Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

heiligte Berühren einschlägt, und den akademischen Lehrer vor ein akade¬
misches Gericht stellt, sondern daß man auf administrativen Wege gegen ihn
einschreitet, und ihn als einen Staatsdiener, der die nothwendige Qualität
seines Amtes nicht mehr besitze, von Staatswegen ohne weiteres entläßt. So
nimmt auch hier wieder die politische Gewalt eine theologische Färbung an,
jene Färbung, aus welcher die Parteikämpfe der letzten zwanzig Jahre fast
zur Hälfte hervorgegangen sind.

Im vorigen Jahrhundert und im ersten Drittel des gegenwärtigen lebten
die rationalistischen und die supranaturalistischen Geistlichen, wenn auch nicht
einträchtig, doch wenigstens ungestört nebeneinander. Dies friedliche Nebenein¬
ander wurde wesentlich gefördert durch die in Preußen durchgeführte Union
zwischen Lutheranern und Reformirten, die in nothwendiger Consequenz eine
liberalere Auslegung des Bekenntnisses mit sich brachte. Wie segensreich für
das geistliche Amt und sür den Zusammenhang desselben mit der Gemeinde
dies Zurücktreten des Dogmatischen und Theologischen war, welches seit der
Revolution nur zu sehr alles geistliche Leben absorbirt hatte, haben selbst
Strenggläubige anerkannt. *)

Wie aber Preußen nach dieser Seite den Anstoß gegeben hatte, so ging
auch von ihm die Reaction aus. Als Eichhorn an Altensteins Stelle trat,
erfolgte ein Systemwechsel, dessen durchgreifende Folgen für ganz Deutschland
man damals in der Zuversicht auf die Aufklärung des neunzehnten Jahr¬
hunderts noch gar nicht ahnte. Eichhorn ist vielfach Unrecht geschehn: ein
persönlich ehrenwerther und rechtschaffener Mann, ein warmer Patriot und
von seinem Glauben aufrichtig erfüllt, gehörte er nur nicht an eine Stelle,
die einen Staatsmann erfordert, da er doch nur ein theologischer Jurist war.

Eichhorn betrachtete es als seine Aufgabe, die evangelische Kirche (an
eine vollständige Trennung der beiden Bekenntnisse in der Art Hengstenbcrgs
dachte er nicht) zu reinigen d. h. das geistliche Amt möglichst in die Hände
der Rechtgläubigen, mit andern Worten, der Supranatumlisten zu bringen.
Hauptsächlich geschah das bei der Besetzung neuer Stellen, wo den Candi-
daten eine streng orthodoxe Gesinnung als Haupterforderniß aufgelegt wurde.
Welcher Uebelstand mit diesem Verfahren verknüpft sei, hat am eindringlichsten
in unsern Tagen ein erlauchter Fürst ausgesprochen: "in der evangelischen
Kirche, wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit
ihrer Grundanschauung nicht verträglich ist, und die sofort in ihrem Gefolge
Heuchler hat". . . . "Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchcn-
wejen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur mög¬
lich ist."



') Z. B, noch neuerdings der Licentmt Hollcnberg in der gekrönten Preisschrift: Die
freie christliche Thätigkeit und das kirchliche Amt. Berlin, Wiegandt und Grieben,

heiligte Berühren einschlägt, und den akademischen Lehrer vor ein akade¬
misches Gericht stellt, sondern daß man auf administrativen Wege gegen ihn
einschreitet, und ihn als einen Staatsdiener, der die nothwendige Qualität
seines Amtes nicht mehr besitze, von Staatswegen ohne weiteres entläßt. So
nimmt auch hier wieder die politische Gewalt eine theologische Färbung an,
jene Färbung, aus welcher die Parteikämpfe der letzten zwanzig Jahre fast
zur Hälfte hervorgegangen sind.

Im vorigen Jahrhundert und im ersten Drittel des gegenwärtigen lebten
die rationalistischen und die supranaturalistischen Geistlichen, wenn auch nicht
einträchtig, doch wenigstens ungestört nebeneinander. Dies friedliche Nebenein¬
ander wurde wesentlich gefördert durch die in Preußen durchgeführte Union
zwischen Lutheranern und Reformirten, die in nothwendiger Consequenz eine
liberalere Auslegung des Bekenntnisses mit sich brachte. Wie segensreich für
das geistliche Amt und sür den Zusammenhang desselben mit der Gemeinde
dies Zurücktreten des Dogmatischen und Theologischen war, welches seit der
Revolution nur zu sehr alles geistliche Leben absorbirt hatte, haben selbst
Strenggläubige anerkannt. *)

