Fenster von mäßiger Größe angeordnet, die
Mauerflüchen aber, die nun wieder den organischen Raumabschluß bilden, mit
großartigen Wandmalereien geschmückt, wie denn auch der ganze innere Or¬
ganismus durch Dekorationsmalerei auf bedeutsame Weise charakterisirt er¬
scheint. Neben der angemessenen Berücksichtigung des im Gewölbeband ge'
gehalten vertikalen Elements hält der italienische Stil die Bedeutung der
Horizontallinie als den gesetzmäßigen Ausdruck des statischen Aufbaues fest
und sucht in der entsprechenden äußeren Gruppirung und Gliederung den in¬
neren Organismus zur berechtigten Erscheinung zu bringen. Ein völliges-
kräftiges Hauptgesims schließt die aufsteigende Hvhenbewegung organisch und


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[0268] Schmelzung beider Gegensätze bis zu einem gewissen Grade wenigstens voll¬ bracht erscheint. — Die italienische Bauart basirt auf dem Rundbogen und dem romanischen Gewölbprincip in der Raumüberdeckung, auf dem Festhalten der Horizontallinie im Aufbau und auf der entsprechenden Wiederaufnahme der formalen Eigenschaften der antik-römischen Kunst. Das romanische Wölb¬ princip ist germanischen Ursprungs, germanischen Einwirkungen wird auch die Uebersiedelung nach Italien, die Verdrängung der frühitalienischen holzbcdeck- ten Basilika zuzuschreiben sein. Indem nun aber der italienische Stil das romanische Wölbprincip aufnimmt, steigert er dasselbe zu statischen Fortschritt. Verlangte nämlich die südliche Gefühlsweise eine freie weite Raumbildung und entfaltete sich demgemäß der Grundplan zu mächtiger Breite, so ergaben sich auch für die Ueberwölbung gewaltige Spannweiten. Beträgt doch die mittlere Pfeilerweite am florentiner Dom 60 Fuß, am Dom zu Speier da¬ gegen nur 46 Fuß. Wurden nun aber die Pfeiler nach romanischem Schema so angeordnet, daß je vier ein Quadrat bildeten, mithin das Gewölbe in glei¬ chem Maße sich nach der Breite und Länge ausdehnte, die Gewölbestützen dagegen als vier- oder achteckige Pfeiler oder runde Säulen in möglichst ringer Stärke errichtet, und außerdem die romanische Kuppel zu außerordent¬ lichen Dimensionen vergrößert wurde, so muß dem italienischen Stil eine Kühnheit und Großartigkeit in der Eonstruction zuerkannt werden, die ins¬ besondere das gothische Gewölbsystcm weit hinter sich zurückläßt. Die Gothik vermochte nur durch Aufhäufung immenser Mauermassen den Gewölbeschub zu Paralysiren und dem durch übermäßige Höhenstreckung geschwächten Organis¬ mus Halt zu verschaffen; der italienische Stil, der mit dem romanischen Ge¬ wölbsystem auch das in ihm gegebene mäßige Höhenverhültniß ausnimmt und darum innerhalb statisch natürlicher Grenzen bleibt, bildet den Strebepfeiler, seiner Bedeutung als Widerlager entsprechend, als vorspringende Mauerver- ftärkung nach Analogie der romanischen Lissene und weis im Anschluß an den romanischen Stil einem etwaigen Gewölbeschub durch Mauern von hinreiche»' der Stärke zu begegnen. Ebenso wurden an Stelle der gothischen Monstra fenster nach romanischer Art Fenster von mäßiger Größe angeordnet, die Mauerflüchen aber, die nun wieder den organischen Raumabschluß bilden, mit großartigen Wandmalereien geschmückt, wie denn auch der ganze innere Or¬ ganismus durch Dekorationsmalerei auf bedeutsame Weise charakterisirt er¬ scheint. Neben der angemessenen Berücksichtigung des im Gewölbeband ge' gehalten vertikalen Elements hält der italienische Stil die Bedeutung der Horizontallinie als den gesetzmäßigen Ausdruck des statischen Aufbaues fest und sucht in der entsprechenden äußeren Gruppirung und Gliederung den in¬ neren Organismus zur berechtigten Erscheinung zu bringen. Ein völliges- kräftiges Hauptgesims schließt die aufsteigende Hvhenbewegung organisch und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/268>, abgerufen am 24.07.2024.