Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.imposanter einheitlicher Ruhe wie ein schirmendes Dach die Kirche." Seinen Das Mittelalter hat sonach das vollbracht, was die Antike zu erreichen imposanter einheitlicher Ruhe wie ein schirmendes Dach die Kirche." Seinen Das Mittelalter hat sonach das vollbracht, was die Antike zu erreichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187110"/> <p xml:id="ID_465" prev="#ID_464"> imposanter einheitlicher Ruhe wie ein schirmendes Dach die Kirche." Seinen<lb/> vollendetsten Ausdruck, seine höchste künstlerische Verklärung fand der mittel¬<lb/> alterliche Geist in der gothischen Architektur. „Je weniger das Mittelalter in<lb/> seinen mannigfachen Lebensäußerungen zu einem befriedigenden, festen Ab¬<lb/> schlüsse gelangte, je spröder sich unter dem Kampfe die geschilderten Gegen¬<lb/> sätze, die verschiedenen Elemente zueinander verhielten, um so bedeutsamer<lb/> gestaltete sich das architektonische Schaffen. Daß eine Zeit wie jene, voll sub-<lb/> jectiven Gefühles, aber auch voll inneren Widerstreites, gerade in der Archi¬<lb/> tektur am meisten Gelegenheit fand, ihrem kühnen aber dunklen Ringen einen<lb/> Ausdruck zu geben, liegt nahe." „Frei und unabhängig von den Gesetzen der<lb/> organischen Natur wandelt sie ihren eignen Weg nach eignen Gesetzen." Allen<lb/> früheren Bauweisen diametral entgegen löste der gothische Stil „die strenge<lb/> Mauerumgürtung, welche bei allen früheren Stilen den Innenraum umschloß<lb/> und in deren künstlerischer Durchbildung sich der Geist der verschiedenen<lb/> Bausysteme offenbarte; statt der Mauer ordnete er eine Anzahl vereinzelter<lb/> Pfeilcrmassen an, welche nur durch dünne Füllwände zum Theil ver¬<lb/> bunden, den Nahmen für die ungewöhnlich großen und weiten Fenster ab¬<lb/> geben und dem Bau den Charakter eines ungeheuren Glashauses verleihen.<lb/> Dasselbe Gesetz macht sich auch bei Ueberdeckung der Räume geltend. Diese<lb/> werden durch ein System kräftiger Gewölbrippen geschlossen, zwischen welche<lb/> "is leichte Füllungen dreieckige, dünn gemauerte Kappen eingespannt sind.<lb/> An diesem Streben, die Massen aufzulösen, die Einheit des Baues in eine<lb/> Anzahl freier selbstständiger Einzelglieder zu zerlegen, den Horizontalismus,<lb/> diese unerläßliche Grundbedingung der Architektur, zu verleugnen und durch<lb/> einen extremen Verticalismus zu verdrüugcn. ja den Gesetzen der Natur<lb/> gleichsam zum Trotz, durch einen aus die äußerste Spitze getriebenen Calcül<lb/> ein wie durch ein Wunder aufschießendes Bauwerk hervorzuzaubern, in dieser<lb/> ganzen schrankenlosen Vergeistigung der Materie kommt der naturfcindlichc<lb/> Spiritualismus des Mittelalters zur architektonischen Erscheinung. In dieser<lb/> Hinsicht ist der gothische Stil unbedingt die Spitze der mittelalterlichen Bau¬<lb/> entwicklung. Er spricht die erdverachtendc Ueberweltlichkeit jener Epoche in<lb/> glänzendster Consequenz. aber auch in schroffster Einseitigkeit aus."</p><lb/> <p xml:id="ID_466" next="#ID_467"> Das Mittelalter hat sonach das vollbracht, was die Antike zu erreichen<lb/> "icht vermochte: die Ueberwindung der Schranken, die das Material der freien<lb/> Überspannung beliebiger Raumgrößen setzte, im Gewölbebau. Und hierin<lb/> baben wir das Dauernde und Giltige der mittelalterlichen Baukunst zu suchen,<lb/> ^scheint nun aber.der gothische Stil als der vollendetste Ausdruck des christ-<lb/> l'es-mittelalterlichen Geistes, so muß das Formenwesen jenes Stils, in dem<lb/> sich eben jener mittelalterliche Geist aussprach, ein nur dem Mittelalter ent¬<lb/> sprechendes, angehöriges sein; denn es ist das einseitige Spiegelbild einer ein-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
