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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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Tann." "War das der Nacht gewaltger Odem? Ein weit zerflvßnerSeufzer¬
hall, ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem durchquillt die öden Räume." Das
Gespenst jammert darüber, daß noch immer die Stunde nicht schlägt, wo er
"lang Begrabenes schauen" soll; endlich zuckt der Morgen: "mit Räderknarren
und Gepfeif, ein rauchend Ungeheuer, schäumt das Dampfboot durch den
Rhein," und die Dichterin fragt sich, ob sie geträumt habe. Es war ein Alp>
drücken; .denn auch als man nun wirklich den Neubau des Doms unternimmt
(I. S. e) sieht sie nur die "Carricatur des Heiligsten": an der Spitze des
Unternehmens steht "wer den Himmel angebellt, vor keiner Hölle je gebebt!"
Gott kennt "eurer Seele ödes Haus; baut Magazin und Monument, doch sei'
nen Namen laßt daraus!" "Weh euch, die ihr den zorn'gen Gott gehöhnt an
seiner Schwelle Rand, Meineidgen gleich in frevlem Spott hebt am Altare
eure Hand!" Der geistlose Bau wird doch nur ein Trümmerhaufen wie die
Ruinen in Rom. -- Es ist in dem, was sie gegen die neue Zeit sagt, viel
Richtiges; so ihre Ermahnungen an die Schriftstellerinnen (I. S. 19). an die
voreiligen Weltverbesserer (S. 27). an die modernen Pädagogen, welche die
alte gute Zucht durch Spielereien ersetzen (S. 2g). Es hat einen guten Klang,
wenn sie (S. 24) die Zeit "vor vierzig Jahren" schildert: "Da gab es dock
ein Sehnen, ein Hoffen und ein Glühn, als noch der Mond "durch Thränen
in Fliederlauben" schien, als man dem "milden Sterne" gesellte was da lieb,
und "Lieder in die Ferne" auf sieben Meilen schrieb!" -- Man merke ven
Spott der modernen Bildung, die sich selbst unbequem wird! "Ob dürftig
das Erkennen, der Dichtung Flamme schwach, nur tief und tiefer brennen ver¬
deckte Gluten nach. Da lachte nicht der leere, der überfalle Spott, man baute
die Altäre dem unbekannten Gott." Dem unbekannten! "Nun aber sind die
Zeiten, die überwerthen da, wo offen alle Weiten und jede Ferne nah . - -
Was wir daheim gelassen, das wird uns arm und klein, was Fremdes wir
erfassen, wird in der Hand zu Nein. Es wogt von End zu Ende, es grüßt
im Fluge her. wir reichen unsre Hände, sie bleiben kalt und leer. NielM
liebend, achtend Wen'ge wird Herz und Wange bleich, und bettelhafte Kön'ge
stehn wir im Steppenreich." -- Es ist etwas zu viel gesagt, der Dampf hat nicht
alle Regungen des Herzens erstickt, und wenn man auf den Eisenbahnen etwas
zu viel vagabundirt. so kehrt man doch zuletzt nach Hause zurück. Aber der
Ausdruck ist schön und-prägnant. er prägt sich dem Gedächtniß ein. -- Die
Hauptsache ist. daß die Dichterin das Walten des ihr widerlichen Zeitgeistes
in der eignen Brust fühlt; ihre Anklage ist um so bitterer, da sie sich als
Mitschuldige weiß; da in ihrem kranken Nervensystem die Fragen, die das
Zeitalter bewegen, zur tödtlichen Qual werden. So grübelt sie einmal (S. 146),
ob der Jnstinct des Hundes u. s. w. nicht etwas Analoges mit der mersch'
lichen Seele sei. Ob diese Gedanken "krank oder gesund, das mag sie selber


Tann." „War das der Nacht gewaltger Odem? Ein weit zerflvßnerSeufzer¬
hall, ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem durchquillt die öden Räume." Das
Gespenst jammert darüber, daß noch immer die Stunde nicht schlägt, wo er
„lang Begrabenes schauen" soll; endlich zuckt der Morgen: „mit Räderknarren
und Gepfeif, ein rauchend Ungeheuer, schäumt das Dampfboot durch den
Rhein," und die Dichterin fragt sich, ob sie geträumt habe. Es war ein Alp>
drücken; .denn auch als man nun wirklich den Neubau des Doms unternimmt
(I. S. e) sieht sie nur die „Carricatur des Heiligsten": an der Spitze des
Unternehmens steht „wer den Himmel angebellt, vor keiner Hölle je gebebt!"
