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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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seine Romane. Sein Reichthum setzte ihn in den Stand, der Mäcen aller
Künstler und Schriftsteller zu werden und in der Gesellschaft eine sehr an¬
gesehene Stellung zu behaupten, zugleich trieb er ihn aber in das Lager der
Tones. Diese Parteistellung hat ihn gegenwärtig zum Minister gemacht, und
da ihm für das Unterhaus die Gabe der Rede abgeht, so zweifeln wir nicht
daran, daß er als Lord enden wird.

Von seinen Theaterstücken sind zu erwähnen: die Dame von Lyon, Riese-
^en und die Herzogin von Lavalliüre. Außerdem ein^Lustspiel "Uol so daä
^ >v"z "vom, or Nun)' siglrls ok g, eiuncwi'," 1851, welches seinen alten
Zündsatz von den gemischten Charakteren nicht eben glücklich versinnlicht.
Noch bijeb ihm aber vorbehalten, auf dem Gebiet des Romans eine neue
^ahn und zwar mit entschiedenem Erfolg zu betreten.

Trotz der großen Zahl sehr talentvoller Schriftsteller, die für die Bedürf-
des Lescpublicums arbeiteten, war Bulwer bis zum Erscheinen der Pick-
^ickier 18Z5 entschieden in der ersten Reihe geblieben; seitdem war Dickens
Held des Tages. Man kann sich nicht leicht zwei entgegengesetztere Naturen
dicken. Was Bulwer gleistet hat, verdankt er fast durchweg der Beihilfe der
Flexion und die Bildung ist seine achtungswertheste Eigenschaft; wo Dickens
dagegen mit der Reflexion arbeitet, mißlingt ihm seine Aufgabe fast durchweg,
^n Moralischer Beziehung steht er ganz auf dem Standpunkt W. Scotts,
^'otz seines Abscheues vor allen Pharisäern, die fast in jedem seiner Romane
verhöhnt werden, versteht er in Bezug auf die Gebote des allgemeinen Sitten¬
gesetzes keinen Scherz; ja er ist zuweilen härter als W. Scott, vielleicht weil
ihm der Sinn für Geschichte abgeht. Trotz seines Radicalismus in politischen
^Algen ist er ein echter Engländer aus der alten Schule, und wenn man von
^inen spätern Romanen absieht, die leider eine gereizte ungesunde Stimmung
^>gar, so lernt man aus ihm vielleicht mehr als aus irgend einem andern
Schriftsteller die Gemüthlichkeit des englischen Herdes lieben. Es gab eine
^eit. too man die Gemüthlichkeit für ein Vorrecht des Deutschen ausgab,
^er aber nicht vollständig blind ist, muß durch Dickens widerlegt werden,
^cum er auch den Lcmdpredigcr von Wakefield vergessen haben sollte. In
^ Zeichnung ist Dickens weniger correct als seine beiden Vorgänger; man
M sich nur dadurch tauschen, daß er so viel Details und so helle Farben
^br. in der That aber hat man bei ihm es nur mit Phantasiegemälden zu
'Un. bei denen das eigentlich Poetische die Stimmung ist. So unvereinbar
"'deß die beiden Naturen schienen, so war doch Bulwer viel zu beifallslüstcrn
^d viel zu bestimmbar, um nicht auch von Dickens Eindrücke zu empfangen,
^d in der That enthalten seine neuen Romane ganze Scenen, die von einer
Unbewußten Nachahmung Dickens' ausgehn. nnr daß der Hauptreiz des jüngern
Achters, die Gemüthlichkeit fehlt.


^ttnjl'oder I- 1859, 27

seine Romane. Sein Reichthum setzte ihn in den Stand, der Mäcen aller
Künstler und Schriftsteller zu werden und in der Gesellschaft eine sehr an¬
gesehene Stellung zu behaupten, zugleich trieb er ihn aber in das Lager der
Tones. Diese Parteistellung hat ihn gegenwärtig zum Minister gemacht, und
da ihm für das Unterhaus die Gabe der Rede abgeht, so zweifeln wir nicht
daran, daß er als Lord enden wird.

Von seinen Theaterstücken sind zu erwähnen: die Dame von Lyon, Riese-
^en und die Herzogin von Lavalliüre. Außerdem ein^Lustspiel „Uol so daä
^ >v«z «vom, or Nun)' siglrls ok g, eiuncwi'," 1851, welches seinen alten
Zündsatz von den gemischten Charakteren nicht eben glücklich versinnlicht.
Noch bijeb ihm aber vorbehalten, auf dem Gebiet des Romans eine neue
^ahn und zwar mit entschiedenem Erfolg zu betreten.

