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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Zwei wohlbewaffnete Schützen besteigen mit einem Jungen ein Boot und
fahren zur Ebbezeit nach den großen Sandbänken vor Spiker-Oge. In den
tieferen Stellen des Watts, welche noch voll Wasser stehen, halten sich leicht
Seehunde auf, die es versäumt haben, dem zurückgewichenen Meer zu folgen.
Die Jäger legen sich nun vor dem Wasserbecken aus den Bauch, indem sie
das Gewehr im Anschlag halten, während der Junge die Bewegungen eines
auf dem Sande kriechenden Seehunds nachahmt. Die Arme kreuzend stützt
er sich auf die Ellnbogen und rutscht so, den Kopf emporhaltend, aus den
Ellnbogen und Knien hin und her. Die jungen Seehunde lassen sich durch
diese Bewegungen, die man Huckseln nennt, leicht tauschen und kommen,
aus dem Wasser emportauchend, heran; worauf dann die Jäger sie vor den
Kopf schießen. Die älteren Seehunde, die schon mehr Erfahrung haben, kön¬
nen nicht leicht auf diese Weise berückt werden. Man beschleicht sie, wenn sie
ihre Siesta auf dem Sande halten, und schlägt oder schießt die Schlafenden
nieder.

Ich selbst habe eine kleine Seehundsjagd von Wcmger-Oge aus mit ge¬
macht. Wir waren sechs Personen: drei Badegäste, von denen zwei, als eif¬
rige Weidmänner des Festlandes, Gewehr und Schießbedarf mit auf die In¬
sel gebracht hatten, während ich, der dritte -- ein Fremdling in den rauhen
Freuden Dianas -- als Dilettant mitging, und drei Insulaner, von denen
einer als Seehundsjäger von Gewerbe unsere Unternehmung mit Rath und
That unterstützte, die beiden andern aber das Boot leiteten. Unsere Fahrt
ging nach den großen Sandbänken der Nachbarinsel Spiker-Oge: es waren
also hannoverische Seehunde, denen wir Oldenburger nachstellten.

Noch lebt unter den Wanger-Ogern die Erinnerung, daß man von ihrer
Insel aus die Hähne von Spiker-Oge habe krähen hören; jetzt sind die zwei
"Augen" meilenweit auseinander, und nur ihre Sandbänke -- durch einen
tiefen Einschnitt des Meers, die Harte, getrennt -- sind sich nahe geblieben.
Der Schiffer, der am Steuer unseres Bootes saß, erzählte uns von Dörfern
zwischen Spiker-Oge und dem Festland, die schon seit Hunderten von Jahren
untergegangen seien; er wies nach einer Stelle hin, wo ein Dorf Olmen ge¬
legen habe, dessen sechzig Schritt lange Kirche und daneben der aus rohen
Steinen ("Kieselsteinen") erbaute Thurm") bei niedrigem Wasserstand noch
lange hinterher sichtbar geblieben seien.

Auf der Sandbank angelangt, ließen wir den Steuermann bei dem Boote
zurück; die Uebrigen zerstreuten sich über die weiten Flächen, um die Wasser¬
becken auszusuchen. An einem derselben, aus dem ein junger Seehund mit
neugierigen Augen eine Secunde lang aufgetaucht war, machteich mit einem
der Festlandjäger Halt. Der Vorschrift gemäß legten wir uns nieder in den



-) Kirche und Thurm sind im Oldenburgischen häufig getrennt.

Zwei wohlbewaffnete Schützen besteigen mit einem Jungen ein Boot und
fahren zur Ebbezeit nach den großen Sandbänken vor Spiker-Oge. In den
tieferen Stellen des Watts, welche noch voll Wasser stehen, halten sich leicht
Seehunde auf, die es versäumt haben, dem zurückgewichenen Meer zu folgen.
Die Jäger legen sich nun vor dem Wasserbecken aus den Bauch, indem sie
das Gewehr im Anschlag halten, während der Junge die Bewegungen eines
auf dem Sande kriechenden Seehunds nachahmt. Die Arme kreuzend stützt
er sich auf die Ellnbogen und rutscht so, den Kopf emporhaltend, aus den
Ellnbogen und Knien hin und her. Die jungen Seehunde lassen sich durch
diese Bewegungen, die man Huckseln nennt, leicht tauschen und kommen,
aus dem Wasser emportauchend, heran; worauf dann die Jäger sie vor den
Kopf schießen. Die älteren Seehunde, die schon mehr Erfahrung haben, kön¬
nen nicht leicht auf diese Weise berückt werden. Man beschleicht sie, wenn sie
ihre Siesta auf dem Sande halten, und schlägt oder schießt die Schlafenden
nieder.

Ich selbst habe eine kleine Seehundsjagd von Wcmger-Oge aus mit ge¬
macht. Wir waren sechs Personen: drei Badegäste, von denen zwei, als eif¬
rige Weidmänner des Festlandes, Gewehr und Schießbedarf mit auf die In¬
sel gebracht hatten, während ich, der dritte — ein Fremdling in den rauhen
Freuden Dianas — als Dilettant mitging, und drei Insulaner, von denen
einer als Seehundsjäger von Gewerbe unsere Unternehmung mit Rath und
That unterstützte, die beiden andern aber das Boot leiteten. Unsere Fahrt
ging nach den großen Sandbänken der Nachbarinsel Spiker-Oge: es waren
also hannoverische Seehunde, denen wir Oldenburger nachstellten.

