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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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haben die feste Ueberzeugung, daß Religion und Christenthum dabei nicht zu
kurz kommen, im Gegentheil Eroberungen machen werden, wie sie selten von
ihnen gemacht worden sind. Alles wird sich in diesen Tagen der Dürre und
Verschmachtung zu der neu eröffneten Heilquelle hinzudrängen, um neues
Leben daraus zu trinken; Tausende und Abertausende, die vom Vater aus
den Sohn und Enkel der Religion und Kirche so gut wie abgestorben waren,
werden den neu constituirten Gemeinden sich zuwenden, und diese Gemeinden
werden sich je nach den verschiedenen Anschauungen, die in ihnen vorherr¬
schend sind, zu größeren religiösen, christlichen, evangelischen Bündnissen ver¬
einigen. Und diese freien Bündnisse, alle geeinigt in dem Gegensatz zum
römischen Katholicismus, sie sind die neue evangelische Kirche Preußens."

"Welcher Protestant, welcher evangelische Christ sollte sich von diesem
Bilde, das hier uns in ein paar flüchtigen Zügen angedeutet worden, nicht
lebhaft angesprochen fühlen! Müßte nicht eben vor allem die protestantische
Presse Veranlassung nehmen, die evangelischen Gemeinden Preußens auf
einen solchen Umschwung ihrer kirchlichen Verhältnisse und für die Arbeit,
die dann gethan sein will, in aller Weise vorzubereiten und zu be¬
geistern? Hoffentlich wird man dann anfangen, die deutscheu Dissidenten¬
gemeinden mit einem andern Maße zu messen, als man es bisher gethan
hat, diese aber werden ihre zehn- und zwölfjährige Erfahrung gern zum
Besten geben, ohne sich ein andres Verdienst zuzuschreiben, als die Vorläufer
jener großen religiösen Wiedergeburt zu sein, die dann zunächst in der evan-
gelischen Kirche Preußens ihren Anfang nähme."

Wir wollen uns dieses Reich der Herrlichkeit etwas näher ausmalen: --
nur wollen wir dabei nicht vergessen, daß es in Deutschland im Jahr des
Herrn 1858 aufgerichtet werden soll, nicht in Schottland im Jahre l.l>00, wo
die puritanische Gesinnung und Bildung jedes Gemeindeglied so gesaßt hatte,
daß die Gemeinde wirklich der Träger der Rechtgläubigkeit war; nicht in Ame¬
rika, wo so viel Platz ist, daß nöthigenfalls eine Gemeinde den andern, wenn
sie ihnen lästig wird, aus dem Wege gehn kann. Also die kirchliche Souve-
ränetät wird in die Gemeinde verlegt, und eine Gemeinde bildet, wer sie
bilden will. Nun ist bekannt, daß die rechtgläubigen Prediger einen recht
großen Zulauf haben, und die Zahl der freien Gemeinden, die einen Vilmar,
Kliefoth, Hengstenberg n. s. w. an die Spitze stellen, würde ziemlich beträcht¬
lich sein; andere würden Uhlich oder Rupp vorziehn, auch Feuerbach, Bruno
Bauer und Karl Vogt würden ihre Stelle finden. Auch wir sind keine Pro¬
pheten, aber wir getrauen uns doch, den Gang der Ereignisse ziemlich bestinunt
vorzuzeichnen.

Zuerst würde der theologische Dilettantismus überhandnehmen, alle Welt
würde über das Wesen Gottes und ähnliche Dinge eine Meinung an den


haben die feste Ueberzeugung, daß Religion und Christenthum dabei nicht zu
kurz kommen, im Gegentheil Eroberungen machen werden, wie sie selten von
ihnen gemacht worden sind. Alles wird sich in diesen Tagen der Dürre und
Verschmachtung zu der neu eröffneten Heilquelle hinzudrängen, um neues
Leben daraus zu trinken; Tausende und Abertausende, die vom Vater aus
den Sohn und Enkel der Religion und Kirche so gut wie abgestorben waren,
werden den neu constituirten Gemeinden sich zuwenden, und diese Gemeinden
werden sich je nach den verschiedenen Anschauungen, die in ihnen vorherr¬
schend sind, zu größeren religiösen, christlichen, evangelischen Bündnissen ver¬
einigen. Und diese freien Bündnisse, alle geeinigt in dem Gegensatz zum
römischen Katholicismus, sie sind die neue evangelische Kirche Preußens."

„Welcher Protestant, welcher evangelische Christ sollte sich von diesem
Bilde, das hier uns in ein paar flüchtigen Zügen angedeutet worden, nicht
lebhaft angesprochen fühlen! Müßte nicht eben vor allem die protestantische
Presse Veranlassung nehmen, die evangelischen Gemeinden Preußens auf
einen solchen Umschwung ihrer kirchlichen Verhältnisse und für die Arbeit,
die dann gethan sein will, in aller Weise vorzubereiten und zu be¬
geistern? Hoffentlich wird man dann anfangen, die deutscheu Dissidenten¬
gemeinden mit einem andern Maße zu messen, als man es bisher gethan
hat, diese aber werden ihre zehn- und zwölfjährige Erfahrung gern zum
Besten geben, ohne sich ein andres Verdienst zuzuschreiben, als die Vorläufer
jener großen religiösen Wiedergeburt zu sein, die dann zunächst in der evan-
gelischen Kirche Preußens ihren Anfang nähme."

