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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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Natur der Sache, daß diese heilige Gesellschaft einer minder heiligen zur
Unterlage bedürfte, weil sie sonst mit der ersten Generation ausgestorben
wäre: das Laienthum war eine nothwendige Ergänzung des Priesterthums.
In theoretischer Beziehung war'das Verhältniß zwischen diesen beiden Gesell¬
schaften ziemlich liberal; man kann nicht sagen, daß die Priester den Laien
mit ihrer Theologie lästig sielen; sie waren zufrieden, wenn die Laien über
Theologie nicht raisonnirten. Als Ketzer wurde nicht derjenige bestraft, der
sich um die Dogmen gar nicht kümmerte, sondern nur derjenige, der darüber
raisonnirte. Dagegen war die Kirche den Laien gegenüber ziemlich streng in
ihren praktischen Anforderungen; sie verlangte zwar von ihnen nicht ein hei¬
liges Leben nach klerikalen Begriffen, aber sie hatte ein sehr umfangreiches
Sündenregister aufgestellt, vor welchem man sich zu hüten habe; ein Sünden¬
register, in welchem die Heirath in verbotenen Grade eine nicht unwichtige
Rolle spielte. Nun lag es keineswegs im Interesse der mittelalterlichen Kirche,
daß keine Sünden begangen wurden, sondern nur, daß sie jedesmal für das
Aergerniß an einer solchen Sünde durch die angemessene Buße entschädigt
wurde. Die Vollmacht der Sündenvergebung war der Zauberstab, durch
welchen die mittelalterliche Kirche das Laienthum regierte, und Tetzels Abla߬
zettel war der letzte, roheste aber auch einfachste Ausdruck dieses Einflusses.

Freilich hatte diese Trennung zweier Welten in dein verwilderten 15. Jahr¬
hundert arge Folgen. Mitten unter den Anforderungen des christlichen Spiri¬
tualismus schrieb Macchiavelli seinen Fürsten und setzte sich Alexander Bor-
gia die dreifache Krone aus. Die Kirche war zu einer Lüge geworden und
ihre Priester glichen den Auguren Ciceros, die sich nicht ansehn konnten, ohne
SU lachen.

Ueber diese Lüge und Heuchelei empörte sich das ehrliche deutsche Gemüth.
Luther traf den Kern der Sache, indem er zuerst den Ablaß angriff, dann
die erste Quelle desselben, die Trennung des Priesterthums vom Laienthum.
Wenn er. der gläubige Mönch. seine Ideen aus der Schrift und den Kirchen-
Vätern herleitete, so faßte er doch mit seiner souveränen Natur diejenigen
Punkte auf. die für sein Lebensprincip entscheidend waren: er entband sich
selbst von seinem Gelübde, nahm eine Frau, trieb mit Hilfe der Fürsten die
faulen Mönche aus ihren Ruhestätten, hob das Sacrament der Beichte aus
und ersetzte die Werkheiligkeit, durch welche die katholische Kirche den Himmel
versöhnte, die Kasteiung des Fleisches nach allen Dimensionen, durch den
Glauben d. h. durch das innerliche Leben. Der geheimnißvolle Priesterstand
hörte auf, jeder Gläubige wurde ein Priester und hatte um die Aufgabe,
sich persönlich, ohne Beihilfe von Heiligen, mit seinem Gott zu verständigen.

Die segensreichen Folgen dieser Reformation sind bekannt. Durch sie sind
die sittlichen Grundlagen des irdischen Lebens unerschütterlich festgestellt; sie


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Natur der Sache, daß diese heilige Gesellschaft einer minder heiligen zur
Unterlage bedürfte, weil sie sonst mit der ersten Generation ausgestorben
wäre: das Laienthum war eine nothwendige Ergänzung des Priesterthums.
In theoretischer Beziehung war'das Verhältniß zwischen diesen beiden Gesell¬
schaften ziemlich liberal; man kann nicht sagen, daß die Priester den Laien
mit ihrer Theologie lästig sielen; sie waren zufrieden, wenn die Laien über
Theologie nicht raisonnirten. Als Ketzer wurde nicht derjenige bestraft, der
sich um die Dogmen gar nicht kümmerte, sondern nur derjenige, der darüber
raisonnirte. Dagegen war die Kirche den Laien gegenüber ziemlich streng in
ihren praktischen Anforderungen; sie verlangte zwar von ihnen nicht ein hei¬
liges Leben nach klerikalen Begriffen, aber sie hatte ein sehr umfangreiches
Sündenregister aufgestellt, vor welchem man sich zu hüten habe; ein Sünden¬
register, in welchem die Heirath in verbotenen Grade eine nicht unwichtige
Rolle spielte. Nun lag es keineswegs im Interesse der mittelalterlichen Kirche,
daß keine Sünden begangen wurden, sondern nur, daß sie jedesmal für das
Aergerniß an einer solchen Sünde durch die angemessene Buße entschädigt
wurde. Die Vollmacht der Sündenvergebung war der Zauberstab, durch
welchen die mittelalterliche Kirche das Laienthum regierte, und Tetzels Abla߬
zettel war der letzte, roheste aber auch einfachste Ausdruck dieses Einflusses.

