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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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eine Richtung auf das Persönliche im Menschen und eine Verwechselung des¬
selben mit den Gegenständen, welche der Mann, an Kämpfe jeder Art ge¬
höhnt und dazu geschaffen, leichter ins rechte Geleise bringt als das Weib,
das oft nur aus Kosten der Weiblichkeit jene Schwierigkeiten überwindet, in
seinem Gefühl sie übertreibt und dadurch von der Welt und der eignen Be¬
deutung eine falsche Auffassung sich bildet. -- Dann fehlt dem Weib jene Be¬
obachtung der Wirklichkeit (wir möchten sie die historische nennen), die nur
dem .Mithandelnden möglich ist: sie ist daraus angewiesen, entweder das
e'gue Herz zu öffnen, oder ihre ganz äußerlichen Beobachtungen zu copiren.
beides geschieht nicht ohne Gefahr. Um Stoff zu haben, forcirt man leicht
die Regungen des Herzens, man setzt sich vor sich selber in Positur, man
^kettirt; und jene rein äußerliche Beobachtung, die nicht im Sinn der Cha¬
rtere schafft, sondern nur daguerrcotypirt, ist zuweilen vom Klatsch schwer
ZU unterscheiden. -- Freilich gibt es starke oder edle weibliche Naturen, die
' das überwinden; freilich gibt es männliche Schriftsteller, die sich weibischer
üeberden als alle Weiber -- und wie viele haben wir jetzt in Deutschland!
"ber daß die Gefahr für das Weib näher liegt als für den Mann, wird nie-
Wcind bereitwilliger zugestehn, als ein edles Weib. -- Nirgend aber ist uns
er Gedanke so widerwärtig entgegengetreten, als in den "Erinnerungen für
^dle Frauen", die der modernste Herausgeber als ein Ideal bezeichnet! ,

Elisabeth Fischer, geb. 11. April 1761 in Königsberg, heirathete
^780 den Juristen Graun, den Sohn des bekannten Kapellmeisters; zu ihren
^eundem und Verehrern daselbst gehörte ein älterer Herzog von Holstein-
^lücksburg und zwei jüngere Leute, Gentz (geb. 1764; .bis 1786 in Königs-
und v. Stägemann (geb. 1763). Der Letztere erzählt in seinen "Er-
""'erungen" (1840): "Eine junge Frau in der Blüte einer anerkannten
ehönheit, ging sie wie die Dame von Fayel streng und still an der Schar
r Verehrer vorüber, wenn sie auch, wie jene, mit zartem Sinn eines scho¬
ben Liedes sich freuen mochte. Der Eindruck des ersten Herzschlages (1785)
puderte sich in der nächsten Zeit, da ich anfangs nur selten Gelegenheit fand,
^ sehn, auch bei meinem fast gleichzeitigen Eintritt in den Staatsdienst
des o^"^ hatte, einer Leidenschaft nachzuhangen, die dennoch im Anfang
ick ^"^'6 1786 in vollen Flammen stand. Erst im folgenden Jahr wagte
zen"",^ ^ dichten, meistentheils in einer Gattung bald längerer bald tür-
fisteln, deren eine ziemliche Zahl von ihr selbst noch aufbewahrt wor-
^ ist. In demselben Jahr (1787) ward ihr Mann nach Berlin versetzt,
halt ^ '"^ ^"^ern in Königsberg zurück, um zuvor seinen Haus-
sch,^.^°ug Zu ordnen. Elisabeth, die sich mit ihrer Mutter zu einer gemein-
Uii^'^" Oekonomie vereinigte, fing nun ein Stillleben an, worin sie sich,
->>t der Sorge sür die Erziehung der Kinder, ihrer Neigung zur Kunst,


eine Richtung auf das Persönliche im Menschen und eine Verwechselung des¬
selben mit den Gegenständen, welche der Mann, an Kämpfe jeder Art ge¬
höhnt und dazu geschaffen, leichter ins rechte Geleise bringt als das Weib,
das oft nur aus Kosten der Weiblichkeit jene Schwierigkeiten überwindet, in
seinem Gefühl sie übertreibt und dadurch von der Welt und der eignen Be¬
deutung eine falsche Auffassung sich bildet. — Dann fehlt dem Weib jene Be¬
obachtung der Wirklichkeit (wir möchten sie die historische nennen), die nur
dem .Mithandelnden möglich ist: sie ist daraus angewiesen, entweder das
e'gue Herz zu öffnen, oder ihre ganz äußerlichen Beobachtungen zu copiren.
beides geschieht nicht ohne Gefahr. Um Stoff zu haben, forcirt man leicht
die Regungen des Herzens, man setzt sich vor sich selber in Positur, man
^kettirt; und jene rein äußerliche Beobachtung, die nicht im Sinn der Cha¬
rtere schafft, sondern nur daguerrcotypirt, ist zuweilen vom Klatsch schwer
ZU unterscheiden. — Freilich gibt es starke oder edle weibliche Naturen, die
' das überwinden; freilich gibt es männliche Schriftsteller, die sich weibischer
üeberden als alle Weiber — und wie viele haben wir jetzt in Deutschland!
"ber daß die Gefahr für das Weib näher liegt als für den Mann, wird nie-
Wcind bereitwilliger zugestehn, als ein edles Weib. — Nirgend aber ist uns
er Gedanke so widerwärtig entgegengetreten, als in den „Erinnerungen für
^dle Frauen", die der modernste Herausgeber als ein Ideal bezeichnet! ,

Elisabeth Fischer, geb. 11. April 1761 in Königsberg, heirathete
^780 den Juristen Graun, den Sohn des bekannten Kapellmeisters; zu ihren
^eundem und Verehrern daselbst gehörte ein älterer Herzog von Holstein-
^lücksburg und zwei jüngere Leute, Gentz (geb. 1764; .bis 1786 in Königs-
und v. Stägemann (geb. 1763). Der Letztere erzählt in seinen „Er-
""'erungen" (1840): „Eine junge Frau in der Blüte einer anerkannten
ehönheit, ging sie wie die Dame von Fayel streng und still an der Schar
r Verehrer vorüber, wenn sie auch, wie jene, mit zartem Sinn eines scho¬
ben Liedes sich freuen mochte. Der Eindruck des ersten Herzschlages (1785)
puderte sich in der nächsten Zeit, da ich anfangs nur selten Gelegenheit fand,
^ sehn, auch bei meinem fast gleichzeitigen Eintritt in den Staatsdienst
des o^"^ hatte, einer Leidenschaft nachzuhangen, die dennoch im Anfang
ick ^"^'6 1786 in vollen Flammen stand. Erst im folgenden Jahr wagte
zen"",^ ^ dichten, meistentheils in einer Gattung bald längerer bald tür-
fisteln, deren eine ziemliche Zahl von ihr selbst noch aufbewahrt wor-
^ ist. In demselben Jahr (1787) ward ihr Mann nach Berlin versetzt,
halt ^ '"^ ^"^ern in Königsberg zurück, um zuvor seinen Haus-
sch,^.^°ug Zu ordnen. Elisabeth, die sich mit ihrer Mutter zu einer gemein-
Uii^'^" Oekonomie vereinigte, fing nun ein Stillleben an, worin sie sich,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/185>, abgerufen am 24.07.2024.