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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band.

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öffentliche Leben der Nation, Vereine, Landtag und Presse, suchte er zu fesseln.
Hatte er nicht sogleich durch unverkürzte Veröffentlichung seiner Verhandlungen
dieses öffentliche Leben als ein berechtigtes anerkannt, erfrischt und hervor¬
gerufen? Er mußte, wiederholen wir, Heimlich sein, weil er sich von der
Nation losgerissen hatte, und wurde deshalb, wie eine bairische Note am
12. März 1348 ausgesprochen hat, "ein Gegenstand erst der Scheu, dann
kalter Anwiderung." Mit Anerkennung der Oeffentlichkeit bricht er mit seinem
ganzen bisherigen System, tritt er, sich verantwortend, nicht blos vor
seine "Souveräne", sondern vor die Nation; die Oeffentlichkeit ist, wie der
Bundestagsausschuß selbst gesagt hat, ein Forum, ein Gericht der Nation,
ein ernstes und strenges Gericht; es erfordert mehr als Muth, der Wahrheit
öffentlich ins Gesicht zu schlagen, mehr als Klugheit, offenbares Unrecht öffent¬
lich zu bemänteln, mehr als Kraft, den Widerstand des allgemeinen sittlichen
Bewußtseins zu ertragen; welche constitutionelle Regierung könnte dann die
Kühnheit haben, z. B. eine kurhessische Verfassung mit außer Wirksamkeit zu
sehen und vor ihrem Landtag zu bekennen, daß sie dabei mitgewirkt habe?
Mit der Oeffentlichkeit würde der Bundestag, möchte er sich sträuben, wie er
wollte, wenigstens zu einer Art von deutschem Parlament. Das sühlen
die Regierungen und ihre Gesandten sehr wohl. Sie bedürfen der Oeffentlich¬
keit, weil sie nicht im Stande sind, sie ganz zu unterdrücken, weil sie selbst
unter einander hadern; sie erkennen selbst, weil sie sich dem Leben der Zeit,
dem Drang der Nation, dein Gewicht der Oeffentlichkeit nicht entwinden kön¬
nen, jn dieser Oeffentlichkeit ihr Gericht und bringen ihren Streit vor die
Nation; sie begreifen, daß nur die Oeffentlichkeit ihr Beistand sein kann, nach¬
dem die Heimlichkeit ihre Macht verloren hat; sie rufen sie zu Hilfe, aber mit
dem System soll -- sollte wenigstens bis vor Kurzem -- noch nicht gebrochen
werden. Daher jene verzwickten Ausschußanträge und Bundcsbeschlüsse. jenes
Unsichere Zögern und Hinhalten, aus Furcht, die Maßregeln "des innern Frie¬
dens", jene kurhessischcn und Schleswig-holsteinischen und jene Preßgesetze wür¬
den sonst vereitelt werden, oder es könnte eine Regierung besondere, vielleicht
institutionelle, Gründe haben, ihre Angelegenheiten nicht alsbald vor die
Öffentlichkeit gebracht zu sehen, oder es könnte "von Außen", von der Nation,
durch Adressen, Petitionen, Landtagsbeschlnsse. auf die Berathungen eingewirkt
Werden. Daher jene halben Arten der Oeffentlichkeit. die statt Vertrauen zu
Zwecken, Mißtrauen säen und wie alle halben Maßregeln nur zum Nachtheil
"usschlagen. Einige Mittelstaaten sind so lüstern nach Reform des Bundes-
^gs. Gut! Geben sie diese eine, die Oeffentlichkeit, aber unbeschränkt, mit
^uziger Ausnahme der Kriegsmaßregeln, so weit sie den äußeren Feind be-
^sser, diese eine Reform wird mehr wiegen als alle andern, an denen
^ düfteln und drechseln. Wir fürchten, eben dieselben, die "Reformen" vcr-