Noch lebt unter den Wanger-Ogern die Erinnerung, daß man von ihrer
Insel aus die Hähne von Spiker-Oge habe krähen hören; jetzt sind die zwei
„Augen" meilenweit auseinander, und nur ihre Sandbänke — durch einen
tiefen Einschnitt des Meers, die Harte, getrennt — sind sich nahe geblieben.
Der Schiffer, der am Steuer unseres Bootes saß, erzählte uns von Dörfern
zwischen Spiker-Oge und dem Festland, die schon seit Hunderten von Jahren
untergegangen seien; er wies nach einer Stelle hin, wo ein Dorf Olmen ge¬
legen habe, dessen sechzig Schritt lange Kirche und daneben der aus rohen
Steinen („Kieselsteinen") erbaute Thurm") bei niedrigem Wasserstand noch
lange hinterher sichtbar geblieben seien.

Auf der Sandbank angelangt, ließen wir den Steuermann bei dem Boote
zurück; die Uebrigen zerstreuten sich über die weiten Flächen, um die Wasser¬
becken auszusuchen. An einem derselben, aus dem ein junger Seehund mit
neugierigen Augen eine Secunde lang aufgetaucht war, machteich mit einem
der Festlandjäger Halt. Der Vorschrift gemäß legten wir uns nieder in den



-) Kirche und Thurm sind im Oldenburgischen häufig getrennt.
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[0074] Zwei wohlbewaffnete Schützen besteigen mit einem Jungen ein Boot und fahren zur Ebbezeit nach den großen Sandbänken vor Spiker-Oge. In den tieferen Stellen des Watts, welche noch voll Wasser stehen, halten sich leicht Seehunde auf, die es versäumt haben, dem zurückgewichenen Meer zu folgen. Die Jäger legen sich nun vor dem Wasserbecken aus den Bauch, indem sie das Gewehr im Anschlag halten, während der Junge die Bewegungen eines auf dem Sande kriechenden Seehunds nachahmt. Die Arme kreuzend stützt er sich auf die Ellnbogen und rutscht so, den Kopf emporhaltend, aus den Ellnbogen und Knien hin und her. Die jungen Seehunde lassen sich durch diese Bewegungen, die man Huckseln nennt, leicht tauschen und kommen, aus dem Wasser emportauchend, heran; worauf dann die Jäger sie vor den Kopf schießen. Die älteren Seehunde, die schon mehr Erfahrung haben, kön¬ nen nicht leicht auf diese Weise berückt werden. Man beschleicht sie, wenn sie ihre Siesta auf dem Sande halten, und schlägt oder schießt die Schlafenden nieder. Ich selbst habe eine kleine Seehundsjagd von Wcmger-Oge aus mit ge¬ macht. Wir waren sechs Personen: drei Badegäste, von denen zwei, als eif¬ rige Weidmänner des Festlandes, Gewehr und Schießbedarf mit auf die In¬ sel gebracht hatten, während ich, der dritte — ein Fremdling in den rauhen Freuden Dianas — als Dilettant mitging, und drei Insulaner, von denen einer als Seehundsjäger von Gewerbe unsere Unternehmung mit Rath und That unterstützte, die beiden andern aber das Boot leiteten. Unsere Fahrt ging nach den großen Sandbänken der Nachbarinsel Spiker-Oge: es waren also hannoverische Seehunde, denen wir Oldenburger nachstellten. Noch lebt unter den Wanger-Ogern die Erinnerung, daß man von ihrer Insel aus die Hähne von Spiker-Oge habe krähen hören; jetzt sind die zwei „Augen" meilenweit auseinander, und nur ihre Sandbänke — durch einen tiefen Einschnitt des Meers, die Harte, getrennt — sind sich nahe geblieben. Der Schiffer, der am Steuer unseres Bootes saß, erzählte uns von Dörfern zwischen Spiker-Oge und dem Festland, die schon seit Hunderten von Jahren untergegangen seien; er wies nach einer Stelle hin, wo ein Dorf Olmen ge¬ legen habe, dessen sechzig Schritt lange Kirche und daneben der aus rohen Steinen („Kieselsteinen") erbaute Thurm") bei niedrigem Wasserstand noch lange hinterher sichtbar geblieben seien. Auf der Sandbank angelangt, ließen wir den Steuermann bei dem Boote zurück; die Uebrigen zerstreuten sich über die weiten Flächen, um die Wasser¬ becken auszusuchen. An einem derselben, aus dem ein junger Seehund mit neugierigen Augen eine Secunde lang aufgetaucht war, machteich mit einem der Festlandjäger Halt. Der Vorschrift gemäß legten wir uns nieder in den -) Kirche und Thurm sind im Oldenburgischen häufig getrennt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/74>, abgerufen am 22.07.2024.