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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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zu verschlingen. Man jagt ihn um seines Fettes willen; der kühne Springer läßt
sich aber nur schwer fangen. Daß Musik ihn anziehe, scheint eine Fabel zu sein. Der
Delphin erreicht die Länge von zehn Fuß. Ausnahmsweise wurde einer bei
Wanger-Ogc ausgefischt, der noch anderthalb Fuß weiter maß und achtzig Kannen
Thran lieferte; er war an einem Lachs erstickt, der ihm noch im Halse stak.

Dem Binnenländer weit bekannter ist der Seehund oder die Robbe,
welche ja oft auf Messen und Märkten gezeigt wird. Ihr Kopf, der dem
eines Hundes ähnlich sieht, wird anziehend durch ein großes braunes Auge
von so viel Ausdruck, daß mehr Seele dahinter zu lauschen scheint, als hin¬
ter den Augen der meisten andern Thiere. Dieses sehnsüchtig blickende und doch
wieder kluge Auge und der aufgerichtete büstenänhliche Oberkörper hat ohne
Zweifel Veranlassung zu der Sage von den Meerweibchen gegeben. -- Die
Robbe bringt zwei Junge zur Welt, die sie zärtlich liebt und um deren Verlust
sie Thränen vergießen soll. Sie ist gescheidt. läßt sich leicht zähmen und lernt
gelehrig, wie sie ist -- mancherlei Kunststücke. Obwol sie aus ihren halb
in Haut verwachsenen Vorderfüßen nur rutschen kann, so macht sie doch, bei der
ungemeinen Beweglichkeit ihres Nackens, einen gewandten Eindruck. Sie ge¬
wöhnt sich an den Menschen wie ein Hund, dessen Stimme mit der ihrigen
Aehnlichkeit hat.

Es ist mir ein Fall bekannt, daß Schiffersleute eine Robbe hielten, die
M einer Ecke der Stube in einem Loch zu liegen Pflegte und von den Kin¬
dern mit Fischen, die sie ihr singen, gefüttert wurde. Als aber mehre Haus¬
thiere starben, sagte eine alte Frau, die bei der Familie wohnte: daran sei
die böse Robbe Schuld, die müsse fortgeschafft werden. Darauf nahm sie der
Hausvater mit in sein Fahrzeug und warf sie, als er auf dem hohen Meer
war, über Bord. Aber nach wenigen Stunden erschien sie wieder in dem
Schifferhäuschen und nahm zur großen Freude der Kinder den altgewohnten
Platz wieder ein. Zum zweiten Mal wurde die Robbe mit ins Schiff ge¬
nommen und diesmal viel weiter weggebracht, und zum zweiten Mal kehrte
sie, nach Verlauf eines Tages, zurück. Man konnte sich nicht entschließen, das treue
Thier zu todten; aber die alte Frau stach ihr, nachdem die Kinder weggeschickt
worden waren, die Augen aus. So übergab man sie einem Grönlandsfahrer,
der sie hoch im Norden dem Meer überlieferte. Was geschah? Nach einigen
Tagen hörten die Schiffersleute in tiefer Nacht ein Rutschen und ein Winseln
vor ihrem Hause -- und siehe! der geblendete Seehund lag. auf den Tod
erschöpft, vor der Thür und starb, nachdem er noch einmal die Stimme seiner
Freunde vernommen hatte

Bekanntlich wird dem Seehund wegen seines Fells und seines Fettes
nachgestellt; aber er setzt sich tapfer mit scharfem Biß und Schwanzschlägen
zur Wehre. Ans Wanger-Oge wird die Robbenjagd nur im Kleinen betrieben.


zu verschlingen. Man jagt ihn um seines Fettes willen; der kühne Springer läßt
sich aber nur schwer fangen. Daß Musik ihn anziehe, scheint eine Fabel zu sein. Der
Delphin erreicht die Länge von zehn Fuß. Ausnahmsweise wurde einer bei
Wanger-Ogc ausgefischt, der noch anderthalb Fuß weiter maß und achtzig Kannen
Thran lieferte; er war an einem Lachs erstickt, der ihm noch im Halse stak.

Dem Binnenländer weit bekannter ist der Seehund oder die Robbe,
welche ja oft auf Messen und Märkten gezeigt wird. Ihr Kopf, der dem
eines Hundes ähnlich sieht, wird anziehend durch ein großes braunes Auge
von so viel Ausdruck, daß mehr Seele dahinter zu lauschen scheint, als hin¬
ter den Augen der meisten andern Thiere. Dieses sehnsüchtig blickende und doch
wieder kluge Auge und der aufgerichtete büstenänhliche Oberkörper hat ohne
Zweifel Veranlassung zu der Sage von den Meerweibchen gegeben. — Die
Robbe bringt zwei Junge zur Welt, die sie zärtlich liebt und um deren Verlust
sie Thränen vergießen soll. Sie ist gescheidt. läßt sich leicht zähmen und lernt
gelehrig, wie sie ist — mancherlei Kunststücke. Obwol sie aus ihren halb
in Haut verwachsenen Vorderfüßen nur rutschen kann, so macht sie doch, bei der
ungemeinen Beweglichkeit ihres Nackens, einen gewandten Eindruck. Sie ge¬
wöhnt sich an den Menschen wie ein Hund, dessen Stimme mit der ihrigen
Aehnlichkeit hat.