Trotz der großen Zahl sehr talentvoller Schriftsteller, die für die Bedürf-
des Lescpublicums arbeiteten, war Bulwer bis zum Erscheinen der Pick-
^ickier 18Z5 entschieden in der ersten Reihe geblieben; seitdem war Dickens
Held des Tages. Man kann sich nicht leicht zwei entgegengesetztere Naturen
dicken. Was Bulwer gleistet hat, verdankt er fast durchweg der Beihilfe der
Flexion und die Bildung ist seine achtungswertheste Eigenschaft; wo Dickens
dagegen mit der Reflexion arbeitet, mißlingt ihm seine Aufgabe fast durchweg,
^n Moralischer Beziehung steht er ganz auf dem Standpunkt W. Scotts,
^'otz seines Abscheues vor allen Pharisäern, die fast in jedem seiner Romane
verhöhnt werden, versteht er in Bezug auf die Gebote des allgemeinen Sitten¬
gesetzes keinen Scherz; ja er ist zuweilen härter als W. Scott, vielleicht weil
ihm der Sinn für Geschichte abgeht. Trotz seines Radicalismus in politischen
^Algen ist er ein echter Engländer aus der alten Schule, und wenn man von
^inen spätern Romanen absieht, die leider eine gereizte ungesunde Stimmung
^>gar, so lernt man aus ihm vielleicht mehr als aus irgend einem andern
Schriftsteller die Gemüthlichkeit des englischen Herdes lieben. Es gab eine
^eit. too man die Gemüthlichkeit für ein Vorrecht des Deutschen ausgab,
^er aber nicht vollständig blind ist, muß durch Dickens widerlegt werden,
^cum er auch den Lcmdpredigcr von Wakefield vergessen haben sollte. In
^ Zeichnung ist Dickens weniger correct als seine beiden Vorgänger; man
M sich nur dadurch tauschen, daß er so viel Details und so helle Farben
^br. in der That aber hat man bei ihm es nur mit Phantasiegemälden zu
'Un. bei denen das eigentlich Poetische die Stimmung ist. So unvereinbar
"'deß die beiden Naturen schienen, so war doch Bulwer viel zu beifallslüstcrn
^d viel zu bestimmbar, um nicht auch von Dickens Eindrücke zu empfangen,
^d in der That enthalten seine neuen Romane ganze Scenen, die von einer
Unbewußten Nachahmung Dickens' ausgehn. nnr daß der Hauptreiz des jüngern
Achters, die Gemüthlichkeit fehlt.


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[0219] seine Romane. Sein Reichthum setzte ihn in den Stand, der Mäcen aller Künstler und Schriftsteller zu werden und in der Gesellschaft eine sehr an¬ gesehene Stellung zu behaupten, zugleich trieb er ihn aber in das Lager der Tones. Diese Parteistellung hat ihn gegenwärtig zum Minister gemacht, und da ihm für das Unterhaus die Gabe der Rede abgeht, so zweifeln wir nicht daran, daß er als Lord enden wird. Von seinen Theaterstücken sind zu erwähnen: die Dame von Lyon, Riese- ^en und die Herzogin von Lavalliüre. Außerdem ein^Lustspiel „Uol so daä ^ >v«z «vom, or Nun)' siglrls ok g, eiuncwi'," 1851, welches seinen alten Zündsatz von den gemischten Charakteren nicht eben glücklich versinnlicht. Noch bijeb ihm aber vorbehalten, auf dem Gebiet des Romans eine neue ^ahn und zwar mit entschiedenem Erfolg zu betreten. Trotz der großen Zahl sehr talentvoller Schriftsteller, die für die Bedürf- des Lescpublicums arbeiteten, war Bulwer bis zum Erscheinen der Pick- ^ickier 18Z5 entschieden in der ersten Reihe geblieben; seitdem war Dickens Held des Tages. Man kann sich nicht leicht zwei entgegengesetztere Naturen dicken. Was Bulwer gleistet hat, verdankt er fast durchweg der Beihilfe der Flexion und die Bildung ist seine achtungswertheste Eigenschaft; wo Dickens dagegen mit der Reflexion arbeitet, mißlingt ihm seine Aufgabe fast durchweg, ^n Moralischer Beziehung steht er ganz auf dem Standpunkt W. Scotts, ^'otz seines Abscheues vor allen Pharisäern, die fast in jedem seiner Romane verhöhnt werden, versteht er in Bezug auf die Gebote des allgemeinen Sitten¬ gesetzes keinen Scherz; ja er ist zuweilen härter als W. Scott, vielleicht weil ihm der Sinn für Geschichte abgeht. Trotz seines Radicalismus in politischen ^Algen ist er ein echter Engländer aus der alten Schule, und wenn man von ^inen spätern Romanen absieht, die leider eine gereizte ungesunde Stimmung ^>gar, so lernt man aus ihm vielleicht mehr als aus irgend einem andern Schriftsteller die Gemüthlichkeit des englischen Herdes lieben. Es gab eine ^eit. too man die Gemüthlichkeit für ein Vorrecht des Deutschen ausgab, ^er aber nicht vollständig blind ist, muß durch Dickens widerlegt werden, ^cum er auch den Lcmdpredigcr von Wakefield vergessen haben sollte. In ^ Zeichnung ist Dickens weniger correct als seine beiden Vorgänger; man M sich nur dadurch tauschen, daß er so viel Details und so helle Farben ^br. in der That aber hat man bei ihm es nur mit Phantasiegemälden zu 'Un. bei denen das eigentlich Poetische die Stimmung ist. So unvereinbar "'deß die beiden Naturen schienen, so war doch Bulwer viel zu beifallslüstcrn ^d viel zu bestimmbar, um nicht auch von Dickens Eindrücke zu empfangen, ^d in der That enthalten seine neuen Romane ganze Scenen, die von einer Unbewußten Nachahmung Dickens' ausgehn. nnr daß der Hauptreiz des jüngern Achters, die Gemüthlichkeit fehlt. ^ttnjl'oder I- 1859, 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/219>, abgerufen am 24.07.2024.