Freilich hatte diese Trennung zweier Welten in dein verwilderten 15. Jahr¬
hundert arge Folgen. Mitten unter den Anforderungen des christlichen Spiri¬
tualismus schrieb Macchiavelli seinen Fürsten und setzte sich Alexander Bor-
gia die dreifache Krone aus. Die Kirche war zu einer Lüge geworden und
ihre Priester glichen den Auguren Ciceros, die sich nicht ansehn konnten, ohne
SU lachen.

Ueber diese Lüge und Heuchelei empörte sich das ehrliche deutsche Gemüth.
Luther traf den Kern der Sache, indem er zuerst den Ablaß angriff, dann
die erste Quelle desselben, die Trennung des Priesterthums vom Laienthum.
Wenn er. der gläubige Mönch. seine Ideen aus der Schrift und den Kirchen-
Vätern herleitete, so faßte er doch mit seiner souveränen Natur diejenigen
Punkte auf. die für sein Lebensprincip entscheidend waren: er entband sich
selbst von seinem Gelübde, nahm eine Frau, trieb mit Hilfe der Fürsten die
faulen Mönche aus ihren Ruhestätten, hob das Sacrament der Beichte aus
und ersetzte die Werkheiligkeit, durch welche die katholische Kirche den Himmel
versöhnte, die Kasteiung des Fleisches nach allen Dimensionen, durch den
Glauben d. h. durch das innerliche Leben. Der geheimnißvolle Priesterstand
hörte auf, jeder Gläubige wurde ein Priester und hatte um die Aufgabe,
sich persönlich, ohne Beihilfe von Heiligen, mit seinem Gott zu verständigen.

Die segensreichen Folgen dieser Reformation sind bekannt. Durch sie sind
die sittlichen Grundlagen des irdischen Lebens unerschütterlich festgestellt; sie


2*
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[0021] Natur der Sache, daß diese heilige Gesellschaft einer minder heiligen zur Unterlage bedürfte, weil sie sonst mit der ersten Generation ausgestorben wäre: das Laienthum war eine nothwendige Ergänzung des Priesterthums. In theoretischer Beziehung war'das Verhältniß zwischen diesen beiden Gesell¬ schaften ziemlich liberal; man kann nicht sagen, daß die Priester den Laien mit ihrer Theologie lästig sielen; sie waren zufrieden, wenn die Laien über Theologie nicht raisonnirten. Als Ketzer wurde nicht derjenige bestraft, der sich um die Dogmen gar nicht kümmerte, sondern nur derjenige, der darüber raisonnirte. Dagegen war die Kirche den Laien gegenüber ziemlich streng in ihren praktischen Anforderungen; sie verlangte zwar von ihnen nicht ein hei¬ liges Leben nach klerikalen Begriffen, aber sie hatte ein sehr umfangreiches Sündenregister aufgestellt, vor welchem man sich zu hüten habe; ein Sünden¬ register, in welchem die Heirath in verbotenen Grade eine nicht unwichtige Rolle spielte. Nun lag es keineswegs im Interesse der mittelalterlichen Kirche, daß keine Sünden begangen wurden, sondern nur, daß sie jedesmal für das Aergerniß an einer solchen Sünde durch die angemessene Buße entschädigt wurde. Die Vollmacht der Sündenvergebung war der Zauberstab, durch welchen die mittelalterliche Kirche das Laienthum regierte, und Tetzels Abla߬ zettel war der letzte, roheste aber auch einfachste Ausdruck dieses Einflusses. Freilich hatte diese Trennung zweier Welten in dein verwilderten 15. Jahr¬ hundert arge Folgen. Mitten unter den Anforderungen des christlichen Spiri¬ tualismus schrieb Macchiavelli seinen Fürsten und setzte sich Alexander Bor- gia die dreifache Krone aus. Die Kirche war zu einer Lüge geworden und ihre Priester glichen den Auguren Ciceros, die sich nicht ansehn konnten, ohne SU lachen. Ueber diese Lüge und Heuchelei empörte sich das ehrliche deutsche Gemüth. Luther traf den Kern der Sache, indem er zuerst den Ablaß angriff, dann die erste Quelle desselben, die Trennung des Priesterthums vom Laienthum. Wenn er. der gläubige Mönch. seine Ideen aus der Schrift und den Kirchen- Vätern herleitete, so faßte er doch mit seiner souveränen Natur diejenigen Punkte auf. die für sein Lebensprincip entscheidend waren: er entband sich selbst von seinem Gelübde, nahm eine Frau, trieb mit Hilfe der Fürsten die faulen Mönche aus ihren Ruhestätten, hob das Sacrament der Beichte aus und ersetzte die Werkheiligkeit, durch welche die katholische Kirche den Himmel versöhnte, die Kasteiung des Fleisches nach allen Dimensionen, durch den Glauben d. h. durch das innerliche Leben. Der geheimnißvolle Priesterstand hörte auf, jeder Gläubige wurde ein Priester und hatte um die Aufgabe, sich persönlich, ohne Beihilfe von Heiligen, mit seinem Gott zu verständigen. Die segensreichen Folgen dieser Reformation sind bekannt. Durch sie sind die sittlichen Grundlagen des irdischen Lebens unerschütterlich festgestellt; sie 2*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/21>, abgerufen am 24.07.2024.