Gott kennt „eurer Seele ödes Haus; baut Magazin und Monument, doch sei'
nen Namen laßt daraus!" „Weh euch, die ihr den zorn'gen Gott gehöhnt an
seiner Schwelle Rand, Meineidgen gleich in frevlem Spott hebt am Altare
eure Hand!" Der geistlose Bau wird doch nur ein Trümmerhaufen wie die
Ruinen in Rom. — Es ist in dem, was sie gegen die neue Zeit sagt, viel
Richtiges; so ihre Ermahnungen an die Schriftstellerinnen (I. S. 19). an die
voreiligen Weltverbesserer (S. 27). an die modernen Pädagogen, welche die
alte gute Zucht durch Spielereien ersetzen (S. 2g). Es hat einen guten Klang,
wenn sie (S. 24) die Zeit „vor vierzig Jahren" schildert: „Da gab es dock
ein Sehnen, ein Hoffen und ein Glühn, als noch der Mond „durch Thränen
in Fliederlauben" schien, als man dem „milden Sterne" gesellte was da lieb,
und „Lieder in die Ferne" auf sieben Meilen schrieb!" — Man merke ven
Spott der modernen Bildung, die sich selbst unbequem wird! „Ob dürftig
das Erkennen, der Dichtung Flamme schwach, nur tief und tiefer brennen ver¬
deckte Gluten nach. Da lachte nicht der leere, der überfalle Spott, man baute
die Altäre dem unbekannten Gott." Dem unbekannten! „Nun aber sind die
Zeiten, die überwerthen da, wo offen alle Weiten und jede Ferne nah . - -
Was wir daheim gelassen, das wird uns arm und klein, was Fremdes wir
erfassen, wird in der Hand zu Nein. Es wogt von End zu Ende, es grüßt
im Fluge her. wir reichen unsre Hände, sie bleiben kalt und leer. NielM
liebend, achtend Wen'ge wird Herz und Wange bleich, und bettelhafte Kön'ge
stehn wir im Steppenreich." — Es ist etwas zu viel gesagt, der Dampf hat nicht
alle Regungen des Herzens erstickt, und wenn man auf den Eisenbahnen etwas
zu viel vagabundirt. so kehrt man doch zuletzt nach Hause zurück. Aber der
Ausdruck ist schön und-prägnant. er prägt sich dem Gedächtniß ein. — Die
Hauptsache ist. daß die Dichterin das Walten des ihr widerlichen Zeitgeistes
in der eignen Brust fühlt; ihre Anklage ist um so bitterer, da sie sich als
Mitschuldige weiß; da in ihrem kranken Nervensystem die Fragen, die das
Zeitalter bewegen, zur tödtlichen Qual werden. So grübelt sie einmal (S. 146),
ob der Jnstinct des Hundes u. s. w. nicht etwas Analoges mit der mersch'
lichen Seele sei. Ob diese Gedanken „krank oder gesund, das mag sie selber


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[0464] Tann." „War das der Nacht gewaltger Odem? Ein weit zerflvßnerSeufzer¬ hall, ein Zitterlaut, ein Grabesbrodem durchquillt die öden Räume." Das Gespenst jammert darüber, daß noch immer die Stunde nicht schlägt, wo er „lang Begrabenes schauen" soll; endlich zuckt der Morgen: „mit Räderknarren und Gepfeif, ein rauchend Ungeheuer, schäumt das Dampfboot durch den Rhein," und die Dichterin fragt sich, ob sie geträumt habe. Es war ein Alp> drücken; .denn auch als man nun wirklich den Neubau des Doms unternimmt (I. S. e) sieht sie nur die „Carricatur des Heiligsten": an der Spitze des Unternehmens steht „wer den Himmel angebellt, vor keiner Hölle je gebebt!" Gott kennt „eurer Seele ödes Haus; baut Magazin und Monument, doch sei' nen Namen laßt daraus!" „Weh euch, die ihr den zorn'gen Gott gehöhnt an seiner Schwelle Rand, Meineidgen gleich in frevlem Spott hebt am Altare eure Hand!" Der geistlose Bau wird doch nur ein Trümmerhaufen wie die Ruinen in Rom. — Es ist in dem, was sie gegen die neue Zeit sagt, viel Richtiges; so ihre Ermahnungen an die Schriftstellerinnen (I. S. 19). an die voreiligen Weltverbesserer (S. 27). an die modernen Pädagogen, welche die alte gute Zucht durch Spielereien ersetzen (S. 2g). Es hat einen guten Klang, wenn sie (S. 24) die Zeit „vor vierzig Jahren" schildert: „Da gab es dock ein Sehnen, ein Hoffen und ein Glühn, als noch der Mond „durch Thränen in Fliederlauben" schien, als man dem „milden Sterne" gesellte was da lieb, und „Lieder in die Ferne" auf sieben Meilen schrieb!" — Man merke ven Spott der modernen Bildung, die sich selbst unbequem wird! „Ob dürftig das Erkennen, der Dichtung Flamme schwach, nur tief und tiefer brennen ver¬ deckte Gluten nach. Da lachte nicht der leere, der überfalle Spott, man baute die Altäre dem unbekannten Gott." Dem unbekannten! „Nun aber sind die Zeiten, die überwerthen da, wo offen alle Weiten und jede Ferne nah . - - Was wir daheim gelassen, das wird uns arm und klein, was Fremdes wir erfassen, wird in der Hand zu Nein. Es wogt von End zu Ende, es grüßt im Fluge her. wir reichen unsre Hände, sie bleiben kalt und leer. NielM liebend, achtend Wen'ge wird Herz und Wange bleich, und bettelhafte Kön'ge stehn wir im Steppenreich." — Es ist etwas zu viel gesagt, der Dampf hat nicht alle Regungen des Herzens erstickt, und wenn man auf den Eisenbahnen etwas zu viel vagabundirt. so kehrt man doch zuletzt nach Hause zurück. Aber der Ausdruck ist schön und-prägnant. er prägt sich dem Gedächtniß ein. — Die Hauptsache ist. daß die Dichterin das Walten des ihr widerlichen Zeitgeistes in der eignen Brust fühlt; ihre Anklage ist um so bitterer, da sie sich als Mitschuldige weiß; da in ihrem kranken Nervensystem die Fragen, die das Zeitalter bewegen, zur tödtlichen Qual werden. So grübelt sie einmal (S. 146), ob der Jnstinct des Hundes u. s. w. nicht etwas Analoges mit der mersch' lichen Seele sei. Ob diese Gedanken „krank oder gesund, das mag sie selber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/464>, abgerufen am 26.06.2024.