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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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mit dem ersten Consul führte sie eine geheime Correspondenz, wurde aber
nicht in seine Cirkel gezogen. Helmine hatte sich verpflichtet, sür Feßlers
"Eunomia" "Empfindungen und Erfahrungen einer jungen Deutschen in Pa¬
ris" "in Sternes Manier" zu schreiben; Frau v. Genlis lächelte über diese
Naivetät, indessen wurden du' Sachen doch gedruckt. Außerdem übersetzte sie
die Novellen ihrer Beschützerin, die der Ersparnis? wegen aus einige Zeit nach
Versailles zog. bis ihr März 1802 der erste Consul eine Wohnung im Arse¬
nal anwies. Helmine, die sich mittlerweile mit dem jungen Philologen
Schweighäuser verlobt hatte, war ihr immer unbequemer geworden; es
kam zwischen den beiden Damen zu ziemlich unangenehmen Scenen, bis Hel¬
mine endlich (Juli 1802) eine Zuflucht bei dem Grasen Escherny in Ver¬
sailles sand. Hier lernte sie u. a. Mesmer kennen, der sie in die Geheim¬
nisse des Magnetismus einweihte. Ihr Bräutigam war ihr untreu geworden.
"Die empörenden Umstände dieser Begebenheit werden mir zartfühlende Leser
gern erlassen, sie gehören nicht für das unentweihte Auge der blühenden Ju¬
gend. Ich glaube jedoch eine ernste Warnung nicht zurückhalten zu dürfen
und einer Unthat erwähnen zu müssen, von der ich viele Opfer weiß, an
deren Möglichkeit aber nur wenige glauben: es ist die Bereitung eines Ge¬
tränks, dessen Genuß die vortrefflichsten Menschen sich selbst entfremdet, die
Sinne verwirrt und die heftigste Leidenschaft für die Vergiften" erzeugt, die
^ ihrem Opfer beigebracht hat. Möge niemand diese Warnung belächeln, sie
'se auf Wahrheit begründet und so wichtig, daß ich es für Gewissenspflicht
halte, noch öfters darauf zurückzukommen. Mögen verdienstvolle Aerzte sie be¬
herzigen und als Menschenfreunde eine neue Spur zu Maßregeln entdecken für
Wissenschaft und Sittlichkeit!"

Im Hause des Grafen Escherny erhielt sie Besuch vom Kapellmeister Rei¬
nhardt und lernte den Grafen Schlabrendorf kennen, wie denn überhaupt
Anhänger der Fran v. Staöl sich hier zusammenfanden. Von dem wich¬
tigsten Einfluß wurde sür sie der Umgang mit Fr. Schlegel, der im Som¬
mer 1802 mit seiner neuen Gemahlin Dorothee und seiner Schwägerin
Henriette Mendelssohn nach Paris kam. Die Töchter Mendelssohns
hatten natürlich an der Enkelin der Karschin großes Interesse, und der Um¬
gang wurde bald sehr intim. Als Helmine vor zwei Jahren Fr. Schlegels
Fragmente'im Athenäum kennen lernte, rief sie aus, das müsse ein Wahn¬
sinniger geschrieben haben: "und ich blieb dabei, bis ich ihn in Paris kennen
lernte und nach und nach begriff, daß es eine andere Welt der Ideen gebe,
als die in meinem Dunstkreis lag." "Ich fand Menschen, wie ich mir noch
^'"e geträumt hatte." ..So schnell als Dorothea sah Fr. Schlegel ein, was
fehlte und es ergötzte ihn. Meine Unkunde aller Dinge des Lebens war
^in neu und erfreulich , er drehte mich gleichsam in seiner Hand herum, wie


Grenzboten I. 135S, 22

mit dem ersten Consul führte sie eine geheime Correspondenz, wurde aber
nicht in seine Cirkel gezogen. Helmine hatte sich verpflichtet, sür Feßlers
„Eunomia" „Empfindungen und Erfahrungen einer jungen Deutschen in Pa¬
ris" „in Sternes Manier" zu schreiben; Frau v. Genlis lächelte über diese
Naivetät, indessen wurden du' Sachen doch gedruckt. Außerdem übersetzte sie
die Novellen ihrer Beschützerin, die der Ersparnis? wegen aus einige Zeit nach
Versailles zog. bis ihr März 1802 der erste Consul eine Wohnung im Arse¬
nal anwies. Helmine, die sich mittlerweile mit dem jungen Philologen
Schweighäuser verlobt hatte, war ihr immer unbequemer geworden; es
kam zwischen den beiden Damen zu ziemlich unangenehmen Scenen, bis Hel¬
mine endlich (Juli 1802) eine Zuflucht bei dem Grasen Escherny in Ver¬
sailles sand. Hier lernte sie u. a. Mesmer kennen, der sie in die Geheim¬
nisse des Magnetismus einweihte. Ihr Bräutigam war ihr untreu geworden.
»Die empörenden Umstände dieser Begebenheit werden mir zartfühlende Leser
gern erlassen, sie gehören nicht für das unentweihte Auge der blühenden Ju¬
gend. Ich glaube jedoch eine ernste Warnung nicht zurückhalten zu dürfen
und einer Unthat erwähnen zu müssen, von der ich viele Opfer weiß, an
deren Möglichkeit aber nur wenige glauben: es ist die Bereitung eines Ge¬
tränks, dessen Genuß die vortrefflichsten Menschen sich selbst entfremdet, die
Sinne verwirrt und die heftigste Leidenschaft für die Vergiften» erzeugt, die
^ ihrem Opfer beigebracht hat. Möge niemand diese Warnung belächeln, sie
'se auf Wahrheit begründet und so wichtig, daß ich es für Gewissenspflicht
halte, noch öfters darauf zurückzukommen. Mögen verdienstvolle Aerzte sie be¬
herzigen und als Menschenfreunde eine neue Spur zu Maßregeln entdecken für
Wissenschaft und Sittlichkeit!"

Im Hause des Grafen Escherny erhielt sie Besuch vom Kapellmeister Rei¬
nhardt und lernte den Grafen Schlabrendorf kennen, wie denn überhaupt
Anhänger der Fran v. Staöl sich hier zusammenfanden. Von dem wich¬
tigsten Einfluß wurde sür sie der Umgang mit Fr. Schlegel, der im Som¬
mer 1802 mit seiner neuen Gemahlin Dorothee und seiner Schwägerin
Henriette Mendelssohn nach Paris kam. Die Töchter Mendelssohns
hatten natürlich an der Enkelin der Karschin großes Interesse, und der Um¬
gang wurde bald sehr intim. Als Helmine vor zwei Jahren Fr. Schlegels
Fragmente'im Athenäum kennen lernte, rief sie aus, das müsse ein Wahn¬
sinniger geschrieben haben: „und ich blieb dabei, bis ich ihn in Paris kennen
lernte und nach und nach begriff, daß es eine andere Welt der Ideen gebe,
als die in meinem Dunstkreis lag." „Ich fand Menschen, wie ich mir noch
^'"e geträumt hatte." ..So schnell als Dorothea sah Fr. Schlegel ein, was
fehlte und es ergötzte ihn. Meine Unkunde aller Dinge des Lebens war
^in neu und erfreulich , er drehte mich gleichsam in seiner Hand herum, wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/179>, abgerufen am 24.07.2024.