Wie aber Preußen nach dieser Seite den Anstoß gegeben hatte, so ging
auch von ihm die Reaction aus. Als Eichhorn an Altensteins Stelle trat,
erfolgte ein Systemwechsel, dessen durchgreifende Folgen für ganz Deutschland
man damals in der Zuversicht auf die Aufklärung des neunzehnten Jahr¬
hunderts noch gar nicht ahnte. Eichhorn ist vielfach Unrecht geschehn: ein
persönlich ehrenwerther und rechtschaffener Mann, ein warmer Patriot und
von seinem Glauben aufrichtig erfüllt, gehörte er nur nicht an eine Stelle,
die einen Staatsmann erfordert, da er doch nur ein theologischer Jurist war.

Eichhorn betrachtete es als seine Aufgabe, die evangelische Kirche (an
eine vollständige Trennung der beiden Bekenntnisse in der Art Hengstenbcrgs
dachte er nicht) zu reinigen d. h. das geistliche Amt möglichst in die Hände
der Rechtgläubigen, mit andern Worten, der Supranatumlisten zu bringen.
Hauptsächlich geschah das bei der Besetzung neuer Stellen, wo den Candi-
daten eine streng orthodoxe Gesinnung als Haupterforderniß aufgelegt wurde.
Welcher Uebelstand mit diesem Verfahren verknüpft sei, hat am eindringlichsten
in unsern Tagen ein erlauchter Fürst ausgesprochen: „in der evangelischen
Kirche, wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit
ihrer Grundanschauung nicht verträglich ist, und die sofort in ihrem Gefolge
Heuchler hat". . . . „Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchcn-
wejen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur mög¬
lich ist."