imposanter einheitlicher Ruhe wie ein schirmendes Dach die Kirche." Seinen
vollendetsten Ausdruck, seine höchste künstlerische Verklärung fand der mittel¬
alterliche Geist in der gothischen Architektur. „Je weniger das Mittelalter in
seinen mannigfachen Lebensäußerungen zu einem befriedigenden, festen Ab¬
schlüsse gelangte, je spröder sich unter dem Kampfe die geschilderten Gegen¬
sätze, die verschiedenen Elemente zueinander verhielten, um so bedeutsamer
gestaltete sich das architektonische Schaffen. Daß eine Zeit wie jene, voll sub-
jectiven Gefühles, aber auch voll inneren Widerstreites, gerade in der Archi¬
tektur am meisten Gelegenheit fand, ihrem kühnen aber dunklen Ringen einen
Ausdruck zu geben, liegt nahe." „Frei und unabhängig von den Gesetzen der
organischen Natur wandelt sie ihren eignen Weg nach eignen Gesetzen." Allen
früheren Bauweisen diametral entgegen löste der gothische Stil „die strenge
Mauerumgürtung, welche bei allen früheren Stilen den Innenraum umschloß
und in deren künstlerischer Durchbildung sich der Geist der verschiedenen
Bausysteme offenbarte; statt der Mauer ordnete er eine Anzahl vereinzelter
Pfeilcrmassen an, welche nur durch dünne Füllwände zum Theil ver¬
bunden, den Nahmen für die ungewöhnlich großen und weiten Fenster ab¬
geben und dem Bau den Charakter eines ungeheuren Glashauses verleihen.
Dasselbe Gesetz macht sich auch bei Ueberdeckung der Räume geltend. Diese
werden durch ein System kräftiger Gewölbrippen geschlossen, zwischen welche
"is leichte Füllungen dreieckige, dünn gemauerte Kappen eingespannt sind.
An diesem Streben, die Massen aufzulösen, die Einheit des Baues in eine
Anzahl freier selbstständiger Einzelglieder zu zerlegen, den Horizontalismus,
diese unerläßliche Grundbedingung der Architektur, zu verleugnen und durch
einen extremen Verticalismus zu verdrüugcn. ja den Gesetzen der Natur
gleichsam zum Trotz, durch einen aus die äußerste Spitze getriebenen Calcül
ein wie durch ein Wunder aufschießendes Bauwerk hervorzuzaubern, in dieser
ganzen schrankenlosen Vergeistigung der Materie kommt der naturfcindlichc
Spiritualismus des Mittelalters zur architektonischen Erscheinung. In dieser
Hinsicht ist der gothische Stil unbedingt die Spitze der mittelalterlichen Bau¬
entwicklung. Er spricht die erdverachtendc Ueberweltlichkeit jener Epoche in
glänzendster Consequenz. aber auch in schroffster Einseitigkeit aus."
Das Mittelalter hat sonach das vollbracht, was die Antike zu erreichen
"icht vermochte: die Ueberwindung der Schranken, die das Material der freien
Überspannung beliebiger Raumgrößen setzte, im Gewölbebau. Und hierin
baben wir das Dauernde und Giltige der mittelalterlichen Baukunst zu suchen,
^scheint nun aber.der gothische Stil als der vollendetste Ausdruck des christ-
l'es-mittelalterlichen Geistes, so muß das Formenwesen jenes Stils, in dem
sich eben jener mittelalterliche Geist aussprach, ein nur dem Mittelalter ent¬
sprechendes, angehöriges sein; denn es ist das einseitige Spiegelbild einer ein-
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