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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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einigen. Außerdem ist bei dieser Angriffsrichtung die Nückzugslinie der Fran¬
zosen aufs unmittelbarste bedroht, und falls selbst die Preußen, wenn wider
Erwarten die Concentrirung der Franzosen rasch genug erfolgen sollte, eine
Niederlage erleiden und wenn sie dabei selbst von ihrer Hauptrückzugslinie
auf Cöln abgedrängt werden, so bleibt ihnen jetzt immer noch das Loch für
den Nothfall, Koblenz. Alle diese Umstände müssen nun die Wage zu Gun¬
sten des indirecten Entsatzwcgcs sinken lassen. Wir wissen recht wohl, daß
man dem mit der banalen Phrase, dies sei ja ein concentrischer Angriff
und schon deshalb verwerflich, entgegentreten könnte, indem man nämlich die
preußische Armee als den einen, die englisch-niederländische als den andern
Theil eines combinirt operirenden Heeres betrachten wollte. Indessen, dies
letztere ist aller Vernunft zuwider; eine Festungsbcsatzung. und sei sie noch so
stark, darf nicht unter diesem Gesichtspunkte betrachtet werden, so lange sie
noch an ihrem Platze gebunden ist. Erst nach vollendetem Entsatz ist diese An¬
schauungsweise erlaubt; und wenn der Entsatz Antwerpens durch ein Vordringen
der Preußen über Lüttich auf die Linie Brüssel-Mons vollbracht wäre, würde
sich auch die englisch-niederländische Armee ohne die geringste Schwierigkeit
mit ihnen vereinigen können. Die Linie Cöln-Aachen-Lüttich ist daher
unbestreitbar die wahre für eine preußische Angriffsoperation unter den
vorausgesetzten Umständen. Als besondre Vcrhaltungsregel muß man die
aufstellen, daß dieser Angriff nicht so voreilig, sondern erst nach vollkommener
Ansammlung der Kräfte unternommen werde. Denn das allmälige Heran¬
bringen der Kräfte, etwa nach dem Muster, welches die Oestreicher 1796 in
Italien gaben, würde die allmälige Aufreibung derselben zur unzweifelhaften
Folge haben. Andererseits kann man mit einer an Gewißheit streifenden
Wahrscheinlichkeit auf einen hartnäckigen Widerstand Antwerpens rechnen, wenn
diese Festung nebst ihrem verschanzten Lager auch nur annähernd die Besatz¬
ung hat, welche wir hier voraussetzten. Es ist also darin kein Grund zu
einem voreiligen Auftreten gegeben. Und drittens, wenn die Franzosen, in¬
dem sie zugleich ein Beobachtungscorps von bedeutender Stärke vor Ant¬
werpen stehen ließen, mit dem Gros der Armee gegen den Rhein vorgingen,
würde auch hierin keine unüberwindliche Gefahr für die Preußen liegen, die
selbst in der Minderzahl, auf die durch den Strom und seine Festungen und
festen Uebergänge starke Rheinlinie gestützt, bei nur einigermaßen geschickter
Führung dem Feinde mindestens das Gleichgewicht halten müssen. Und daß
sie in der Minderzahl wären, wenn beträchtliche Kräfte gegen Antwerpen zurück¬
blieben, ist überdies noch eine ziemlich gewagte Annahme. Eine zweite
Verhaltungsregel für die Preußen wäre das Concentrirthalten ihrer Macht
beim Vormärsche auf Lüttich. um die Wahrscheinlichkeit des Sieges auf dem
Schlachtfelde überall, wo sie mit dem Feinde zusammenstoßen, aus das möglich


einigen. Außerdem ist bei dieser Angriffsrichtung die Nückzugslinie der Fran¬
zosen aufs unmittelbarste bedroht, und falls selbst die Preußen, wenn wider
Erwarten die Concentrirung der Franzosen rasch genug erfolgen sollte, eine
Niederlage erleiden und wenn sie dabei selbst von ihrer Hauptrückzugslinie
auf Cöln abgedrängt werden, so bleibt ihnen jetzt immer noch das Loch für
den Nothfall, Koblenz. Alle diese Umstände müssen nun die Wage zu Gun¬
sten des indirecten Entsatzwcgcs sinken lassen. Wir wissen recht wohl, daß
man dem mit der banalen Phrase, dies sei ja ein concentrischer Angriff
und schon deshalb verwerflich, entgegentreten könnte, indem man nämlich die
preußische Armee als den einen, die englisch-niederländische als den andern
Theil eines combinirt operirenden Heeres betrachten wollte. Indessen, dies
letztere ist aller Vernunft zuwider; eine Festungsbcsatzung. und sei sie noch so
stark, darf nicht unter diesem Gesichtspunkte betrachtet werden, so lange sie
noch an ihrem Platze gebunden ist. Erst nach vollendetem Entsatz ist diese An¬
schauungsweise erlaubt; und wenn der Entsatz Antwerpens durch ein Vordringen
der Preußen über Lüttich auf die Linie Brüssel-Mons vollbracht wäre, würde
sich auch die englisch-niederländische Armee ohne die geringste Schwierigkeit
mit ihnen vereinigen können. Die Linie Cöln-Aachen-Lüttich ist daher
unbestreitbar die wahre für eine preußische Angriffsoperation unter den
vorausgesetzten Umständen. Als besondre Vcrhaltungsregel muß man die