Es ist mir ein Fall bekannt, daß Schiffersleute eine Robbe hielten, die
M einer Ecke der Stube in einem Loch zu liegen Pflegte und von den Kin¬
dern mit Fischen, die sie ihr singen, gefüttert wurde. Als aber mehre Haus¬
thiere starben, sagte eine alte Frau, die bei der Familie wohnte: daran sei
die böse Robbe Schuld, die müsse fortgeschafft werden. Darauf nahm sie der
Hausvater mit in sein Fahrzeug und warf sie, als er auf dem hohen Meer
war, über Bord. Aber nach wenigen Stunden erschien sie wieder in dem
Schifferhäuschen und nahm zur großen Freude der Kinder den altgewohnten
Platz wieder ein. Zum zweiten Mal wurde die Robbe mit ins Schiff ge¬
nommen und diesmal viel weiter weggebracht, und zum zweiten Mal kehrte
sie, nach Verlauf eines Tages, zurück. Man konnte sich nicht entschließen, das treue
Thier zu todten; aber die alte Frau stach ihr, nachdem die Kinder weggeschickt
worden waren, die Augen aus. So übergab man sie einem Grönlandsfahrer,
der sie hoch im Norden dem Meer überlieferte. Was geschah? Nach einigen
Tagen hörten die Schiffersleute in tiefer Nacht ein Rutschen und ein Winseln
vor ihrem Hause — und siehe! der geblendete Seehund lag. auf den Tod
erschöpft, vor der Thür und starb, nachdem er noch einmal die Stimme seiner
Freunde vernommen hatte

Bekanntlich wird dem Seehund wegen seines Fells und seines Fettes
nachgestellt; aber er setzt sich tapfer mit scharfem Biß und Schwanzschlägen
zur Wehre. Ans Wanger-Oge wird die Robbenjagd nur im Kleinen betrieben.


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[0073] zu verschlingen. Man jagt ihn um seines Fettes willen; der kühne Springer läßt sich aber nur schwer fangen. Daß Musik ihn anziehe, scheint eine Fabel zu sein. Der Delphin erreicht die Länge von zehn Fuß. Ausnahmsweise wurde einer bei Wanger-Ogc ausgefischt, der noch anderthalb Fuß weiter maß und achtzig Kannen Thran lieferte; er war an einem Lachs erstickt, der ihm noch im Halse stak. Dem Binnenländer weit bekannter ist der Seehund oder die Robbe, welche ja oft auf Messen und Märkten gezeigt wird. Ihr Kopf, der dem eines Hundes ähnlich sieht, wird anziehend durch ein großes braunes Auge von so viel Ausdruck, daß mehr Seele dahinter zu lauschen scheint, als hin¬ ter den Augen der meisten andern Thiere. Dieses sehnsüchtig blickende und doch wieder kluge Auge und der aufgerichtete büstenänhliche Oberkörper hat ohne Zweifel Veranlassung zu der Sage von den Meerweibchen gegeben. — Die Robbe bringt zwei Junge zur Welt, die sie zärtlich liebt und um deren Verlust sie Thränen vergießen soll. Sie ist gescheidt. läßt sich leicht zähmen und lernt gelehrig, wie sie ist — mancherlei Kunststücke. Obwol sie aus ihren halb in Haut verwachsenen Vorderfüßen nur rutschen kann, so macht sie doch, bei der ungemeinen Beweglichkeit ihres Nackens, einen gewandten Eindruck. Sie ge¬ wöhnt sich an den Menschen wie ein Hund, dessen Stimme mit der ihrigen Aehnlichkeit hat. Es ist mir ein Fall bekannt, daß Schiffersleute eine Robbe hielten, die M einer Ecke der Stube in einem Loch zu liegen Pflegte und von den Kin¬ dern mit Fischen, die sie ihr singen, gefüttert wurde. Als aber mehre Haus¬ thiere starben, sagte eine alte Frau, die bei der Familie wohnte: daran sei die böse Robbe Schuld, die müsse fortgeschafft werden. Darauf nahm sie der Hausvater mit in sein Fahrzeug und warf sie, als er auf dem hohen Meer war, über Bord. Aber nach wenigen Stunden erschien sie wieder in dem Schifferhäuschen und nahm zur großen Freude der Kinder den altgewohnten Platz wieder ein. Zum zweiten Mal wurde die Robbe mit ins Schiff ge¬ nommen und diesmal viel weiter weggebracht, und zum zweiten Mal kehrte sie, nach Verlauf eines Tages, zurück. Man konnte sich nicht entschließen, das treue Thier zu todten; aber die alte Frau stach ihr, nachdem die Kinder weggeschickt worden waren, die Augen aus. So übergab man sie einem Grönlandsfahrer, der sie hoch im Norden dem Meer überlieferte. Was geschah? Nach einigen Tagen hörten die Schiffersleute in tiefer Nacht ein Rutschen und ein Winseln vor ihrem Hause — und siehe! der geblendete Seehund lag. auf den Tod erschöpft, vor der Thür und starb, nachdem er noch einmal die Stimme seiner Freunde vernommen hatte Bekanntlich wird dem Seehund wegen seines Fells und seines Fettes nachgestellt; aber er setzt sich tapfer mit scharfem Biß und Schwanzschlägen zur Wehre. Ans Wanger-Oge wird die Robbenjagd nur im Kleinen betrieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/73>, abgerufen am 22.07.2024.