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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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organische Gesetzgebung nichts geschehn könne; nach 1830 gab es seine Oppo¬
sition auf, um Preußen zu bestimmen, sich allen Repressivvorschlägen Oest¬
reichs aus dem Bundestag anzuschließen, was ihm in der That gelang. Die
Theilnahme Oestreichs an diesen Bestrebungen behandelte man als eine Chi¬
märe. Der Grund war die Furcht vor jeder Berührung mit dem "Ausland";
der Glaube, daß das commercielle Prohibitivsystem eine nothwendige Ergän¬
zung und eine Stütze des geistigen sei. und das angenehme Gefühl, in aller
Ruhe und Behaglichkeit für sich sein und bleiben zu können, ohne sich in
einen Strudel unabsehbarer Geschäfte, peinlicher Zweifel und langer Unbe¬
quemlichkeiten stürzen zu müssen. ,

Die Flucht vor allem Neuen, der Argwohn, daß es unvermerkt in seine
eigensten Handlungen hereinschlüpfen könne, bewirkte, daß Kaiser Franz über¬
zäh im Erwägen und mehr als langsam im Entschließen wurde. Daher der
schleppende Gang der Staatsmaschine; daher die unzähligen endlosen Ver¬
zögerungen kaiserlicher Entscheide, ohne daß die Verzögerung an sich einer be¬
sondern Ungunst beizumessen war. Von Tag zu Tag kostete es ihn immer
größere Mühe, über irgend eine Angelegenheit zum Entschluß zu gelangen;
die Zahl der Geschäfte, bei denen seine Unterschrift nothwendig war, grenzte
ans Unglaubliche, und da er aus Gewissenhaftigkeit alles auf das genaueste
prüfen wollte, so reichte selbst seine unermüdliche "hofrüthliche" Arbeitsamkeit
für den Bedarf bei weitem nicht aus. Die Nummern der auf Erledigung
harrenden Antrüge hatten sich im Beginn des Jahres 1829 zu vielen Tausen¬
den aufgehäuft, und bei allen Behörden waltete die Klage, daß die dringend¬
sten Maßregeln unterbleiben müßten, weil die kaiserliche Unterschrift nicht zu
erlangen sei. Die Maschine gerieth endlich so sehr ins Stocken, daß der
Kaiser in der höchsten Noth (März 1829) sich entschließen mußte, einen Theil
der Regierungsgeschäfte auf den Kronprinzen zu übertragen.

Von absoluter Regierungsgewalt konnte in den meisten Kronländern nicht
wol die Rede sein; die Stände hatten wenigstens die Befugniß. die Regie¬
rung in jeder freien Bewegung zu hemmen. Andererseits schnitt die Regie¬
rung den Ständen jede sreie Wirksamkeit ab. Zwischen den patriarchalischen
und absolutistischen Neigungen der Staatsgewalt ergaben sich sehr bedenkliche
Widersprüche. Die Scherereien der Censur und die Plackereien im Paßwesen
wurden ebenso wenig als gemüthlich empfunden, als die Pedanterien lo
Schulfach und das Gezänk mit den Stünden; dagegen führte die patriarcha¬
lische Maxime zu einer so laxen Observanz in der Handhabung vieler Gebote
und Verbote, daß dadurch der Polizei alle Augenblicke ein Schnippchen ge¬
schlagen wurde. Darauf bedacht, alles zu beeinflussen, bei den geringfügig'
sten Angelegenheiten mit ihrer Autoritüt zu intervcniren und selbst die persön¬
lichen Interessen zu bevormunden, erschöpfte die Negierung im Schweiß ihres


organische Gesetzgebung nichts geschehn könne; nach 1830 gab es seine Oppo¬
sition auf, um Preußen zu bestimmen, sich allen Repressivvorschlägen Oest¬
reichs aus dem Bundestag anzuschließen, was ihm in der That gelang. Die
Theilnahme Oestreichs an diesen Bestrebungen behandelte man als eine Chi¬
märe. Der Grund war die Furcht vor jeder Berührung mit dem „Ausland";
der Glaube, daß das commercielle Prohibitivsystem eine nothwendige Ergän¬
zung und eine Stütze des geistigen sei. und das angenehme Gefühl, in aller
Ruhe und Behaglichkeit für sich sein und bleiben zu können, ohne sich in
einen Strudel unabsehbarer Geschäfte, peinlicher Zweifel und langer Unbe¬
quemlichkeiten stürzen zu müssen. ,

Die Flucht vor allem Neuen, der Argwohn, daß es unvermerkt in seine
eigensten Handlungen hereinschlüpfen könne, bewirkte, daß Kaiser Franz über¬
zäh im Erwägen und mehr als langsam im Entschließen wurde. Daher der
schleppende Gang der Staatsmaschine; daher die unzähligen endlosen Ver¬
zögerungen kaiserlicher Entscheide, ohne daß die Verzögerung an sich einer be¬
sondern Ungunst beizumessen war. Von Tag zu Tag kostete es ihn immer
größere Mühe, über irgend eine Angelegenheit zum Entschluß zu gelangen;
die Zahl der Geschäfte, bei denen seine Unterschrift nothwendig war, grenzte
ans Unglaubliche, und da er aus Gewissenhaftigkeit alles auf das genaueste
prüfen wollte, so reichte selbst seine unermüdliche „hofrüthliche" Arbeitsamkeit
für den Bedarf bei weitem nicht aus. Die Nummern der auf Erledigung
harrenden Antrüge hatten sich im Beginn des Jahres 1829 zu vielen Tausen¬
den aufgehäuft, und bei allen Behörden waltete die Klage, daß die dringend¬
sten Maßregeln unterbleiben müßten, weil die kaiserliche Unterschrift nicht zu
erlangen sei. Die Maschine gerieth endlich so sehr ins Stocken, daß der
Kaiser in der höchsten Noth (März 1829) sich entschließen mußte, einen Theil
der Regierungsgeschäfte auf den Kronprinzen zu übertragen.

Von absoluter Regierungsgewalt konnte in den meisten Kronländern nicht
wol die Rede sein; die Stände hatten wenigstens die Befugniß. die Regie¬
rung in jeder freien Bewegung zu hemmen. Andererseits schnitt die Regie¬
rung den Ständen jede sreie Wirksamkeit ab. Zwischen den patriarchalischen
und absolutistischen Neigungen der Staatsgewalt ergaben sich sehr bedenkliche
Widersprüche. Die Scherereien der Censur und die Plackereien im Paßwesen
wurden ebenso wenig als gemüthlich empfunden, als die Pedanterien lo
Schulfach und das Gezänk mit den Stünden; dagegen führte die patriarcha¬
lische Maxime zu einer so laxen Observanz in der Handhabung vieler Gebote
und Verbote, daß dadurch der Polizei alle Augenblicke ein Schnippchen ge¬
schlagen wurde. Darauf bedacht, alles zu beeinflussen, bei den geringfügig'
sten Angelegenheiten mit ihrer Autoritüt zu intervcniren und selbst die persön¬
lichen Interessen zu bevormunden, erschöpfte die Negierung im Schweiß ihres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/136>, abgerufen am 24.07.2024.