Wir wollen uns dieses Reich der Herrlichkeit etwas näher ausmalen: —
nur wollen wir dabei nicht vergessen, daß es in Deutschland im Jahr des
Herrn 1858 aufgerichtet werden soll, nicht in Schottland im Jahre l.l>00, wo
die puritanische Gesinnung und Bildung jedes Gemeindeglied so gesaßt hatte,
daß die Gemeinde wirklich der Träger der Rechtgläubigkeit war; nicht in Ame¬
rika, wo so viel Platz ist, daß nöthigenfalls eine Gemeinde den andern, wenn
sie ihnen lästig wird, aus dem Wege gehn kann. Also die kirchliche Souve-
ränetät wird in die Gemeinde verlegt, und eine Gemeinde bildet, wer sie
bilden will. Nun ist bekannt, daß die rechtgläubigen Prediger einen recht
großen Zulauf haben, und die Zahl der freien Gemeinden, die einen Vilmar,
Kliefoth, Hengstenberg n. s. w. an die Spitze stellen, würde ziemlich beträcht¬
lich sein; andere würden Uhlich oder Rupp vorziehn, auch Feuerbach, Bruno
Bauer und Karl Vogt würden ihre Stelle finden. Auch wir sind keine Pro¬
pheten, aber wir getrauen uns doch, den Gang der Ereignisse ziemlich bestinunt
vorzuzeichnen.

Zuerst würde der theologische Dilettantismus überhandnehmen, alle Welt
würde über das Wesen Gottes und ähnliche Dinge eine Meinung an den


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[0026] haben die feste Ueberzeugung, daß Religion und Christenthum dabei nicht zu kurz kommen, im Gegentheil Eroberungen machen werden, wie sie selten von ihnen gemacht worden sind. Alles wird sich in diesen Tagen der Dürre und Verschmachtung zu der neu eröffneten Heilquelle hinzudrängen, um neues Leben daraus zu trinken; Tausende und Abertausende, die vom Vater aus den Sohn und Enkel der Religion und Kirche so gut wie abgestorben waren, werden den neu constituirten Gemeinden sich zuwenden, und diese Gemeinden werden sich je nach den verschiedenen Anschauungen, die in ihnen vorherr¬ schend sind, zu größeren religiösen, christlichen, evangelischen Bündnissen ver¬ einigen. Und diese freien Bündnisse, alle geeinigt in dem Gegensatz zum römischen Katholicismus, sie sind die neue evangelische Kirche Preußens." „Welcher Protestant, welcher evangelische Christ sollte sich von diesem Bilde, das hier uns in ein paar flüchtigen Zügen angedeutet worden, nicht lebhaft angesprochen fühlen! Müßte nicht eben vor allem die protestantische Presse Veranlassung nehmen, die evangelischen Gemeinden Preußens auf einen solchen Umschwung ihrer kirchlichen Verhältnisse und für die Arbeit, die dann gethan sein will, in aller Weise vorzubereiten und zu be¬ geistern? Hoffentlich wird man dann anfangen, die deutscheu Dissidenten¬ gemeinden mit einem andern Maße zu messen, als man es bisher gethan hat, diese aber werden ihre zehn- und zwölfjährige Erfahrung gern zum Besten geben, ohne sich ein andres Verdienst zuzuschreiben, als die Vorläufer jener großen religiösen Wiedergeburt zu sein, die dann zunächst in der evan- gelischen Kirche Preußens ihren Anfang nähme." Wir wollen uns dieses Reich der Herrlichkeit etwas näher ausmalen: — nur wollen wir dabei nicht vergessen, daß es in Deutschland im Jahr des Herrn 1858 aufgerichtet werden soll, nicht in Schottland im Jahre l.l>00, wo die puritanische Gesinnung und Bildung jedes Gemeindeglied so gesaßt hatte, daß die Gemeinde wirklich der Träger der Rechtgläubigkeit war; nicht in Ame¬ rika, wo so viel Platz ist, daß nöthigenfalls eine Gemeinde den andern, wenn sie ihnen lästig wird, aus dem Wege gehn kann. Also die kirchliche Souve- ränetät wird in die Gemeinde verlegt, und eine Gemeinde bildet, wer sie bilden will. Nun ist bekannt, daß die rechtgläubigen Prediger einen recht großen Zulauf haben, und die Zahl der freien Gemeinden, die einen Vilmar, Kliefoth, Hengstenberg n. s. w. an die Spitze stellen, würde ziemlich beträcht¬ lich sein; andere würden Uhlich oder Rupp vorziehn, auch Feuerbach, Bruno Bauer und Karl Vogt würden ihre Stelle finden. Auch wir sind keine Pro¬ pheten, aber wir getrauen uns doch, den Gang der Ereignisse ziemlich bestinunt vorzuzeichnen. Zuerst würde der theologische Dilettantismus überhandnehmen, alle Welt würde über das Wesen Gottes und ähnliche Dinge eine Meinung an den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/26>, abgerufen am 24.07.2024.