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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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ihrer ganzen Geschichte bis zu dem traurigen Ausgang, der doch wieder hu¬
moristisch aufgefaßt wird, wie denn überhaupt der Humor der Erzählung an
die alten spanischen Schelmenromane erinnert. Ebenso vortrefflich sind die
Umgebungen der "Möve", der unverschämte Mono, der Barbier Ramon Perez,
der ehrliche, etwas abgeschabte Commandant Don Modesto Guerrero u. s. w.
Die Aristokratie von Sevilla, in deren Schilderung die Dichterin nach der An'
gäbe des Uebersetzers eine besondere Virtuosität entwickeln soll, hat uns we¬
niger interessirt; abgesehen von einigen Reminiscenzen an Don Quixote und
Calderon zeigt sie ebenso wenig Physiognomie als die unsrigen. -- Es ist
Schade, daß Fernau Caballero ihre Kraft ausschließlich auf die Zeichnung der
Charaktere verwendet, auf die Composition des Ganzen dagegen wenig Ge¬
wicht legt. -- Mit nicht geringem Interesse erwarten wir die weitern Romane!
vorläufig entnehmen wir den Angaben des llebersctzers einige charakteristische
Notizen. -- "Caballeros Patriotismus gilt dem Spanien von ehedem mit sei¬
ner starren Ausschlrcßlichkeit, seinen Eigenthümlichkeiten in Glauben, Ver¬
fassung, Gesetz. Sitte, Tracht . . . Ein Theil ihrer Dichtungen hat die offen
ausgesprochene Tendenz, ihren Landsleuten die sorgfältige Erhaltung der alten
Nationalsitte, wo sie noch besteht, und die Rückkehr derselben, wo sie verloren
gegangen ist, dringend ans Herz zu legen. Zu diesem Zweck sucht sie die
alte Nationalsitte da auf, wo sie fast allein noch zu finden ist, beim Volk, und
zwar vorzugsweise in den von der modernisirten Hauptstadt entferntesten Pro¬
vinzen, zunächst in ihrer eignen Heimat Andalusien. Sie liebt das Volk,
weil es national, weil es eigenthümlich, weil es poetisch ist; sie studirt seine
Anschauungsweise, seine Sitte, seine Traditionen, seine Gebräuche, seine
Poesie, und entwirft davon ein naturgetreues Bild zur Belehrung der¬
jenigen Schichten der Gesellschaft, denen die alte Sitte abhanden gekommen
ist. In dem Ton eines Reisenden, der von einem entlegenen Lande, von
eurem beinahe Verlassenen berichtet, erzählt sie ihren Standesgenossen, w>e
das Landvolk in Andalusien lebt und denkt, fühlt, tanzt und spielt, singt und
sagt, liebt und leidet." "Sie hat eine tiefe Abneigung gegen den alle Gebiete
des Lebens mehr und mehr überwuchernden Jndustrialismus und Materialis¬
mus, wie gegen die Herrschaft der sogenannten Mittclclasscn" u. s. w. ^ Die
Tendenz mag man also romantisch nennen; die Ausführung ist es eben!"
wenig als bei W- Scott: sie ist sinnlich klar und lebendig, von höchster Plastik
und einer Unbefangenheit, daß sie den besten Humoristen an die Seite gestellt
werden kgnn. --

Neue Romane von Fanny Lewald. 4 Bd., Berlin, Zanke. -- Fanny
Lewald hat sich von der Tendenz ihrer ersten Romane, die modernen Lebens¬
conflicte in einseitig modernem Sinn zu losen, vollständig freigemacht. Die
neuen Erzählungen hinterlassen durchweg einen wohlthuenden Eindruck: Po"'"


ihrer ganzen Geschichte bis zu dem traurigen Ausgang, der doch wieder hu¬
moristisch aufgefaßt wird, wie denn überhaupt der Humor der Erzählung an
die alten spanischen Schelmenromane erinnert. Ebenso vortrefflich sind die
Umgebungen der „Möve", der unverschämte Mono, der Barbier Ramon Perez,
der ehrliche, etwas abgeschabte Commandant Don Modesto Guerrero u. s. w.
Die Aristokratie von Sevilla, in deren Schilderung die Dichterin nach der An'
gäbe des Uebersetzers eine besondere Virtuosität entwickeln soll, hat uns we¬
niger interessirt; abgesehen von einigen Reminiscenzen an Don Quixote und
Calderon zeigt sie ebenso wenig Physiognomie als die unsrigen. — Es ist
Schade, daß Fernau Caballero ihre Kraft ausschließlich auf die Zeichnung der
Charaktere verwendet, auf die Composition des Ganzen dagegen wenig Ge¬
wicht legt. — Mit nicht geringem Interesse erwarten wir die weitern Romane!
vorläufig entnehmen wir den Angaben des llebersctzers einige charakteristische
Notizen. — „Caballeros Patriotismus gilt dem Spanien von ehedem mit sei¬
ner starren Ausschlrcßlichkeit, seinen Eigenthümlichkeiten in Glauben, Ver¬
fassung, Gesetz. Sitte, Tracht . . . Ein Theil ihrer Dichtungen hat die offen
ausgesprochene Tendenz, ihren Landsleuten die sorgfältige Erhaltung der alten
Nationalsitte, wo sie noch besteht, und die Rückkehr derselben, wo sie verloren
gegangen ist, dringend ans Herz zu legen. Zu diesem Zweck sucht sie die
alte Nationalsitte da auf, wo sie fast allein noch zu finden ist, beim Volk, und
zwar vorzugsweise in den von der modernisirten Hauptstadt entferntesten Pro¬
vinzen, zunächst in ihrer eignen Heimat Andalusien. Sie liebt das Volk,
weil es national, weil es eigenthümlich, weil es poetisch ist; sie studirt seine
Anschauungsweise, seine Sitte, seine Traditionen, seine Gebräuche, seine
Poesie, und entwirft davon ein naturgetreues Bild zur Belehrung der¬
jenigen Schichten der Gesellschaft, denen die alte Sitte abhanden gekommen
ist. In dem Ton eines Reisenden, der von einem entlegenen Lande, von
eurem beinahe Verlassenen berichtet, erzählt sie ihren Standesgenossen, w>e
das Landvolk in Andalusien lebt und denkt, fühlt, tanzt und spielt, singt und
sagt, liebt und leidet." „Sie hat eine tiefe Abneigung gegen den alle Gebiete
des Lebens mehr und mehr überwuchernden Jndustrialismus und Materialis¬
mus, wie gegen die Herrschaft der sogenannten Mittclclasscn" u. s. w. ^ Die
Tendenz mag man also romantisch nennen; die Ausführung ist es eben!"
wenig als bei W- Scott: sie ist sinnlich klar und lebendig, von höchster Plastik
und einer Unbefangenheit, daß sie den besten Humoristen an die Seite gestellt
werden kgnn. —

Neue Romane von Fanny Lewald. 4 Bd., Berlin, Zanke. — Fanny
Lewald hat sich von der Tendenz ihrer ersten Romane, die modernen Lebens¬
conflicte in einseitig modernem Sinn zu losen, vollständig freigemacht. Die
neuen Erzählungen hinterlassen durchweg einen wohlthuenden Eindruck: Po»'"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/510>, abgerufen am 23.07.2024.