aufstellen, daß dieser Angriff nicht so voreilig, sondern erst nach vollkommener
Ansammlung der Kräfte unternommen werde. Denn das allmälige Heran¬
bringen der Kräfte, etwa nach dem Muster, welches die Oestreicher 1796 in
Italien gaben, würde die allmälige Aufreibung derselben zur unzweifelhaften
Folge haben. Andererseits kann man mit einer an Gewißheit streifenden
Wahrscheinlichkeit auf einen hartnäckigen Widerstand Antwerpens rechnen, wenn
diese Festung nebst ihrem verschanzten Lager auch nur annähernd die Besatz¬
ung hat, welche wir hier voraussetzten. Es ist also darin kein Grund zu
einem voreiligen Auftreten gegeben. Und drittens, wenn die Franzosen, in¬
dem sie zugleich ein Beobachtungscorps von bedeutender Stärke vor Ant¬
werpen stehen ließen, mit dem Gros der Armee gegen den Rhein vorgingen,
würde auch hierin keine unüberwindliche Gefahr für die Preußen liegen, die
selbst in der Minderzahl, auf die durch den Strom und seine Festungen und
festen Uebergänge starke Rheinlinie gestützt, bei nur einigermaßen geschickter
Führung dem Feinde mindestens das Gleichgewicht halten müssen. Und daß
sie in der Minderzahl wären, wenn beträchtliche Kräfte gegen Antwerpen zurück¬
blieben, ist überdies noch eine ziemlich gewagte Annahme. Eine zweite
Verhaltungsregel für die Preußen wäre das Concentrirthalten ihrer Macht
beim Vormärsche auf Lüttich. um die Wahrscheinlichkeit des Sieges auf dem
Schlachtfelde überall, wo sie mit dem Feinde zusammenstoßen, aus das möglich


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[0426] einigen. Außerdem ist bei dieser Angriffsrichtung die Nückzugslinie der Fran¬ zosen aufs unmittelbarste bedroht, und falls selbst die Preußen, wenn wider Erwarten die Concentrirung der Franzosen rasch genug erfolgen sollte, eine Niederlage erleiden und wenn sie dabei selbst von ihrer Hauptrückzugslinie auf Cöln abgedrängt werden, so bleibt ihnen jetzt immer noch das Loch für den Nothfall, Koblenz. Alle diese Umstände müssen nun die Wage zu Gun¬ sten des indirecten Entsatzwcgcs sinken lassen. Wir wissen recht wohl, daß man dem mit der banalen Phrase, dies sei ja ein concentrischer Angriff und schon deshalb verwerflich, entgegentreten könnte, indem man nämlich die preußische Armee als den einen, die englisch-niederländische als den andern Theil eines combinirt operirenden Heeres betrachten wollte. Indessen, dies letztere ist aller Vernunft zuwider; eine Festungsbcsatzung. und sei sie noch so stark, darf nicht unter diesem Gesichtspunkte betrachtet werden, so lange sie noch an ihrem Platze gebunden ist. Erst nach vollendetem Entsatz ist diese An¬ schauungsweise erlaubt; und wenn der Entsatz Antwerpens durch ein Vordringen der Preußen über Lüttich auf die Linie Brüssel-Mons vollbracht wäre, würde sich auch die englisch-niederländische Armee ohne die geringste Schwierigkeit mit ihnen vereinigen können. Die Linie Cöln-Aachen-Lüttich ist daher unbestreitbar die wahre für eine preußische Angriffsoperation unter den vorausgesetzten Umständen. Als besondre Vcrhaltungsregel muß man die aufstellen, daß dieser Angriff nicht so voreilig, sondern erst nach vollkommener Ansammlung der Kräfte unternommen werde. Denn das allmälige Heran¬ bringen der Kräfte, etwa nach dem Muster, welches die Oestreicher 1796 in Italien gaben, würde die allmälige Aufreibung derselben zur unzweifelhaften Folge haben. Andererseits kann man mit einer an Gewißheit streifenden Wahrscheinlichkeit auf einen hartnäckigen Widerstand Antwerpens rechnen, wenn diese Festung nebst ihrem verschanzten Lager auch nur annähernd die Besatz¬ ung hat, welche wir hier voraussetzten. Es ist also darin kein Grund zu einem voreiligen Auftreten gegeben. Und drittens, wenn die Franzosen, in¬ dem sie zugleich ein Beobachtungscorps von bedeutender Stärke vor Ant¬ werpen stehen ließen, mit dem Gros der Armee gegen den Rhein vorgingen, würde auch hierin keine unüberwindliche Gefahr für die Preußen liegen, die selbst in der Minderzahl, auf die durch den Strom und seine Festungen und festen Uebergänge starke Rheinlinie gestützt, bei nur einigermaßen geschickter Führung dem Feinde mindestens das Gleichgewicht halten müssen. Und daß sie in der Minderzahl wären, wenn beträchtliche Kräfte gegen Antwerpen zurück¬ blieben, ist überdies noch eine ziemlich gewagte Annahme. Eine zweite Verhaltungsregel für die Preußen wäre das Concentrirthalten ihrer Macht beim Vormärsche auf Lüttich. um die Wahrscheinlichkeit des Sieges auf dem Schlachtfelde überall, wo sie mit dem Feinde zusammenstoßen, aus das möglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/426>, abgerufen am 26.06.2024.