Grenzlwten IV. 1SLS. 47

öffentliche Leben der Nation, Vereine, Landtag und Presse, suchte er zu fesseln.
Hatte er nicht sogleich durch unverkürzte Veröffentlichung seiner Verhandlungen
dieses öffentliche Leben als ein berechtigtes anerkannt, erfrischt und hervor¬
gerufen? Er mußte, wiederholen wir, Heimlich sein, weil er sich von der
Nation losgerissen hatte, und wurde deshalb, wie eine bairische Note am
12. März 1348 ausgesprochen hat, „ein Gegenstand erst der Scheu, dann
kalter Anwiderung." Mit Anerkennung der Oeffentlichkeit bricht er mit seinem
ganzen bisherigen System, tritt er, sich verantwortend, nicht blos vor
seine „Souveräne", sondern vor die Nation; die Oeffentlichkeit ist, wie der
Bundestagsausschuß selbst gesagt hat, ein Forum, ein Gericht der Nation,
ein ernstes und strenges Gericht; es erfordert mehr als Muth, der Wahrheit
öffentlich ins Gesicht zu schlagen, mehr als Klugheit, offenbares Unrecht öffent¬
lich zu bemänteln, mehr als Kraft, den Widerstand des allgemeinen sittlichen
Bewußtseins zu ertragen; welche constitutionelle Regierung könnte dann die
Kühnheit haben, z. B. eine kurhessische Verfassung mit außer Wirksamkeit zu
sehen und vor ihrem Landtag zu bekennen, daß sie dabei mitgewirkt habe?
Mit der Oeffentlichkeit würde der Bundestag, möchte er sich sträuben, wie er
wollte, wenigstens zu einer Art von deutschem Parlament. Das sühlen
die Regierungen und ihre Gesandten sehr wohl. Sie bedürfen der Oeffentlich¬
keit, weil sie nicht im Stande sind, sie ganz zu unterdrücken, weil sie selbst
unter einander hadern; sie erkennen selbst, weil sie sich dem Leben der Zeit,
dem Drang der Nation, dein Gewicht der Oeffentlichkeit nicht entwinden kön¬
nen, jn dieser Oeffentlichkeit ihr Gericht und bringen ihren Streit vor die
Nation; sie begreifen, daß nur die Oeffentlichkeit ihr Beistand sein kann, nach¬
dem die Heimlichkeit ihre Macht verloren hat; sie rufen sie zu Hilfe, aber mit
dem System soll — sollte wenigstens bis vor Kurzem — noch nicht gebrochen
werden. Daher jene verzwickten Ausschußanträge und Bundcsbeschlüsse. jenes
Unsichere Zögern und Hinhalten, aus Furcht, die Maßregeln „des innern Frie¬
dens", jene kurhessischcn und Schleswig-holsteinischen und jene Preßgesetze wür¬
den sonst vereitelt werden, oder es könnte eine Regierung besondere, vielleicht
institutionelle, Gründe haben, ihre Angelegenheiten nicht alsbald vor die
Öffentlichkeit gebracht zu sehen, oder es könnte „von Außen", von der Nation,
durch Adressen, Petitionen, Landtagsbeschlnsse. auf die Berathungen eingewirkt
Werden. Daher jene halben Arten der Oeffentlichkeit. die statt Vertrauen zu
Zwecken, Mißtrauen säen und wie alle halben Maßregeln nur zum Nachtheil
"usschlagen. Einige Mittelstaaten sind so lüstern nach Reform des Bundes-
^gs. Gut! Geben sie diese eine, die Oeffentlichkeit, aber unbeschränkt, mit
^uziger Ausnahme der Kriegsmaßregeln, so weit sie den äußeren Feind be-
^sser, diese eine Reform wird mehr wiegen als alle andern, an denen
^ düfteln und drechseln. Wir fürchten, eben dieselben, die „Reformen" vcr-


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[0381] öffentliche Leben der Nation, Vereine, Landtag und Presse, suchte er zu fesseln. Hatte er nicht sogleich durch unverkürzte Veröffentlichung seiner Verhandlungen dieses öffentliche Leben als ein berechtigtes anerkannt, erfrischt und hervor¬ gerufen? Er mußte, wiederholen wir, Heimlich sein, weil er sich von der Nation losgerissen hatte, und wurde deshalb, wie eine bairische Note am 12. März 1348 ausgesprochen hat, „ein Gegenstand erst der Scheu, dann kalter Anwiderung." Mit Anerkennung der Oeffentlichkeit bricht er mit seinem ganzen bisherigen System, tritt er, sich verantwortend, nicht blos vor seine „Souveräne", sondern vor die Nation; die Oeffentlichkeit ist, wie der Bundestagsausschuß selbst gesagt hat, ein Forum, ein Gericht der Nation, ein ernstes und strenges Gericht; es erfordert mehr als Muth, der Wahrheit öffentlich ins Gesicht zu schlagen, mehr als Klugheit, offenbares Unrecht öffent¬ lich zu bemänteln, mehr als Kraft, den Widerstand des allgemeinen sittlichen Bewußtseins zu ertragen; welche constitutionelle Regierung könnte dann die Kühnheit haben, z. B. eine kurhessische Verfassung mit außer Wirksamkeit zu sehen und vor ihrem Landtag zu bekennen, daß sie dabei mitgewirkt habe? Mit der Oeffentlichkeit würde der Bundestag, möchte er sich sträuben, wie er wollte, wenigstens zu einer Art von deutschem Parlament. Das sühlen die Regierungen und ihre Gesandten sehr wohl. Sie bedürfen der Oeffentlich¬ keit, weil sie nicht im Stande sind, sie ganz zu unterdrücken, weil sie selbst unter einander hadern; sie erkennen selbst, weil sie sich dem Leben der Zeit, dem Drang der Nation, dein Gewicht der Oeffentlichkeit nicht entwinden kön¬ nen, jn dieser Oeffentlichkeit ihr Gericht und bringen ihren Streit vor die Nation; sie begreifen, daß nur die Oeffentlichkeit ihr Beistand sein kann, nach¬ dem die Heimlichkeit ihre Macht verloren hat; sie rufen sie zu Hilfe, aber mit dem System soll — sollte wenigstens bis vor Kurzem — noch nicht gebrochen werden. Daher jene verzwickten Ausschußanträge und Bundcsbeschlüsse. jenes Unsichere Zögern und Hinhalten, aus Furcht, die Maßregeln „des innern Frie¬ dens", jene kurhessischcn und Schleswig-holsteinischen und jene Preßgesetze wür¬ den sonst vereitelt werden, oder es könnte eine Regierung besondere, vielleicht institutionelle, Gründe haben, ihre Angelegenheiten nicht alsbald vor die Öffentlichkeit gebracht zu sehen, oder es könnte „von Außen", von der Nation, durch Adressen, Petitionen, Landtagsbeschlnsse. auf die Berathungen eingewirkt Werden. Daher jene halben Arten der Oeffentlichkeit. die statt Vertrauen zu Zwecken, Mißtrauen säen und wie alle halben Maßregeln nur zum Nachtheil "usschlagen. Einige Mittelstaaten sind so lüstern nach Reform des Bundes- ^gs. Gut! Geben sie diese eine, die Oeffentlichkeit, aber unbeschränkt, mit ^uziger Ausnahme der Kriegsmaßregeln, so weit sie den äußeren Feind be- ^sser, diese eine Reform wird mehr wiegen als alle andern, an denen ^ düfteln und drechseln. Wir fürchten, eben dieselben, die „Reformen" vcr- Grenzlwten IV. 1SLS. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_108129/381>, abgerufen am 24.08.2024.