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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Ausweg gefunden, daß sie ihn selber spricht, was psysologisch vollkommen
richtig, da der böse Geist doch nur die Stimme des Gewissens repräsentirt,
theatralisch aber ein ungeheurer Fortschritt ist: denn der böse Geist von der
schnarrenden Stimme einer Statistin gesprochen, wobei dann allenfalls noch
eine Figur mit Eulenflügeln zum Vorschein kam, hat uns schon manchmal in
Verzweiflung gesetzt.

Diese Scene, wie die vor dem Muitergottesbilde (daß ihr wankender
Schritt nach diesem Bilde etwas länger dauerte als nöthig, ist im Grunde
unwesentlich) quollen aus dem innersten Herzen hervor, und von der Gewalt
dieser Empfindung wurde man fortgerissen, auch wo man mit einzelnen Aus¬
drücken nicht einverstanden war. Als die Krone dieser Leistungen möchten wir
aber die ernsten Scenen in Klärchen bezeichnen, und der Ausdruck mit dem
sie das bekannte Lied sang, war über alle Beschreibung ergreifend. Auch die
Scene mit den Bürgern, obgleich hier einzelne Mißklänge vorkamen, war tief
gedacht und empfunden, man sieht wie das feurige Mädchen, das mit der
größten Zuversicht eintritt, immer hoffnungsloser wird, wie ihre letzten Kraft-
anstrengungen nur aus der Verzweiflung entspringen und wie ihr Tod sich
als ein nothwendiger Naturproceß herausstellt.

Da wir mehre Scenen des Faust erwähnten, möge uns noch verstattet
sein, über die Ausführung dieses Stücks einige Bemerkungen zu machen. Man
hat den ersten Theil dieses Stücks (bis zur Hexenscene d. h. bis zur Ver¬
jüngung des Faust), der nach unsrer Ueberzeugung völlig undramatisch und
untheatralisch ist, mit allerlei Hokus Pokus ausgestattet, man läßt z. B. die
Träume des Faust wirklich aufführen, und da die schaulustige Menge sich an
diesen bunten Geschichten sehr amüsirt, so ist ja auch dagegen nichts zu sagen.
Dagegen sollte auf den zweiten Theil, der in gewisser Beziehung wirklich dra¬
matisch ist, mehr Aufmerksamkeit verwendet werden. Das Stück zerfällt in
eine Reihe von Tableaux, und da durch die artige Erfindung des Zwischen¬
vorhangs das Mittel gegeben ist, jede einzelne Scene zu schließen, so sollte
man nicht Scenen aneinandersädeln, die nicht znsanunengehören. Es ist z. B.
völlig absurd, den Monolog "meine Nuhe ist hin" mit dem bekannten Neli-
gionsgefpräch zusammenzubringen. Auch das letztere wird in der Regel nicht
richtig aufgefaßt: man stellt es so vor, als ob Faust, um das gute Gänschen
zu beschwichtigen, aus seinem Register ein Fach aufzieht und ihr daraus ein
Credo vorliest, so gut oder schlecht es sein mag. So hat sich Goethe die
Sache freilich nicht gedacht. Faust ist nicht ein Wagener, der seinen Glauben in
Schubfächern registrirt hat, und sie nur aufzuziehn braucht, er ist ein Grübler, der
mit Gott, dem Unbekannten ringt, und jene Frage des naiven Kindes erweckt in
seiner Brust Empfindungen und Gedanken, die er nun vor sich hinspricht, ohne
sich an die Person, die ihn anhört, zu erinnern. Auch das gute Gretchen mag


Ausweg gefunden, daß sie ihn selber spricht, was psysologisch vollkommen
richtig, da der böse Geist doch nur die Stimme des Gewissens repräsentirt,
theatralisch aber ein ungeheurer Fortschritt ist: denn der böse Geist von der
schnarrenden Stimme einer Statistin gesprochen, wobei dann allenfalls noch
eine Figur mit Eulenflügeln zum Vorschein kam, hat uns schon manchmal in
Verzweiflung gesetzt.

Diese Scene, wie die vor dem Muitergottesbilde (daß ihr wankender
Schritt nach diesem Bilde etwas länger dauerte als nöthig, ist im Grunde
unwesentlich) quollen aus dem innersten Herzen hervor, und von der Gewalt
dieser Empfindung wurde man fortgerissen, auch wo man mit einzelnen Aus¬
drücken nicht einverstanden war. Als die Krone dieser Leistungen möchten wir
aber die ernsten Scenen in Klärchen bezeichnen, und der Ausdruck mit dem
sie das bekannte Lied sang, war über alle Beschreibung ergreifend. Auch die
Scene mit den Bürgern, obgleich hier einzelne Mißklänge vorkamen, war tief
gedacht und empfunden, man sieht wie das feurige Mädchen, das mit der
größten Zuversicht eintritt, immer hoffnungsloser wird, wie ihre letzten Kraft-
anstrengungen nur aus der Verzweiflung entspringen und wie ihr Tod sich
als ein nothwendiger Naturproceß herausstellt.

Da wir mehre Scenen des Faust erwähnten, möge uns noch verstattet
sein, über die Ausführung dieses Stücks einige Bemerkungen zu machen. Man
hat den ersten Theil dieses Stücks (bis zur Hexenscene d. h. bis zur Ver¬
jüngung des Faust), der nach unsrer Ueberzeugung völlig undramatisch und
untheatralisch ist, mit allerlei Hokus Pokus ausgestattet, man läßt z. B. die
Träume des Faust wirklich aufführen, und da die schaulustige Menge sich an
diesen bunten Geschichten sehr amüsirt, so ist ja auch dagegen nichts zu sagen.
Dagegen sollte auf den zweiten Theil, der in gewisser Beziehung wirklich dra¬
matisch ist, mehr Aufmerksamkeit verwendet werden. Das Stück zerfällt in
eine Reihe von Tableaux, und da durch die artige Erfindung des Zwischen¬
vorhangs das Mittel gegeben ist, jede einzelne Scene zu schließen, so sollte
man nicht Scenen aneinandersädeln, die nicht znsanunengehören. Es ist z. B.
völlig absurd, den Monolog „meine Nuhe ist hin" mit dem bekannten Neli-
gionsgefpräch zusammenzubringen. Auch das letztere wird in der Regel nicht
richtig aufgefaßt: man stellt es so vor, als ob Faust, um das gute Gänschen
zu beschwichtigen, aus seinem Register ein Fach aufzieht und ihr daraus ein
Credo vorliest, so gut oder schlecht es sein mag. So hat sich Goethe die
Sache freilich nicht gedacht. Faust ist nicht ein Wagener, der seinen Glauben in
Schubfächern registrirt hat, und sie nur aufzuziehn braucht, er ist ein Grübler, der
mit Gott, dem Unbekannten ringt, und jene Frage des naiven Kindes erweckt in
seiner Brust Empfindungen und Gedanken, die er nun vor sich hinspricht, ohne
sich an die Person, die ihn anhört, zu erinnern. Auch das gute Gretchen mag


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/84>, abgerufen am 23.07.2024.