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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band.

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daß die Grundfläche des Wunderbaus fast ein Viertel des Raumes ein¬
nimmt, welchen die innere Stadt Leipzigs bedeckt, und daß die Pyramide
nicht hohl (die kleinen Grabkammern und der zu ihnen führende Gang
kommen kaum in Betracht), sondern von der Basis bis zum Gipfel mas¬
siv ist. Man könnte von den Steinen eine Mauer von dreißig Fuß Hohe
und sechs Fuß Dicke um ganz Berlin bauen, und es würde, wenn man
nur die äußern Lagen wegnähme, noch immer eine Pyramide übrig bleiben,
die mit ihrer Grundfläche vier bis fünf preußische Morgen bedeckte.

Das Hinabsteigen war leichter, als das Hinaufklimmen, und während
ich zur Erreichung des Gipfels elf Minuten bedurft, brauchte ich, um wieder
an den Fuß zu gelangen, nur etwas mehr als sechs, der eine der Gefährten
sogar nur fünf Minuten. Nachdem wir ein zweites Frühstück eingenommen,
bereiteten wir uns vor, das Innere der Pyramide zu besuchen. Die mitge¬
brachten Stearinkerzen wurden ausgepackt und an die Araber, welche voran¬
gehn sollten, vertheilt. Dann brachen wir nach dem in der Mitte der Nord¬
seite befindlichen Eingang auf. Es ist ein pyramidal geneigtes Portal, ge¬
deckt von einem gewaltigen Querblock, über dem sich andere fast ebenso große
giebelförmig gegeneinander stemmen, um die obere Last zu tragen -- eine Art
zu bauen, die ich später am Thor der Burg von Mykenä und am sogenann¬
ten Schatzhaus der Atriden wiederfand. Die Lichter wurden angezündet, und
nun ging es in einen Stollen von etwa 4 Fuß Höhe und Fuß Breite
hinab, dessen Wände von Kerzen- und Fackelrauch geschwärzt sind und dessen
Fußboden stark geneigt und von den Tritten der Reisenden in sehr unbequemer
Weise abgeschliffen ist. Nachdem wir auf diesem Wege etwa dreißig Schritt
bergab gestiegen waren, begann sich der Schacht links aufwärts zu winden.
Wir kletterten, halb gezogen, halb geschoben von den Fellahin, über glatte
unregelmäßige Blöcke mit Händen und Füßen weiter, bis sich der schmale
niedrige Gang plötzlich zu einer großen, fast dreißig Fuß hohen und sechs Fuß
breiten Galerie erweiterte, die in derselben Richtung wie der Stollen unter
ihr nach oben führt, während rechts von da, wo sie beginnt, ein wagerecht
laufender Gang nach der sogenannten Kammer der Königin abzweigt. Es ist
ein mit Granitquadern ausgelegtes Gemach von doppelter Manneshöhe, gegen
20 Fuß lang und etwa 16 Fuß breit. Die Königin lag nach neuern Fo"
Scherr nicht darin, sondern es war der Raum, wo der letzte Act der könig¬
lichen Leichenfeier spielte. Die Luft war hier überaus dick und schwül, kaum
zum Athmen und überdies mit dem penetranten Duft von Fledermäusen ge'
schwängert, welche sich familienweise hier wie in allen alten Tempeln AegYp'
tems angesiedelt hatten und ineinander verbissen oder verkrallt als greulige
Bündel, ungeheuren Trauben vergleichbar, von Schleim tropfend, von der
Decke herabhingen.


daß die Grundfläche des Wunderbaus fast ein Viertel des Raumes ein¬
nimmt, welchen die innere Stadt Leipzigs bedeckt, und daß die Pyramide
nicht hohl (die kleinen Grabkammern und der zu ihnen führende Gang
kommen kaum in Betracht), sondern von der Basis bis zum Gipfel mas¬
siv ist. Man könnte von den Steinen eine Mauer von dreißig Fuß Hohe
und sechs Fuß Dicke um ganz Berlin bauen, und es würde, wenn man
nur die äußern Lagen wegnähme, noch immer eine Pyramide übrig bleiben,
die mit ihrer Grundfläche vier bis fünf preußische Morgen bedeckte.

Das Hinabsteigen war leichter, als das Hinaufklimmen, und während
ich zur Erreichung des Gipfels elf Minuten bedurft, brauchte ich, um wieder
an den Fuß zu gelangen, nur etwas mehr als sechs, der eine der Gefährten
sogar nur fünf Minuten. Nachdem wir ein zweites Frühstück eingenommen,
bereiteten wir uns vor, das Innere der Pyramide zu besuchen. Die mitge¬
brachten Stearinkerzen wurden ausgepackt und an die Araber, welche voran¬
gehn sollten, vertheilt. Dann brachen wir nach dem in der Mitte der Nord¬
seite befindlichen Eingang auf. Es ist ein pyramidal geneigtes Portal, ge¬
deckt von einem gewaltigen Querblock, über dem sich andere fast ebenso große
giebelförmig gegeneinander stemmen, um die obere Last zu tragen — eine Art
zu bauen, die ich später am Thor der Burg von Mykenä und am sogenann¬
ten Schatzhaus der Atriden wiederfand. Die Lichter wurden angezündet, und
nun ging es in einen Stollen von etwa 4 Fuß Höhe und Fuß Breite
hinab, dessen Wände von Kerzen- und Fackelrauch geschwärzt sind und dessen
Fußboden stark geneigt und von den Tritten der Reisenden in sehr unbequemer
Weise abgeschliffen ist. Nachdem wir auf diesem Wege etwa dreißig Schritt
bergab gestiegen waren, begann sich der Schacht links aufwärts zu winden.
Wir kletterten, halb gezogen, halb geschoben von den Fellahin, über glatte
unregelmäßige Blöcke mit Händen und Füßen weiter, bis sich der schmale
niedrige Gang plötzlich zu einer großen, fast dreißig Fuß hohen und sechs Fuß
breiten Galerie erweiterte, die in derselben Richtung wie der Stollen unter
ihr nach oben führt, während rechts von da, wo sie beginnt, ein wagerecht
laufender Gang nach der sogenannten Kammer der Königin abzweigt. Es ist
ein mit Granitquadern ausgelegtes Gemach von doppelter Manneshöhe, gegen
20 Fuß lang und etwa 16 Fuß breit. Die Königin lag nach neuern Fo»
Scherr nicht darin, sondern es war der Raum, wo der letzte Act der könig¬
lichen Leichenfeier spielte. Die Luft war hier überaus dick und schwül, kaum
zum Athmen und überdies mit dem penetranten Duft von Fledermäusen ge'
schwängert, welche sich familienweise hier wie in allen alten Tempeln AegYp'
tems angesiedelt hatten und ineinander verbissen oder verkrallt als greulige
Bündel, ungeheuren Trauben vergleichbar, von Schleim tropfend, von der
Decke herabhingen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_186950/120>, abgerufen am 24.07.2024.