') Z. B, noch neuerdings der Licentmt Hollcnberg in der gekrönten Preisschrift: Die
freie christliche Thätigkeit und das kirchliche Amt. Berlin, Wiegandt und Grieben,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186967"/>
          <p xml:id="ID_26" prev="#ID_25"> heiligte Berühren einschlägt, und den akademischen Lehrer vor ein akade¬<lb/>
misches Gericht stellt, sondern daß man auf administrativen Wege gegen ihn<lb/>
einschreitet, und ihn als einen Staatsdiener, der die nothwendige Qualität<lb/>
seines Amtes nicht mehr besitze, von Staatswegen ohne weiteres entläßt. So<lb/>
nimmt auch hier wieder die politische Gewalt eine theologische Färbung an,<lb/>
jene Färbung, aus welcher die Parteikämpfe der letzten zwanzig Jahre fast<lb/>
zur Hälfte hervorgegangen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_27"> Im vorigen Jahrhundert und im ersten Drittel des gegenwärtigen lebten<lb/>
die rationalistischen und die supranaturalistischen Geistlichen, wenn auch nicht<lb/>
einträchtig, doch wenigstens ungestört nebeneinander. Dies friedliche Nebenein¬<lb/>
ander wurde wesentlich gefördert durch die in Preußen durchgeführte Union<lb/>
zwischen Lutheranern und Reformirten, die in nothwendiger Consequenz eine<lb/>
liberalere Auslegung des Bekenntnisses mit sich brachte. Wie segensreich für<lb/>
das geistliche Amt und sür den Zusammenhang desselben mit der Gemeinde<lb/>
dies Zurücktreten des Dogmatischen und Theologischen war, welches seit der<lb/>
Revolution nur zu sehr alles geistliche Leben absorbirt hatte, haben selbst<lb/>
Strenggläubige anerkannt. *)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> Wie aber Preußen nach dieser Seite den Anstoß gegeben hatte, so ging<lb/>
auch von ihm die Reaction aus. Als Eichhorn an Altensteins Stelle trat,<lb/>
erfolgte ein Systemwechsel, dessen durchgreifende Folgen für ganz Deutschland<lb/>
man damals in der Zuversicht auf die Aufklärung des neunzehnten Jahr¬<lb/>
hunderts noch gar nicht ahnte. Eichhorn ist vielfach Unrecht geschehn: ein<lb/>
persönlich ehrenwerther und rechtschaffener Mann, ein warmer Patriot und<lb/>
von seinem Glauben aufrichtig erfüllt, gehörte er nur nicht an eine Stelle,<lb/>
die einen Staatsmann erfordert, da er doch nur ein theologischer Jurist war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29"> Eichhorn betrachtete es als seine Aufgabe, die evangelische Kirche (an<lb/>
eine vollständige Trennung der beiden Bekenntnisse in der Art Hengstenbcrgs<lb/>
dachte er nicht) zu reinigen d. h. das geistliche Amt möglichst in die Hände<lb/>
der Rechtgläubigen, mit andern Worten, der Supranatumlisten zu bringen.<lb/>
Hauptsächlich geschah das bei der Besetzung neuer Stellen, wo den Candi-<lb/>
daten eine streng orthodoxe Gesinnung als Haupterforderniß aufgelegt wurde.<lb/>
Welcher Uebelstand mit diesem Verfahren verknüpft sei, hat am eindringlichsten<lb/>
in unsern Tagen ein erlauchter Fürst ausgesprochen: &#x201E;in der evangelischen<lb/>
Kirche, wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit<lb/>
ihrer Grundanschauung nicht verträglich ist, und die sofort in ihrem Gefolge<lb/>
Heuchler hat". . . . &#x201E;Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchcn-<lb/>
wejen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur mög¬<lb/>
lich ist."</p><lb/>
          <note xml:id="FID_2" place="foot"> ') Z. B, noch neuerdings der Licentmt Hollcnberg in der gekrönten Preisschrift: Die<lb/>
freie christliche Thätigkeit und das kirchliche Amt.  Berlin, Wiegandt und Grieben,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] heiligte Berühren einschlägt, und den akademischen Lehrer vor ein akade¬ misches Gericht stellt, sondern daß man auf administrativen Wege gegen ihn einschreitet, und ihn als einen Staatsdiener, der die nothwendige Qualität seines Amtes nicht mehr besitze, von Staatswegen ohne weiteres entläßt. So nimmt auch hier wieder die politische Gewalt eine theologische Färbung an, jene Färbung, aus welcher die Parteikämpfe der letzten zwanzig Jahre fast zur Hälfte hervorgegangen sind. Im vorigen Jahrhundert und im ersten Drittel des gegenwärtigen lebten die rationalistischen und die supranaturalistischen Geistlichen, wenn auch nicht einträchtig, doch wenigstens ungestört nebeneinander. Dies friedliche Nebenein¬ ander wurde wesentlich gefördert durch die in Preußen durchgeführte Union zwischen Lutheranern und Reformirten, die in nothwendiger Consequenz eine liberalere Auslegung des Bekenntnisses mit sich brachte. Wie segensreich für das geistliche Amt und sür den Zusammenhang desselben mit der Gemeinde dies Zurücktreten des Dogmatischen und Theologischen war, welches seit der Revolution nur zu sehr alles geistliche Leben absorbirt hatte, haben selbst Strenggläubige anerkannt. *) Wie aber Preußen nach dieser Seite den Anstoß gegeben hatte, so ging auch von ihm die Reaction aus. Als Eichhorn an Altensteins Stelle trat, erfolgte ein Systemwechsel, dessen durchgreifende Folgen für ganz Deutschland man damals in der Zuversicht auf die Aufklärung des neunzehnten Jahr¬ hunderts noch gar nicht ahnte. Eichhorn ist vielfach Unrecht geschehn: ein persönlich ehrenwerther und rechtschaffener Mann, ein warmer Patriot und von seinem Glauben aufrichtig erfüllt, gehörte er nur nicht an eine Stelle, die einen Staatsmann erfordert, da er doch nur ein theologischer Jurist war. Eichhorn betrachtete es als seine Aufgabe, die evangelische Kirche (an eine vollständige Trennung der beiden Bekenntnisse in der Art Hengstenbcrgs dachte er nicht) zu reinigen d. h. das geistliche Amt möglichst in die Hände der Rechtgläubigen, mit andern Worten, der Supranatumlisten zu bringen. Hauptsächlich geschah das bei der Besetzung neuer Stellen, wo den Candi- daten eine streng orthodoxe Gesinnung als Haupterforderniß aufgelegt wurde. Welcher Uebelstand mit diesem Verfahren verknüpft sei, hat am eindringlichsten in unsern Tagen ein erlauchter Fürst ausgesprochen: „in der evangelischen Kirche, wir können es nicht leugnen, ist eine Orthodoxie eingekehrt, die mit ihrer Grundanschauung nicht verträglich ist, und die sofort in ihrem Gefolge Heuchler hat". . . . „Alle Heuchelei, Scheinheiligkeit, kurzum alles Kirchcn- wejen als Mittel zu egoistischen Zwecken ist zu entlarven, wo es nur mög¬ lich ist." ') Z. B, noch neuerdings der Licentmt Hollcnberg in der gekrönten Preisschrift: Die freie christliche Thätigkeit und das kirchliche Amt. Berlin, Wiegandt und Grieben,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/16>, abgerufen am 24.07.2024.